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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Bismarck und die Religion.

befreit von der Misere, die er hinter sich sah. Es war ihm leer zu Mate ge¬
wesen, jetzt strömte ihm neuer wohlthuender Inhalt zu. Auf Dunkel folgte
himmlische Helle. Er war selig, ein Christ geworden zu sein, und diese Em¬
pfindung verschmolz mit der Befriedigung über sein Eheglück. In einem an
seine Gemahlin gerichteten Brief vom Juli 1851 sagt er: "Vorgestern war ich
zu Mittag in Wiesbaden bei und habe mir mit einem Gemisch von Wehmut
und altkluger Weisheit die Stätten früherer Thorheit angesehen. Mochte es
doch Gott gefallen, mit seinem klaren und starken Weine dies Gefäß zu füllen,
in dem damals der Champagner einundzwanzigjähriger Jngend nutzlos verbranste
und schale Neigen zurückließ. . . Wie hat meine Weltanschauung doch in deu
vierzehn Jahren seitdem so viele Verwandlungen durchgemacht, von denen ich
immer die gerade gegenwärtige für die rechte Gestaltung hielt, und wie vieles
ist mir jetzt klein, was damals groß erschien, wie vieles ehrwürdig, was ich
damals verspottete! Wie manches Laub mag noch an unserm innern Menschen
nusgrünen, schatten, rauschen und wertlos verwelken, bis wieder vierzehn Jahre
vorüber sind. . . Ich begreife nicht, wie ein Mensch, der über sich nachdenkt
und doch von Gott nichts weiß oder wissen will, sein Leben vor Verachtung
und Langeweile tragen kann. Ich weiß nicht, wie ich das früher ausgehalten
habe; sollte ich jetzt leben wie damals, ohne Gott, ohne dich und die Kinder --
ich wüßte doch in der That nicht, warum ich dies Leben nicht ablegen sollte
wie ein schmutziges Hemde." Um dieselbe Zeit regt sich in ihm der Trieb,
andern zur Erreichung des Standpunktes zu verhelfen, den er gewonnen hat.
Auf einer Vergnügungstour von Frankfurt nach Rüdcsheim hat er sein Neues
Testament mitgenommen und führt abends auf dem Balkon des Gasthauses mit
dem einen seiner beiden Begleiter "christliche Gespräche," wobei er ohne Erfolg
"lange an der Rousseauschen Tugendhaftigkeit seiner Seele rüttelt."

Wir dürfen vermuten, daß alle äußern Einflüsse, die Bismarcks Hinwendung
zu christlichem Denken und Streben veranlassen halsen, bei der Selbständigkeit
seines Wesens erfolglos geblieben sein oder ihn doch nicht auf die Dauer be¬
herrscht habe" würden, wenn der Weltschmerz seiner Jugend ihn nicht, bald
zurückgedrängt auf den Grund seiner Seele, bald mit lauter Klage ihm ans die
Lippen steigend oder in die Feder fließend, durch sein späteres Leben begleitet
hätte, wenn ferner das Christentum ihm nicht als Fundament des Staates und
als Bollwerk gegen den revolutionären Zeitgeist, also als politisches Ver-
teidiguugsmittel erschienen wäre, und wenn endlich, theologisch zu sprechen, der
Glaube an einen persönlichen Gott und eilt ewiges Leben des menschlichen In¬
dividuums ihm uicht als Kompaß und Leitstern für sein Thun, als Quelle
von Kraft und Trost in den schweren Wirrnissen und Kämpfen seiner staats¬
männischen Laufbahn gedient hätte.

Das Christentum ist die Religion der Weltverachtung. Die Erde
und das irdische Dasein des Menschen ist ihm im Gegensatze zum antiken


Bismarck und die Religion.

befreit von der Misere, die er hinter sich sah. Es war ihm leer zu Mate ge¬
wesen, jetzt strömte ihm neuer wohlthuender Inhalt zu. Auf Dunkel folgte
himmlische Helle. Er war selig, ein Christ geworden zu sein, und diese Em¬
pfindung verschmolz mit der Befriedigung über sein Eheglück. In einem an
seine Gemahlin gerichteten Brief vom Juli 1851 sagt er: „Vorgestern war ich
zu Mittag in Wiesbaden bei und habe mir mit einem Gemisch von Wehmut
und altkluger Weisheit die Stätten früherer Thorheit angesehen. Mochte es
doch Gott gefallen, mit seinem klaren und starken Weine dies Gefäß zu füllen,
in dem damals der Champagner einundzwanzigjähriger Jngend nutzlos verbranste
und schale Neigen zurückließ. . . Wie hat meine Weltanschauung doch in deu
vierzehn Jahren seitdem so viele Verwandlungen durchgemacht, von denen ich
immer die gerade gegenwärtige für die rechte Gestaltung hielt, und wie vieles
ist mir jetzt klein, was damals groß erschien, wie vieles ehrwürdig, was ich
damals verspottete! Wie manches Laub mag noch an unserm innern Menschen
nusgrünen, schatten, rauschen und wertlos verwelken, bis wieder vierzehn Jahre
vorüber sind. . . Ich begreife nicht, wie ein Mensch, der über sich nachdenkt
und doch von Gott nichts weiß oder wissen will, sein Leben vor Verachtung
und Langeweile tragen kann. Ich weiß nicht, wie ich das früher ausgehalten
habe; sollte ich jetzt leben wie damals, ohne Gott, ohne dich und die Kinder —
ich wüßte doch in der That nicht, warum ich dies Leben nicht ablegen sollte
wie ein schmutziges Hemde." Um dieselbe Zeit regt sich in ihm der Trieb,
andern zur Erreichung des Standpunktes zu verhelfen, den er gewonnen hat.
Auf einer Vergnügungstour von Frankfurt nach Rüdcsheim hat er sein Neues
Testament mitgenommen und führt abends auf dem Balkon des Gasthauses mit
dem einen seiner beiden Begleiter „christliche Gespräche," wobei er ohne Erfolg
„lange an der Rousseauschen Tugendhaftigkeit seiner Seele rüttelt."

