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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Bismarck und die Religion.

man allerdings mit dieser Betrachtung los, aber es wäre auch jetzt zum ver¬
zweifeln, wenn wir auf den mit unsrer Seligkeit angewiesen wären." In einem
Briefe aus dem August 1861, in welchen: er seinen Schwager Oskar von Arnim
über den Verlust eiues Sohnes zu trösten sucht, sagt er: "Wir sollen uns an
diese Welt nicht hängen und nicht in ihr heimisch werden; noch zwanzig oder
dreißig Jahre im glücklichsten Falle, und wir sind beide über die Sorgen dieses
Lebens hinaus, und unsre Kinder sind an unserm jetzigen Standpunkt angelangt
und gewahren mit Erstannen, daß das eben so frisch begonnene Leben schon
wieder bergab geht. Es wäre das An- und Ausziehen nicht wert, wenn es
damit vorbei wäre."

Seitdem sind Jahre voll glänzender Erfolge verflossen. Der Kanzler hat
sich mit unvergänglichen Ruhme bedeckt und seinem Volke im Kreise der Na¬
tionen eine Stellung errungen, die alles überragt, was ihm in frühern Jahr¬
hunderten geboten war. Mancher wird meinen, er müsse ans die Reihe seiner
Thaten und Schöpfungen zurückblicken wie Gott Vater anf die von ihm er-
schaffne Welt. "Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe da,
es war sehr gut." Vielleicht hat der Reichskanzler dieses Gefühl im großen
und ganzen wirklich. Aber noch jetzt giebt es bei ihm Augenblicke, wo das
Gegenteil der Fall zu sein scheint, Stimmungen voll Mißmut und Unzufrieden¬
heit mit seinen Leistungen und seinem Schicksal, die förmlich betroffen machen.
Dahin gehört ein Vorkommnis aus dem Herbste des Jahres 1877, das schon
an andrer Stelle erzählt wurde. Es war in Varzin, und er saß, wie das seine
Gewohnheit nach dem Essen, in der Abenddämmerung am Kaminofen im Hinter¬
zimmer, an das der Wintergarten stößt. Nachdem er eine Weile schweigend vor
sich hingesehen und von Zeit zu Zeit das Feuer mit einigen Tannenzapfen
genährt hatte, begann er zu klagen, daß er von seiner politischen Thätigkeit
wenig Frende und Befriedigung gehabt habe. Niemand liebe ihn deshalb. Er
habe niemand damit glücklich gemacht, sagte er, sich selbst nicht, seine Familie
nicht, auch andre nicht. Einige von der Gesellschaft wollten das nicht gelten
lassen und erwiederten, eine ganze große Nation. Er aber fuhr fort: "Wohl aber viele
unglücklich. Ohne mich hätte es drei große Kriege vielleicht nicht gegeben, wären achtzig¬
tausend Menschen nicht umgekommen, und Eltern, Brüder, Schwestern, Wittwen
trauerten nicht. . . Das habe ich indessen mit Gott abgemacht. Aber Freude
habe ich wenig oder gar keine gehabt von allem, was ich gethan habe, dagegen
viel Verdruß, Sorge und Mühe," was er dann noch weiter ausführte. Die
Zuhörer schwiegen, und diejenigen, welche ähnliches von ihm noch nicht gehört hatten,
waren befremdet. Man konnte an Achill denken, wenn er im Zelte vor Ilion
zu Priamus sagt:


-- Wir schaffen ja nichts mit unserer starrenden Schwermut;
Also bestimmten der Sterblichen Loos, der armen, die Götter,
Trübe in Gram zu leben, allein sie selber sind sorglos.

Bismarck und die Religion.

man allerdings mit dieser Betrachtung los, aber es wäre auch jetzt zum ver¬
zweifeln, wenn wir auf den mit unsrer Seligkeit angewiesen wären." In einem
Briefe aus dem August 1861, in welchen: er seinen Schwager Oskar von Arnim
über den Verlust eiues Sohnes zu trösten sucht, sagt er: „Wir sollen uns an
diese Welt nicht hängen und nicht in ihr heimisch werden; noch zwanzig oder
dreißig Jahre im glücklichsten Falle, und wir sind beide über die Sorgen dieses
Lebens hinaus, und unsre Kinder sind an unserm jetzigen Standpunkt angelangt
und gewahren mit Erstannen, daß das eben so frisch begonnene Leben schon
wieder bergab geht. Es wäre das An- und Ausziehen nicht wert, wenn es
damit vorbei wäre."

