Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Bismarck und die Religion.

Heidentum und der Renaissance, denen die Natur wahr und heilig, und deren
Kultus die Freude an der Welt, deren Tugend voll entfaltete und durch Gesetz
und Sitte vor Übermut und Übermaß gewahrte Kraft war, Eitelkeit der Eitel¬
keiten, heil- und wesenloser Schein und Tand. Nur jenseits, droben ist das
wahre Leben. Mit dieser Geringschätzung der Welt ist aber, wie bereits an¬
gedeutet wurde, der Weltschmerz verwandt, der den Fürsten anch in seinen höheren
Mannesjahren von Zeit zu Zeit und wahrscheinlich häusiger, als wir wissen, über¬
kam, und der ihn noch heute in stillen und milden Stunden bisweilen beschleicht.
Die Ursachen dieser Erscheinung mögen zum Teil mit seinem Gesundheits¬
zustande, zum Teil auch mit Kränkungen und Enttäuschungen zusammenhängen.
Es wird auch auf Bismnrck Anwendung leiden, wenn Goethe an: zuletzt ange¬
führten Orte zur Erklärung der Melancholie englischer Dichter bemerkt: "Wie
viele derselben haben sich in den Weltgeschüften versucht und im Parlament, bei
Hofe, im Ministerium, auf Gesandtschnftsposten eine Rolle gespielt und sich bei
inner"? Unruhen, Staats- und Regierungsveränderungen mitwirkend erwiesen
und wo uicht an sich selbst, doch an ihren Freunden und Gönnern öfter traurige
als erfreuliche Erfahrungen gemacht. . . Aber anch nur Zuschauer von so großen
Ereignissen zu sein, fordert den Menschen zum Ernst auf, und wohin kaun der
Erlist weiter führen, als zur Betrachtung der Vergänglichkeit und des Unwertes
der irdischen Dinge." Genug, Bismarck hat immer an Trübsiniisaufällen ge¬
litten, der Weltschmerz geht wie eine unaufgelöste Dissonanz neben der Har¬
monie seines Lebens her, und fo darf mau mit gewisser Einschränkung be¬
haupten: er ist zunächst deshalb Christ, weil seine tiefe und starke Empfindung
der Vergänglichkeit und Wertlosigkeit des Erdenlebens in allen seinen Er¬
scheinungen ihn dazu prädisponirt.

Beispiele, die darauf hinweisen, finden sich in seiner Privattorrespoudeuz
nicht selten, und ebenso lassen sich mündliche Äußerungen des Fürsten als Be¬
lege dafür anführen. In einem Schreiben an seine Frau, das Petersburg,
2. Juli 1869 datirt ist, begegnen wir nach schweren Bedenken, die ihm die
"mehr und mehr in das österreichische Kielwasser hineingleitcude Politik Preußen"
einflößt, der Stelle: "Wie Gott will! Es ist hier alles doch nur eine Zeitfrage,
Völker und Menschen, Thorheit und Weisheit, Krieg und Frieden, sie kommen und
gehen wie Wasserwogen und das Meer bleibt. ^Das Bild, wenn nicht einem Psalm
entnommen, ist wohl ein Nachklang seiner spiuozistischen Studien, das Meer könnte
die Substanz, die Wasserwogen könnten die Modi sein.^ Es ist ja nichts auf dieser
Erde als Heuchelei und Gaukelspiel, und ob nun das Fieber oder die Kartätsche diese
Maske von Fleisch abreißt, fallen muß sie doch über kurz oder lang, und dann
wird zwischen einem Preußen und einem Österreicher, wenn sie gleich groß sind,
doch eine Ähnlichkeit eintreten, die das Unterscheiden schwierig macht; auch die
Dummen und die Klugen sehen, reinlich skelettirt, ziemlich einer wie der andre
aus. jBgl. Hamlet auf dem Friedhofe.j Den spezifischen Patriotismus wird


Bismarck und die Religion.

