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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Bismarck und die Religion.

empfunden habe. Selbst einen begeisterten Apologeten des Katholizismus können
wir in ihm erblicken, wenn wir uns an die Schlußszene im zweiten Teile des
"Faust" oder an gewisse Äußerungen in "Wahrheit und Dichtung" erinnern.
Die letztern, in das Jahr 1812 gehörig, sind eine geradezu erstaunliche Ver¬
herrlichung des Wesens und der Einrichtung der päpstlichen Kirche, namentlich
der sieben Sakramente und vor allem der Priesterweihe.*) Aber kurz vorher hatte
sich Goethe als Spinozist mit leidenschaftlicher Abneigung gegen das Christentum
ausgesprochen, und kurz nachher spottete er als persischer Derwisch über das
Mysterium der kirchlichen Dreieinigkeit.

Nun scheint es, als ob bei Bismarck die Wahrheit in Betreff seines reli¬
giösen Glaubens nicht so schwer herauszufinden sei als bei Goethe; denn wir
begegnen bei ihm sehr selten Äußerungen dieses Glaubens, die sich mit andern
nicht Wohl vereinigen lassen, und niemals Gedanken über die Sache, welche
früher von ihm ausgesprochnen direkt gegenüberstehen. Gleichwohl werden wir
nicht umhin können, uns vor Verwendung des Materials, das er uns geliefert
hat, die oben angedeuteten Fragen und vielleicht noch einige andre vorzulegen.

Als sicher ist von vornherein anzunehmen, daß Bismarck nicht zu allen Zeiten
derselbe, daß er nie ganz mit sich fertig gewesen ist. Wie ans politischem Ge¬
biete, hat er anch auf religiösem nachweislich, und wie er selbst einmal zugesteht,
verschiedne Entwicklungsstufen eingenommen. Er hat seine rationalistische
Periode durchgemacht, er hat dann eine Zeit durchlebt, wo er ungläubig oder
wo ihm die Religion wenigstens kein Bedürfnis war, er äußerte sich später in
sehr entschiedener Weise dergestalt, daß man annehmen muß, er stehe auf christ¬
lichem, ja auf konfessionellen Standpunkte, und er scheint in den letzten Jahren
davon nur soviel behalten zu haben, daß wir ihn einfach als tiefreligiösen Geist be¬
zeichnen können, der fest an Gott, an eine göttliche Ordnung und eine persön¬
liche Fortdauer nach dem Tode glaubt, seine Pflicht aus diesem Glauben her¬
leitet und seine Kraft zu deren Erfüllung aus ihm zu schöpfen gewohnt ist,
aber wenig auf die Konfession giebt, nichts von Unduldsamkeit wissen will und
kein starkes Verlangen empfindet, sich mit kirchlichen Observcmzen und dem
Genuß der Gnadenmittel zu erbauen.

Die äußern Einflüsse und die innern Vorgänge und Zustände, die auf
diese Wandlungen einwirkten, sind zum Teil nicht schwer zu erkennen. Die Jugend
des Fürsten siel in eine Zeit, wo der Rationalismus uoch weite Kreise beherrschte.
Seine Mutter war eine vorwiegend verständige, aufgeklärte Frau, sein Vater
ein Mann von Gemüt, aber ohne besonders tiefgehendes Begehren nach Be¬
kanntschaft und Einklang mit der überirdischen Welt. Die Schulen, in welchen
der Sohn dann seine erste Bildung erhielt, waren auch nicht geeignet, eine re-



*) Man findet sie in der Cottaschen Dnodezausgabc der Goethescher Werke, Band 21.
Seite 89 bis 94.
Bismarck und die Religion.

empfunden habe. Selbst einen begeisterten Apologeten des Katholizismus können
wir in ihm erblicken, wenn wir uns an die Schlußszene im zweiten Teile des
„Faust" oder an gewisse Äußerungen in „Wahrheit und Dichtung" erinnern.
Die letztern, in das Jahr 1812 gehörig, sind eine geradezu erstaunliche Ver¬
herrlichung des Wesens und der Einrichtung der päpstlichen Kirche, namentlich
der sieben Sakramente und vor allem der Priesterweihe.*) Aber kurz vorher hatte
sich Goethe als Spinozist mit leidenschaftlicher Abneigung gegen das Christentum
ausgesprochen, und kurz nachher spottete er als persischer Derwisch über das
Mysterium der kirchlichen Dreieinigkeit.

Nun scheint es, als ob bei Bismarck die Wahrheit in Betreff seines reli¬
giösen Glaubens nicht so schwer herauszufinden sei als bei Goethe; denn wir
begegnen bei ihm sehr selten Äußerungen dieses Glaubens, die sich mit andern
nicht Wohl vereinigen lassen, und niemals Gedanken über die Sache, welche
früher von ihm ausgesprochnen direkt gegenüberstehen. Gleichwohl werden wir
nicht umhin können, uns vor Verwendung des Materials, das er uns geliefert
hat, die oben angedeuteten Fragen und vielleicht noch einige andre vorzulegen.

Als sicher ist von vornherein anzunehmen, daß Bismarck nicht zu allen Zeiten
derselbe, daß er nie ganz mit sich fertig gewesen ist. Wie ans politischem Ge¬
biete, hat er anch auf religiösem nachweislich, und wie er selbst einmal zugesteht,
verschiedne Entwicklungsstufen eingenommen. Er hat seine rationalistische
Periode durchgemacht, er hat dann eine Zeit durchlebt, wo er ungläubig oder
wo ihm die Religion wenigstens kein Bedürfnis war, er äußerte sich später in
sehr entschiedener Weise dergestalt, daß man annehmen muß, er stehe auf christ¬
lichem, ja auf konfessionellen Standpunkte, und er scheint in den letzten Jahren
davon nur soviel behalten zu haben, daß wir ihn einfach als tiefreligiösen Geist be¬
zeichnen können, der fest an Gott, an eine göttliche Ordnung und eine persön¬
liche Fortdauer nach dem Tode glaubt, seine Pflicht aus diesem Glauben her¬
leitet und seine Kraft zu deren Erfüllung aus ihm zu schöpfen gewohnt ist,
aber wenig auf die Konfession giebt, nichts von Unduldsamkeit wissen will und
kein starkes Verlangen empfindet, sich mit kirchlichen Observcmzen und dem
Genuß der Gnadenmittel zu erbauen.

Die äußern Einflüsse und die innern Vorgänge und Zustände, die auf
diese Wandlungen einwirkten, sind zum Teil nicht schwer zu erkennen. Die Jugend
des Fürsten siel in eine Zeit, wo der Rationalismus uoch weite Kreise beherrschte.
Seine Mutter war eine vorwiegend verständige, aufgeklärte Frau, sein Vater
ein Mann von Gemüt, aber ohne besonders tiefgehendes Begehren nach Be¬
kanntschaft und Einklang mit der überirdischen Welt. Die Schulen, in welchen
der Sohn dann seine erste Bildung erhielt, waren auch nicht geeignet, eine re-



*) Man findet sie in der Cottaschen Dnodezausgabc der Goethescher Werke, Band 21.
Seite 89 bis 94.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/591>, abgerufen am 29.06.2024.