Seitdem sind Jahre voll glänzender Erfolge verflossen. Der Kanzler hat
sich mit unvergänglichen Ruhme bedeckt und seinem Volke im Kreise der Na¬
tionen eine Stellung errungen, die alles überragt, was ihm in frühern Jahr¬
hunderten geboten war. Mancher wird meinen, er müsse ans die Reihe seiner
Thaten und Schöpfungen zurückblicken wie Gott Vater anf die von ihm er-
schaffne Welt. „Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe da,
es war sehr gut." Vielleicht hat der Reichskanzler dieses Gefühl im großen
und ganzen wirklich. Aber noch jetzt giebt es bei ihm Augenblicke, wo das
Gegenteil der Fall zu sein scheint, Stimmungen voll Mißmut und Unzufrieden¬
heit mit seinen Leistungen und seinem Schicksal, die förmlich betroffen machen.
Dahin gehört ein Vorkommnis aus dem Herbste des Jahres 1877, das schon
an andrer Stelle erzählt wurde. Es war in Varzin, und er saß, wie das seine
Gewohnheit nach dem Essen, in der Abenddämmerung am Kaminofen im Hinter¬
zimmer, an das der Wintergarten stößt. Nachdem er eine Weile schweigend vor
sich hingesehen und von Zeit zu Zeit das Feuer mit einigen Tannenzapfen
genährt hatte, begann er zu klagen, daß er von seiner politischen Thätigkeit
wenig Frende und Befriedigung gehabt habe. Niemand liebe ihn deshalb. Er
habe niemand damit glücklich gemacht, sagte er, sich selbst nicht, seine Familie
nicht, auch andre nicht. Einige von der Gesellschaft wollten das nicht gelten
lassen und erwiederten, eine ganze große Nation. Er aber fuhr fort: „Wohl aber viele
unglücklich. Ohne mich hätte es drei große Kriege vielleicht nicht gegeben, wären achtzig¬
tausend Menschen nicht umgekommen, und Eltern, Brüder, Schwestern, Wittwen
trauerten nicht. . . Das habe ich indessen mit Gott abgemacht. Aber Freude
habe ich wenig oder gar keine gehabt von allem, was ich gethan habe, dagegen
viel Verdruß, Sorge und Mühe," was er dann noch weiter ausführte. Die
Zuhörer schwiegen, und diejenigen, welche ähnliches von ihm noch nicht gehört hatten,
waren befremdet. Man konnte an Achill denken, wenn er im Zelte vor Ilion
zu Priamus sagt:


— Wir schaffen ja nichts mit unserer starrenden Schwermut;
Also bestimmten der Sterblichen Loos, der armen, die Götter,
Trübe in Gram zu leben, allein sie selber sind sorglos.

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[0596] Bismarck und die Religion. man allerdings mit dieser Betrachtung los, aber es wäre auch jetzt zum ver¬ zweifeln, wenn wir auf den mit unsrer Seligkeit angewiesen wären." In einem Briefe aus dem August 1861, in welchen: er seinen Schwager Oskar von Arnim über den Verlust eiues Sohnes zu trösten sucht, sagt er: „Wir sollen uns an diese Welt nicht hängen und nicht in ihr heimisch werden; noch zwanzig oder dreißig Jahre im glücklichsten Falle, und wir sind beide über die Sorgen dieses Lebens hinaus, und unsre Kinder sind an unserm jetzigen Standpunkt angelangt und gewahren mit Erstannen, daß das eben so frisch begonnene Leben schon wieder bergab geht. Es wäre das An- und Ausziehen nicht wert, wenn es damit vorbei wäre." Seitdem sind Jahre voll glänzender Erfolge verflossen. Der Kanzler hat sich mit unvergänglichen Ruhme bedeckt und seinem Volke im Kreise der Na¬ tionen eine Stellung errungen, die alles überragt, was ihm in frühern Jahr¬ hunderten geboten war. Mancher wird meinen, er müsse ans die Reihe seiner Thaten und Schöpfungen zurückblicken wie Gott Vater anf die von ihm er- schaffne Welt. „Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe da, es war sehr gut." Vielleicht hat der Reichskanzler dieses Gefühl im großen und ganzen wirklich. Aber noch jetzt giebt es bei ihm Augenblicke, wo das Gegenteil der Fall zu sein scheint, Stimmungen voll Mißmut und Unzufrieden¬ heit mit seinen Leistungen und seinem Schicksal, die förmlich betroffen machen. Dahin gehört ein Vorkommnis aus dem Herbste des Jahres 1877, das schon an andrer Stelle erzählt wurde. Es war in Varzin, und er saß, wie das seine Gewohnheit nach dem Essen, in der Abenddämmerung am Kaminofen im Hinter¬ zimmer, an das der Wintergarten stößt. Nachdem er eine Weile schweigend vor sich hingesehen und von Zeit zu Zeit das Feuer mit einigen Tannenzapfen genährt hatte, begann er zu klagen, daß er von seiner politischen Thätigkeit wenig Frende und Befriedigung gehabt habe. Niemand liebe ihn deshalb. Er habe niemand damit glücklich gemacht, sagte er, sich selbst nicht, seine Familie nicht, auch andre nicht. Einige von der Gesellschaft wollten das nicht gelten lassen und erwiederten, eine ganze große Nation. Er aber fuhr fort: „Wohl aber viele unglücklich. Ohne mich hätte es drei große Kriege vielleicht nicht gegeben, wären achtzig¬ tausend Menschen nicht umgekommen, und Eltern, Brüder, Schwestern, Wittwen trauerten nicht. . . Das habe ich indessen mit Gott abgemacht. Aber Freude habe ich wenig oder gar keine gehabt von allem, was ich gethan habe, dagegen viel Verdruß, Sorge und Mühe," was er dann noch weiter ausführte. Die Zuhörer schwiegen, und diejenigen, welche ähnliches von ihm noch nicht gehört hatten, waren befremdet. Man konnte an Achill denken, wenn er im Zelte vor Ilion zu Priamus sagt: — Wir schaffen ja nichts mit unserer starrenden Schwermut; Also bestimmten der Sterblichen Loos, der armen, die Götter, Trübe in Gram zu leben, allein sie selber sind sorglos.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/596>, abgerufen am 29.06.2024.