Wir dürfen vermuten, daß alle äußern Einflüsse, die Bismarcks Hinwendung
zu christlichem Denken und Streben veranlassen halsen, bei der Selbständigkeit
seines Wesens erfolglos geblieben sein oder ihn doch nicht auf die Dauer be¬
herrscht habe» würden, wenn der Weltschmerz seiner Jugend ihn nicht, bald
zurückgedrängt auf den Grund seiner Seele, bald mit lauter Klage ihm ans die
Lippen steigend oder in die Feder fließend, durch sein späteres Leben begleitet
hätte, wenn ferner das Christentum ihm nicht als Fundament des Staates und
als Bollwerk gegen den revolutionären Zeitgeist, also als politisches Ver-
teidiguugsmittel erschienen wäre, und wenn endlich, theologisch zu sprechen, der
Glaube an einen persönlichen Gott und eilt ewiges Leben des menschlichen In¬
dividuums ihm uicht als Kompaß und Leitstern für sein Thun, als Quelle
von Kraft und Trost in den schweren Wirrnissen und Kämpfen seiner staats¬
männischen Laufbahn gedient hätte.

Das Christentum ist die Religion der Weltverachtung. Die Erde
und das irdische Dasein des Menschen ist ihm im Gegensatze zum antiken


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[0594] Bismarck und die Religion. befreit von der Misere, die er hinter sich sah. Es war ihm leer zu Mate ge¬ wesen, jetzt strömte ihm neuer wohlthuender Inhalt zu. Auf Dunkel folgte himmlische Helle. Er war selig, ein Christ geworden zu sein, und diese Em¬ pfindung verschmolz mit der Befriedigung über sein Eheglück. In einem an seine Gemahlin gerichteten Brief vom Juli 1851 sagt er: „Vorgestern war ich zu Mittag in Wiesbaden bei und habe mir mit einem Gemisch von Wehmut und altkluger Weisheit die Stätten früherer Thorheit angesehen. Mochte es doch Gott gefallen, mit seinem klaren und starken Weine dies Gefäß zu füllen, in dem damals der Champagner einundzwanzigjähriger Jngend nutzlos verbranste und schale Neigen zurückließ. . . Wie hat meine Weltanschauung doch in deu vierzehn Jahren seitdem so viele Verwandlungen durchgemacht, von denen ich immer die gerade gegenwärtige für die rechte Gestaltung hielt, und wie vieles ist mir jetzt klein, was damals groß erschien, wie vieles ehrwürdig, was ich damals verspottete! Wie manches Laub mag noch an unserm innern Menschen nusgrünen, schatten, rauschen und wertlos verwelken, bis wieder vierzehn Jahre vorüber sind. . . Ich begreife nicht, wie ein Mensch, der über sich nachdenkt und doch von Gott nichts weiß oder wissen will, sein Leben vor Verachtung und Langeweile tragen kann. Ich weiß nicht, wie ich das früher ausgehalten habe; sollte ich jetzt leben wie damals, ohne Gott, ohne dich und die Kinder — ich wüßte doch in der That nicht, warum ich dies Leben nicht ablegen sollte wie ein schmutziges Hemde." Um dieselbe Zeit regt sich in ihm der Trieb, andern zur Erreichung des Standpunktes zu verhelfen, den er gewonnen hat. Auf einer Vergnügungstour von Frankfurt nach Rüdcsheim hat er sein Neues Testament mitgenommen und führt abends auf dem Balkon des Gasthauses mit dem einen seiner beiden Begleiter „christliche Gespräche," wobei er ohne Erfolg „lange an der Rousseauschen Tugendhaftigkeit seiner Seele rüttelt." Wir dürfen vermuten, daß alle äußern Einflüsse, die Bismarcks Hinwendung zu christlichem Denken und Streben veranlassen halsen, bei der Selbständigkeit seines Wesens erfolglos geblieben sein oder ihn doch nicht auf die Dauer be¬ herrscht habe» würden, wenn der Weltschmerz seiner Jugend ihn nicht, bald zurückgedrängt auf den Grund seiner Seele, bald mit lauter Klage ihm ans die Lippen steigend oder in die Feder fließend, durch sein späteres Leben begleitet hätte, wenn ferner das Christentum ihm nicht als Fundament des Staates und als Bollwerk gegen den revolutionären Zeitgeist, also als politisches Ver- teidiguugsmittel erschienen wäre, und wenn endlich, theologisch zu sprechen, der Glaube an einen persönlichen Gott und eilt ewiges Leben des menschlichen In¬ dividuums ihm uicht als Kompaß und Leitstern für sein Thun, als Quelle von Kraft und Trost in den schweren Wirrnissen und Kämpfen seiner staats¬ männischen Laufbahn gedient hätte. Das Christentum ist die Religion der Weltverachtung. Die Erde und das irdische Dasein des Menschen ist ihm im Gegensatze zum antiken

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/594>, abgerufen am 29.06.2024.