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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Bismarck und die Religion.

ligiöse Stimmung und religiöse Bedürfnisse zu erwecken und zu stärken, die
Universität und der Umgang mit den Freunden der nächstfolgenden Zeit noch
weniger. Es war die Periode seines Lebens, wo er sich durch allerlei Exzen-
tritciten den Namen des "tollen Junkers" erwarb, ein Seelenzustand voll Gährung,
Rausch und Sturm, voll Übermut und Unfug. Doch war diese Zeit nicht ganz
ohne Streben nach Höherem und Besserem, und das Ende war Überdruß an
dem bisherigen Treiben und Sehnsucht nach Flucht aus dem Verdruß, den es
zur Folge gehabt. "Wie viele ihrer Dichter, sagt Goethe, indem er vom Trüb¬
sinn in den Werken englischer Poeten spricht,*) haben nicht in der Jugend ein
loses und rauschendes Leben geführt und sich früh berechtigt gefunden, die
irdischen Dinge der Eitelkeit anzuklagen." Das hat offenbar auch von der schon
damals im Grunde ernsten Natur Bismarcks zu gelten. Vielleicht regten ihn
solche Dichtungen nebenher an. Ferner hatte er sich in der Zwischenzeit zwischen
seinen Studentenjahren und dem Beginn dieser Umkehr mit Spinoza bekannt ge¬
macht, und wenn wir auch nicht wissen, wie weit er sich dessen Weltanschauung
damals angeeignet hat, so dürfen wir doch vermuten, daß sie auf ihn gewirkt
hat und Mitursache des Weltschmerzes gewesen ist, der ihn in jenen Tagen
ergriff und noch lange nachher erfüllte. Auch körperliche Zustände werden bei¬
getragen haben, wenn die Welt ihm öde und düster erschien. Er unterschreibt
sich in einem Briefe an seine Schwester (August 1846), allerdings halb im
Scherze, "dein schwindsüchtiger Bruder." Auch an andre Leiden, die Melan¬
cholie zur Folge haben, z. B. an verstimmte Magennerven, dürfen wir deuten.
Endlich waren seine Vermögensverhältnisse in dieser Epoche seiner Entwicklung
einige Jahre lang dazu angethan, ihn schwermütig zu machen und Sehnsucht
nach Zurückgezogenheit aus der Welt zu erzeugen. Es war eine Gemütsver¬
fassung, in welcher er einmal "mit den letzten tausend Thalern" in die polnischen
Wälder auswandern wollte, um dort als einsamer Farmer und Jäger ein neues
Leben zu beginnen. Ein andrer, ein Katholik, hätte vermutlich daran gedacht,
Einsiedler in härener Kutte zu werden oder in ein Kloster mit strenger Obser-
vanz zu gehen.

So war der jetzt an der Wende zwischen den zwanziger und den dreißiger
Jahren Stehende vorbereitet, in ein andres Stadium seines seelischen Werdens
einzutreten, und wir werden kaum irren, wenn wir annehmen, daß die Liebe z"
seiner spätern Gemahlin dabei die Führerin war oder doch das in ihm Keimende
zum Aufsprieße" brachte. Johanna von Puttkamer war die Tochter eines frommen
Hauses, auf das der Geist Herrnhuts stark gewirkt hatte. Daß der Junker
vom "Kneiphof," der junge Mann, aus dem der "eiserne Kanzler" werden sollte,
diesem Geiste zugänglich war, darf nach dem Gesagten nicht Wunder nehmen,
zumal er einem weichen Zuge im Charakter Bismarcks entsprach, dem wir auch



*) A. a. O,, Band 22, S. 161.
Bismarck und die Religion.

ligiöse Stimmung und religiöse Bedürfnisse zu erwecken und zu stärken, die
Universität und der Umgang mit den Freunden der nächstfolgenden Zeit noch
weniger. Es war die Periode seines Lebens, wo er sich durch allerlei Exzen-
tritciten den Namen des „tollen Junkers" erwarb, ein Seelenzustand voll Gährung,
Rausch und Sturm, voll Übermut und Unfug. Doch war diese Zeit nicht ganz
ohne Streben nach Höherem und Besserem, und das Ende war Überdruß an
dem bisherigen Treiben und Sehnsucht nach Flucht aus dem Verdruß, den es
zur Folge gehabt. „Wie viele ihrer Dichter, sagt Goethe, indem er vom Trüb¬
sinn in den Werken englischer Poeten spricht,*) haben nicht in der Jugend ein
loses und rauschendes Leben geführt und sich früh berechtigt gefunden, die
irdischen Dinge der Eitelkeit anzuklagen." Das hat offenbar auch von der schon
damals im Grunde ernsten Natur Bismarcks zu gelten. Vielleicht regten ihn
solche Dichtungen nebenher an. Ferner hatte er sich in der Zwischenzeit zwischen
seinen Studentenjahren und dem Beginn dieser Umkehr mit Spinoza bekannt ge¬
macht, und wenn wir auch nicht wissen, wie weit er sich dessen Weltanschauung
damals angeeignet hat, so dürfen wir doch vermuten, daß sie auf ihn gewirkt
hat und Mitursache des Weltschmerzes gewesen ist, der ihn in jenen Tagen
ergriff und noch lange nachher erfüllte. Auch körperliche Zustände werden bei¬
getragen haben, wenn die Welt ihm öde und düster erschien. Er unterschreibt
sich in einem Briefe an seine Schwester (August 1846), allerdings halb im
Scherze, „dein schwindsüchtiger Bruder." Auch an andre Leiden, die Melan¬
cholie zur Folge haben, z. B. an verstimmte Magennerven, dürfen wir deuten.
Endlich waren seine Vermögensverhältnisse in dieser Epoche seiner Entwicklung
einige Jahre lang dazu angethan, ihn schwermütig zu machen und Sehnsucht
nach Zurückgezogenheit aus der Welt zu erzeugen. Es war eine Gemütsver¬
fassung, in welcher er einmal „mit den letzten tausend Thalern" in die polnischen
Wälder auswandern wollte, um dort als einsamer Farmer und Jäger ein neues
Leben zu beginnen. Ein andrer, ein Katholik, hätte vermutlich daran gedacht,
Einsiedler in härener Kutte zu werden oder in ein Kloster mit strenger Obser-
vanz zu gehen.

