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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Vismarck und die Religion.
von Moritz Busch.

n der folgenden Darstellung wird der Versuch unternommen, den
Reichskanzler durch Gruppirung einer Reihe öffentlicher und pri¬
vater Äußerungen desselben sich uach seiner Stellung zu den
göttlichen Dingen selbst charakterisiren zu lassen. Dabei wird
laber mit besondrer Behutsamkeit zu Werke zu gehen sein, und
noch mehr wie bei Betrachtungen, welche Bismarck in seiner Eigenschaft als Po¬
litiker zu erkennen bemüht sind, werden wir uns hier vor generalisirender Be¬
handlung in Acht zu nehmen haben. Das ziemlich reiche Material, das uns
zur Beurteilung des Verhaltens des Fürsten zur Religion vorliegt, ist nicht
durchaus von gleichem Werte, es will gesichtet sein, und zwar noch sorgfältiger
als das, welches für Schlüsse auf andre Züge seiner geistigen Physiognomie
zur Hand ist.

Man kann eine Abhandlung über Goethe als Politiker, als Patrioten oder
Kosmopoliten schreiben und damit nur zu halb wahren oder ganz unrichtigen
Ergebnissen gelangen, wenn man die Meinungskundgebnngen desselben, die dabei
zur Grundlage dienen und als Belege angeführt werden, nicht auf ihre Zeit und
ihren unmittelbaren Zweck, auf ihre Entstehung und ihren Zusammenhang an¬
sieht. Sie sind nach der Entwicklungsperiode des Denkers und Dichters, in
die sie fallen, nach der Stimmung, in der er sich gerade befand, nach den Ein¬
flüssen, welche die eben herrschende Philosophie und die um ihn werdenden oder
ihn fertig umgebenden staatlichen Zustände auf ihn üben konnten, endlich auch
nach den Personen zu beurteilen, an die er sich mit ihnen wendete. Erst dann
werden sie ihre rechte Verwertung finden, und erst dann wird sich das Vor¬
wiegende und Bleibende in ihrer Gesamtheit nach seiner wahren historischen
Bedeutung Heransstellen. Wer anders verfährt -- und man ist in der That
vielfach anders verfahren --, wer gar mit vorgefaßter Meinung sucht und zu¬
sammenfügt, kann uns ebenso leicht deduziren, daß Goethe ein "Fürstenknecht,"
ein Reaktionär, ein vaterlandsloscr Geist, als daß er das Gegenteil von dem
allen gewesen sei. Sogar zu einer Art Sozialisten mit Phalcmstöre-Jdeen vor¬
nehmeren Zuschnitts kann man ihn auf diesem Wege machen, wenn man Kapitel
aus Meisters Wanderjahren heranzieht. Dasselbe aber gilt in noch höherem
Grade von seiner Stellung zur Religion und Kirche. Man kann aus seinen
Dichtungen und seiner Korrespondenz Stellen herausgreifen, welche zu beweisen
scheinen, daß er ein Heide oder ein Pantheist gewesen sei, und ein andrer kann
mit andern Belegen ebenso einleuchtend darthun, daß er christlich gedacht und


Vismarck und die Religion.
von Moritz Busch.

n der folgenden Darstellung wird der Versuch unternommen, den
Reichskanzler durch Gruppirung einer Reihe öffentlicher und pri¬
vater Äußerungen desselben sich uach seiner Stellung zu den
göttlichen Dingen selbst charakterisiren zu lassen. Dabei wird
laber mit besondrer Behutsamkeit zu Werke zu gehen sein, und
noch mehr wie bei Betrachtungen, welche Bismarck in seiner Eigenschaft als Po¬
litiker zu erkennen bemüht sind, werden wir uns hier vor generalisirender Be¬
handlung in Acht zu nehmen haben. Das ziemlich reiche Material, das uns
zur Beurteilung des Verhaltens des Fürsten zur Religion vorliegt, ist nicht
durchaus von gleichem Werte, es will gesichtet sein, und zwar noch sorgfältiger
als das, welches für Schlüsse auf andre Züge seiner geistigen Physiognomie
zur Hand ist.