Heidentum und der Renaissance, denen die Natur wahr und heilig, und deren
Kultus die Freude an der Welt, deren Tugend voll entfaltete und durch Gesetz
und Sitte vor Übermut und Übermaß gewahrte Kraft war, Eitelkeit der Eitel¬
keiten, heil- und wesenloser Schein und Tand. Nur jenseits, droben ist das
wahre Leben. Mit dieser Geringschätzung der Welt ist aber, wie bereits an¬
gedeutet wurde, der Weltschmerz verwandt, der den Fürsten anch in seinen höheren
Mannesjahren von Zeit zu Zeit und wahrscheinlich häusiger, als wir wissen, über¬
kam, und der ihn noch heute in stillen und milden Stunden bisweilen beschleicht.
Die Ursachen dieser Erscheinung mögen zum Teil mit seinem Gesundheits¬
zustande, zum Teil auch mit Kränkungen und Enttäuschungen zusammenhängen.
Es wird auch auf Bismnrck Anwendung leiden, wenn Goethe an: zuletzt ange¬
führten Orte zur Erklärung der Melancholie englischer Dichter bemerkt: „Wie
viele derselben haben sich in den Weltgeschüften versucht und im Parlament, bei
Hofe, im Ministerium, auf Gesandtschnftsposten eine Rolle gespielt und sich bei
inner»? Unruhen, Staats- und Regierungsveränderungen mitwirkend erwiesen
und wo uicht an sich selbst, doch an ihren Freunden und Gönnern öfter traurige
als erfreuliche Erfahrungen gemacht. . . Aber anch nur Zuschauer von so großen
Ereignissen zu sein, fordert den Menschen zum Ernst auf, und wohin kaun der
Erlist weiter führen, als zur Betrachtung der Vergänglichkeit und des Unwertes
der irdischen Dinge." Genug, Bismarck hat immer an Trübsiniisaufällen ge¬
litten, der Weltschmerz geht wie eine unaufgelöste Dissonanz neben der Har¬
monie seines Lebens her, und fo darf mau mit gewisser Einschränkung be¬
haupten: er ist zunächst deshalb Christ, weil seine tiefe und starke Empfindung
der Vergänglichkeit und Wertlosigkeit des Erdenlebens in allen seinen Er¬
scheinungen ihn dazu prädisponirt.

Beispiele, die darauf hinweisen, finden sich in seiner Privattorrespoudeuz
nicht selten, und ebenso lassen sich mündliche Äußerungen des Fürsten als Be¬
lege dafür anführen. In einem Schreiben an seine Frau, das Petersburg,
2. Juli 1869 datirt ist, begegnen wir nach schweren Bedenken, die ihm die
„mehr und mehr in das österreichische Kielwasser hineingleitcude Politik Preußen"
einflößt, der Stelle: „Wie Gott will! Es ist hier alles doch nur eine Zeitfrage,
Völker und Menschen, Thorheit und Weisheit, Krieg und Frieden, sie kommen und
gehen wie Wasserwogen und das Meer bleibt. ^Das Bild, wenn nicht einem Psalm
entnommen, ist wohl ein Nachklang seiner spiuozistischen Studien, das Meer könnte
die Substanz, die Wasserwogen könnten die Modi sein.^ Es ist ja nichts auf dieser
Erde als Heuchelei und Gaukelspiel, und ob nun das Fieber oder die Kartätsche diese
Maske von Fleisch abreißt, fallen muß sie doch über kurz oder lang, und dann
wird zwischen einem Preußen und einem Österreicher, wenn sie gleich groß sind,
doch eine Ähnlichkeit eintreten, die das Unterscheiden schwierig macht; auch die
Dummen und die Klugen sehen, reinlich skelettirt, ziemlich einer wie der andre
aus. jBgl. Hamlet auf dem Friedhofe.j Den spezifischen Patriotismus wird