So war der jetzt an der Wende zwischen den zwanziger und den dreißiger
Jahren Stehende vorbereitet, in ein andres Stadium seines seelischen Werdens
einzutreten, und wir werden kaum irren, wenn wir annehmen, daß die Liebe z»
seiner spätern Gemahlin dabei die Führerin war oder doch das in ihm Keimende
zum Aufsprieße« brachte. Johanna von Puttkamer war die Tochter eines frommen
Hauses, auf das der Geist Herrnhuts stark gewirkt hatte. Daß der Junker
vom „Kneiphof," der junge Mann, aus dem der „eiserne Kanzler" werden sollte,
diesem Geiste zugänglich war, darf nach dem Gesagten nicht Wunder nehmen,
zumal er einem weichen Zuge im Charakter Bismarcks entsprach, dem wir auch



*) A. a. O,, Band 22, S. 161.
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[0592] Bismarck und die Religion. ligiöse Stimmung und religiöse Bedürfnisse zu erwecken und zu stärken, die Universität und der Umgang mit den Freunden der nächstfolgenden Zeit noch weniger. Es war die Periode seines Lebens, wo er sich durch allerlei Exzen- tritciten den Namen des „tollen Junkers" erwarb, ein Seelenzustand voll Gährung, Rausch und Sturm, voll Übermut und Unfug. Doch war diese Zeit nicht ganz ohne Streben nach Höherem und Besserem, und das Ende war Überdruß an dem bisherigen Treiben und Sehnsucht nach Flucht aus dem Verdruß, den es zur Folge gehabt. „Wie viele ihrer Dichter, sagt Goethe, indem er vom Trüb¬ sinn in den Werken englischer Poeten spricht,*) haben nicht in der Jugend ein loses und rauschendes Leben geführt und sich früh berechtigt gefunden, die irdischen Dinge der Eitelkeit anzuklagen." Das hat offenbar auch von der schon damals im Grunde ernsten Natur Bismarcks zu gelten. Vielleicht regten ihn solche Dichtungen nebenher an. Ferner hatte er sich in der Zwischenzeit zwischen seinen Studentenjahren und dem Beginn dieser Umkehr mit Spinoza bekannt ge¬ macht, und wenn wir auch nicht wissen, wie weit er sich dessen Weltanschauung damals angeeignet hat, so dürfen wir doch vermuten, daß sie auf ihn gewirkt hat und Mitursache des Weltschmerzes gewesen ist, der ihn in jenen Tagen ergriff und noch lange nachher erfüllte. Auch körperliche Zustände werden bei¬ getragen haben, wenn die Welt ihm öde und düster erschien. Er unterschreibt sich in einem Briefe an seine Schwester (August 1846), allerdings halb im Scherze, „dein schwindsüchtiger Bruder." Auch an andre Leiden, die Melan¬ cholie zur Folge haben, z. B. an verstimmte Magennerven, dürfen wir deuten. Endlich waren seine Vermögensverhältnisse in dieser Epoche seiner Entwicklung einige Jahre lang dazu angethan, ihn schwermütig zu machen und Sehnsucht nach Zurückgezogenheit aus der Welt zu erzeugen. Es war eine Gemütsver¬ fassung, in welcher er einmal „mit den letzten tausend Thalern" in die polnischen Wälder auswandern wollte, um dort als einsamer Farmer und Jäger ein neues Leben zu beginnen. Ein andrer, ein Katholik, hätte vermutlich daran gedacht, Einsiedler in härener Kutte zu werden oder in ein Kloster mit strenger Obser- vanz zu gehen. So war der jetzt an der Wende zwischen den zwanziger und den dreißiger Jahren Stehende vorbereitet, in ein andres Stadium seines seelischen Werdens einzutreten, und wir werden kaum irren, wenn wir annehmen, daß die Liebe z» seiner spätern Gemahlin dabei die Führerin war oder doch das in ihm Keimende zum Aufsprieße« brachte. Johanna von Puttkamer war die Tochter eines frommen Hauses, auf das der Geist Herrnhuts stark gewirkt hatte. Daß der Junker vom „Kneiphof," der junge Mann, aus dem der „eiserne Kanzler" werden sollte, diesem Geiste zugänglich war, darf nach dem Gesagten nicht Wunder nehmen, zumal er einem weichen Zuge im Charakter Bismarcks entsprach, dem wir auch *) A. a. O,, Band 22, S. 161.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/592>, abgerufen am 29.06.2024.