Man kann eine Abhandlung über Goethe als Politiker, als Patrioten oder
Kosmopoliten schreiben und damit nur zu halb wahren oder ganz unrichtigen
Ergebnissen gelangen, wenn man die Meinungskundgebnngen desselben, die dabei
zur Grundlage dienen und als Belege angeführt werden, nicht auf ihre Zeit und
ihren unmittelbaren Zweck, auf ihre Entstehung und ihren Zusammenhang an¬
sieht. Sie sind nach der Entwicklungsperiode des Denkers und Dichters, in
die sie fallen, nach der Stimmung, in der er sich gerade befand, nach den Ein¬
flüssen, welche die eben herrschende Philosophie und die um ihn werdenden oder
ihn fertig umgebenden staatlichen Zustände auf ihn üben konnten, endlich auch
nach den Personen zu beurteilen, an die er sich mit ihnen wendete. Erst dann
werden sie ihre rechte Verwertung finden, und erst dann wird sich das Vor¬
wiegende und Bleibende in ihrer Gesamtheit nach seiner wahren historischen
Bedeutung Heransstellen. Wer anders verfährt — und man ist in der That
vielfach anders verfahren —, wer gar mit vorgefaßter Meinung sucht und zu¬
sammenfügt, kann uns ebenso leicht deduziren, daß Goethe ein „Fürstenknecht,"
ein Reaktionär, ein vaterlandsloscr Geist, als daß er das Gegenteil von dem
allen gewesen sei. Sogar zu einer Art Sozialisten mit Phalcmstöre-Jdeen vor¬
nehmeren Zuschnitts kann man ihn auf diesem Wege machen, wenn man Kapitel
aus Meisters Wanderjahren heranzieht. Dasselbe aber gilt in noch höherem
Grade von seiner Stellung zur Religion und Kirche. Man kann aus seinen
Dichtungen und seiner Korrespondenz Stellen herausgreifen, welche zu beweisen
scheinen, daß er ein Heide oder ein Pantheist gewesen sei, und ein andrer kann
mit andern Belegen ebenso einleuchtend darthun, daß er christlich gedacht und


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[0590] Vismarck und die Religion. von Moritz Busch. n der folgenden Darstellung wird der Versuch unternommen, den Reichskanzler durch Gruppirung einer Reihe öffentlicher und pri¬ vater Äußerungen desselben sich uach seiner Stellung zu den göttlichen Dingen selbst charakterisiren zu lassen. Dabei wird laber mit besondrer Behutsamkeit zu Werke zu gehen sein, und noch mehr wie bei Betrachtungen, welche Bismarck in seiner Eigenschaft als Po¬ litiker zu erkennen bemüht sind, werden wir uns hier vor generalisirender Be¬ handlung in Acht zu nehmen haben. Das ziemlich reiche Material, das uns zur Beurteilung des Verhaltens des Fürsten zur Religion vorliegt, ist nicht durchaus von gleichem Werte, es will gesichtet sein, und zwar noch sorgfältiger als das, welches für Schlüsse auf andre Züge seiner geistigen Physiognomie zur Hand ist. Man kann eine Abhandlung über Goethe als Politiker, als Patrioten oder Kosmopoliten schreiben und damit nur zu halb wahren oder ganz unrichtigen Ergebnissen gelangen, wenn man die Meinungskundgebnngen desselben, die dabei zur Grundlage dienen und als Belege angeführt werden, nicht auf ihre Zeit und ihren unmittelbaren Zweck, auf ihre Entstehung und ihren Zusammenhang an¬ sieht. Sie sind nach der Entwicklungsperiode des Denkers und Dichters, in die sie fallen, nach der Stimmung, in der er sich gerade befand, nach den Ein¬ flüssen, welche die eben herrschende Philosophie und die um ihn werdenden oder ihn fertig umgebenden staatlichen Zustände auf ihn üben konnten, endlich auch nach den Personen zu beurteilen, an die er sich mit ihnen wendete. Erst dann werden sie ihre rechte Verwertung finden, und erst dann wird sich das Vor¬ wiegende und Bleibende in ihrer Gesamtheit nach seiner wahren historischen Bedeutung Heransstellen. Wer anders verfährt — und man ist in der That vielfach anders verfahren —, wer gar mit vorgefaßter Meinung sucht und zu¬ sammenfügt, kann uns ebenso leicht deduziren, daß Goethe ein „Fürstenknecht," ein Reaktionär, ein vaterlandsloscr Geist, als daß er das Gegenteil von dem allen gewesen sei. Sogar zu einer Art Sozialisten mit Phalcmstöre-Jdeen vor¬ nehmeren Zuschnitts kann man ihn auf diesem Wege machen, wenn man Kapitel aus Meisters Wanderjahren heranzieht. Dasselbe aber gilt in noch höherem Grade von seiner Stellung zur Religion und Kirche. Man kann aus seinen Dichtungen und seiner Korrespondenz Stellen herausgreifen, welche zu beweisen scheinen, daß er ein Heide oder ein Pantheist gewesen sei, und ein andrer kann mit andern Belegen ebenso einleuchtend darthun, daß er christlich gedacht und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/590>, abgerufen am 29.06.2024.