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0595" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/194573"/>
          <fw type="header" place="top"> Bismarck und die Religion.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2136" prev="#ID_2135"> Heidentum und der Renaissance, denen die Natur wahr und heilig, und deren<lb/>
Kultus die Freude an der Welt, deren Tugend voll entfaltete und durch Gesetz<lb/>
und Sitte vor Übermut und Übermaß gewahrte Kraft war, Eitelkeit der Eitel¬<lb/>
keiten, heil- und wesenloser Schein und Tand. Nur jenseits, droben ist das<lb/>
wahre Leben. Mit dieser Geringschätzung der Welt ist aber, wie bereits an¬<lb/>
gedeutet wurde, der Weltschmerz verwandt, der den Fürsten anch in seinen höheren<lb/>
Mannesjahren von Zeit zu Zeit und wahrscheinlich häusiger, als wir wissen, über¬<lb/>
kam, und der ihn noch heute in stillen und milden Stunden bisweilen beschleicht.<lb/>
Die Ursachen dieser Erscheinung mögen zum Teil mit seinem Gesundheits¬<lb/>
zustande, zum Teil auch mit Kränkungen und Enttäuschungen zusammenhängen.<lb/>
Es wird auch auf Bismnrck Anwendung leiden, wenn Goethe an: zuletzt ange¬<lb/>
führten Orte zur Erklärung der Melancholie englischer Dichter bemerkt: &#x201E;Wie<lb/>
viele derselben haben sich in den Weltgeschüften versucht und im Parlament, bei<lb/>
Hofe, im Ministerium, auf Gesandtschnftsposten eine Rolle gespielt und sich bei<lb/>
inner»? Unruhen, Staats- und Regierungsveränderungen mitwirkend erwiesen<lb/>
und wo uicht an sich selbst, doch an ihren Freunden und Gönnern öfter traurige<lb/>
als erfreuliche Erfahrungen gemacht. . . Aber anch nur Zuschauer von so großen<lb/>
Ereignissen zu sein, fordert den Menschen zum Ernst auf, und wohin kaun der<lb/>
Erlist weiter führen, als zur Betrachtung der Vergänglichkeit und des Unwertes<lb/>
der irdischen Dinge." Genug, Bismarck hat immer an Trübsiniisaufällen ge¬<lb/>
litten, der Weltschmerz geht wie eine unaufgelöste Dissonanz neben der Har¬<lb/>
monie seines Lebens her, und fo darf mau mit gewisser Einschränkung be¬<lb/>
haupten: er ist zunächst deshalb Christ, weil seine tiefe und starke Empfindung<lb/>
der Vergänglichkeit und Wertlosigkeit des Erdenlebens in allen seinen Er¬<lb/>
scheinungen ihn dazu prädisponirt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2137" next="#ID_2138"> Beispiele, die darauf hinweisen, finden sich in seiner Privattorrespoudeuz<lb/>
nicht selten, und ebenso lassen sich mündliche Äußerungen des Fürsten als Be¬<lb/>
lege dafür anführen. In einem Schreiben an seine Frau, das Petersburg,<lb/>
2. Juli 1869 datirt ist, begegnen wir nach schweren Bedenken, die ihm die<lb/>
&#x201E;mehr und mehr in das österreichische Kielwasser hineingleitcude Politik Preußen"<lb/>
einflößt, der Stelle: &#x201E;Wie Gott will! Es ist hier alles doch nur eine Zeitfrage,<lb/>
Völker und Menschen, Thorheit und Weisheit, Krieg und Frieden, sie kommen und<lb/>
gehen wie Wasserwogen und das Meer bleibt. ^Das Bild, wenn nicht einem Psalm<lb/>
entnommen, ist wohl ein Nachklang seiner spiuozistischen Studien, das Meer könnte<lb/>
die Substanz, die Wasserwogen könnten die Modi sein.^ Es ist ja nichts auf dieser<lb/>
Erde als Heuchelei und Gaukelspiel, und ob nun das Fieber oder die Kartätsche diese<lb/>
Maske von Fleisch abreißt, fallen muß sie doch über kurz oder lang, und dann<lb/>
wird zwischen einem Preußen und einem Österreicher, wenn sie gleich groß sind,<lb/>
doch eine Ähnlichkeit eintreten, die das Unterscheiden schwierig macht; auch die<lb/>
Dummen und die Klugen sehen, reinlich skelettirt, ziemlich einer wie der andre<lb/>
aus.  jBgl. Hamlet auf dem Friedhofe.j  Den spezifischen Patriotismus wird</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0595] Bismarck und die Religion. Heidentum und der Renaissance, denen die Natur wahr und heilig, und deren Kultus die Freude an der Welt, deren Tugend voll entfaltete und durch Gesetz und Sitte vor Übermut und Übermaß gewahrte Kraft war, Eitelkeit der Eitel¬ keiten, heil- und wesenloser Schein und Tand. Nur jenseits, droben ist das wahre Leben. Mit dieser Geringschätzung der Welt ist aber, wie bereits an¬ gedeutet wurde, der Weltschmerz verwandt, der den Fürsten anch in seinen höheren Mannesjahren von Zeit zu Zeit und wahrscheinlich häusiger, als wir wissen, über¬ kam, und der ihn noch heute in stillen und milden Stunden bisweilen beschleicht. Die Ursachen dieser Erscheinung mögen zum Teil mit seinem Gesundheits¬ zustande, zum Teil auch mit Kränkungen und Enttäuschungen zusammenhängen. Es wird auch auf Bismnrck Anwendung leiden, wenn Goethe an: zuletzt ange¬ führten Orte zur Erklärung der Melancholie englischer Dichter bemerkt: „Wie viele derselben haben sich in den Weltgeschüften versucht und im Parlament, bei Hofe, im Ministerium, auf Gesandtschnftsposten eine Rolle gespielt und sich bei inner»? Unruhen, Staats- und Regierungsveränderungen mitwirkend erwiesen und wo uicht an sich selbst, doch an ihren Freunden und Gönnern öfter traurige als erfreuliche Erfahrungen gemacht. . . Aber anch nur Zuschauer von so großen Ereignissen zu sein, fordert den Menschen zum Ernst auf, und wohin kaun der Erlist weiter führen, als zur Betrachtung der Vergänglichkeit und des Unwertes der irdischen Dinge." Genug, Bismarck hat immer an Trübsiniisaufällen ge¬ litten, der Weltschmerz geht wie eine unaufgelöste Dissonanz neben der Har¬ monie seines Lebens her, und fo darf mau mit gewisser Einschränkung be¬ haupten: er ist zunächst deshalb Christ, weil seine tiefe und starke Empfindung der Vergänglichkeit und Wertlosigkeit des Erdenlebens in allen seinen Er¬ scheinungen ihn dazu prädisponirt. Beispiele, die darauf hinweisen, finden sich in seiner Privattorrespoudeuz nicht selten, und ebenso lassen sich mündliche Äußerungen des Fürsten als Be¬ lege dafür anführen. In einem Schreiben an seine Frau, das Petersburg, 2. Juli 1869 datirt ist, begegnen wir nach schweren Bedenken, die ihm die „mehr und mehr in das österreichische Kielwasser hineingleitcude Politik Preußen" einflößt, der Stelle: „Wie Gott will! Es ist hier alles doch nur eine Zeitfrage, Völker und Menschen, Thorheit und Weisheit, Krieg und Frieden, sie kommen und gehen wie Wasserwogen und das Meer bleibt. ^Das Bild, wenn nicht einem Psalm entnommen, ist wohl ein Nachklang seiner spiuozistischen Studien, das Meer könnte die Substanz, die Wasserwogen könnten die Modi sein.^ Es ist ja nichts auf dieser Erde als Heuchelei und Gaukelspiel, und ob nun das Fieber oder die Kartätsche diese Maske von Fleisch abreißt, fallen muß sie doch über kurz oder lang, und dann wird zwischen einem Preußen und einem Österreicher, wenn sie gleich groß sind, doch eine Ähnlichkeit eintreten, die das Unterscheiden schwierig macht; auch die Dummen und die Klugen sehen, reinlich skelettirt, ziemlich einer wie der andre aus. jBgl. Hamlet auf dem Friedhofe.j Den spezifischen Patriotismus wird

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/595
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/595>, abgerufen am 29.06.2024.