Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Verstaatlichung der Armenlasten.

ziffer derselben würde sich mehr ausgleichen. In den übervölkerten bäuerlichen
Kommunen ist nämlich selbstverständlich der Bvdenpreis ein viel höherer als in
den dünn bevölkerten. Kann nun der Arbeiter überall einen Streifen Landes
erwerben, so wird er natürlich da kaufen, wo es am billigsten ist, also in den
letztern. Damit würde die Bevölkerungsziffer dieser letztern schnell steigen, die
der erstern stehen bleiben oder wenigstens nur langsam zunehmen.

Die großen Städte aber wiederum blieben vor dem Zuzüge zu großer
Arbeitermassen, von denen in ihnen ein Teil oft wegen nicht hinreichend lohnender
und nicht passender Arbeit in eil? gefährliches Proletariat sich umwandelt, be¬
wahrt, denn eine große Quote der Arbeiter, die jetzt ihre Heimat verläßt, wäre
nun an dieselbe gefesselt durch Aussicht auf die Erfüllung des Wunsches, eine
Scholle erwerben und auf eignem Grund und Boden ihr Heim gründen zu
können -- eines Wunsches, der wohl fast in der Brust jedes Menschen wohnt.
Daß damit auch der Auswanderung nach den gegenwärtig so ersehnten Gefilden
überseeischer, chimärischer Paradiese ein Halt zugerufen werden würde, ist wohl
nicht zu bezweifeln.

Wir sehen also, daß mit der Verstaatlichung der Armenlasten eine neue
Ära des Gedeihens und Aufblühens für unser Vaterland anbrechen würde. Noch
günstiger freilich würde sich alles gestalten, wenn dazu noch die Übernahme der
Schullasten auf den Staat käme; es wären dann vielleicht die Vorbedingungen
geschaffen, um eine Gemeindeordnung für das platte Land ins Leben zu rufen,
ohne zugleich die einzelne Kommune zu hart und zu ungerecht zu treffen.

Aber auch das Loos der Armen und Hilfsbedürftigen würde sich günstiger
gestalten; denn einerseits kann der Staat besser für sie sorgen als die einzelne
Gemeinde, die schließlich trotz allen Mitgefühles mit den Notleidenden doch bei
der augenblicklichen Lage in der Armenpflege nur eine Last erblicken muß, die
sie zu tragen gezwungen ist, andrerseits würde, wenn dieser Zwang beseitigt
wäre, die Privatwohlthätigkeit weit mehr als jetzt dem einzelnen Armen zu Gute
kommen. Freiwillig geben ja die Deutschen gern und viel, während auch der
loyalste unsrer Mitbürger, wenn es heißt: Du mußt! eines unbehaglichen Ge¬
fühles sich nicht erwehren kann.




Gronzbvtni IV. 1882.74
Die Verstaatlichung der Armenlasten.

ziffer derselben würde sich mehr ausgleichen. In den übervölkerten bäuerlichen
Kommunen ist nämlich selbstverständlich der Bvdenpreis ein viel höherer als in
den dünn bevölkerten. Kann nun der Arbeiter überall einen Streifen Landes
erwerben, so wird er natürlich da kaufen, wo es am billigsten ist, also in den
letztern. Damit würde die Bevölkerungsziffer dieser letztern schnell steigen, die
der erstern stehen bleiben oder wenigstens nur langsam zunehmen.

Die großen Städte aber wiederum blieben vor dem Zuzüge zu großer
Arbeitermassen, von denen in ihnen ein Teil oft wegen nicht hinreichend lohnender
und nicht passender Arbeit in eil? gefährliches Proletariat sich umwandelt, be¬
wahrt, denn eine große Quote der Arbeiter, die jetzt ihre Heimat verläßt, wäre
nun an dieselbe gefesselt durch Aussicht auf die Erfüllung des Wunsches, eine
Scholle erwerben und auf eignem Grund und Boden ihr Heim gründen zu
können — eines Wunsches, der wohl fast in der Brust jedes Menschen wohnt.
Daß damit auch der Auswanderung nach den gegenwärtig so ersehnten Gefilden
überseeischer, chimärischer Paradiese ein Halt zugerufen werden würde, ist wohl
nicht zu bezweifeln.

Wir sehen also, daß mit der Verstaatlichung der Armenlasten eine neue
Ära des Gedeihens und Aufblühens für unser Vaterland anbrechen würde. Noch
günstiger freilich würde sich alles gestalten, wenn dazu noch die Übernahme der
Schullasten auf den Staat käme; es wären dann vielleicht die Vorbedingungen
geschaffen, um eine Gemeindeordnung für das platte Land ins Leben zu rufen,
ohne zugleich die einzelne Kommune zu hart und zu ungerecht zu treffen.

Aber auch das Loos der Armen und Hilfsbedürftigen würde sich günstiger
gestalten; denn einerseits kann der Staat besser für sie sorgen als die einzelne
Gemeinde, die schließlich trotz allen Mitgefühles mit den Notleidenden doch bei
der augenblicklichen Lage in der Armenpflege nur eine Last erblicken muß, die
sie zu tragen gezwungen ist, andrerseits würde, wenn dieser Zwang beseitigt
wäre, die Privatwohlthätigkeit weit mehr als jetzt dem einzelnen Armen zu Gute
kommen. Freiwillig geben ja die Deutschen gern und viel, während auch der
loyalste unsrer Mitbürger, wenn es heißt: Du mußt! eines unbehaglichen Ge¬
fühles sich nicht erwehren kann.




Gronzbvtni IV. 1882.74
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0589" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/194567"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Verstaatlichung der Armenlasten.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2118" prev="#ID_2117"> ziffer derselben würde sich mehr ausgleichen. In den übervölkerten bäuerlichen<lb/>
Kommunen ist nämlich selbstverständlich der Bvdenpreis ein viel höherer als in<lb/>
den dünn bevölkerten. Kann nun der Arbeiter überall einen Streifen Landes<lb/>
erwerben, so wird er natürlich da kaufen, wo es am billigsten ist, also in den<lb/>
letztern. Damit würde die Bevölkerungsziffer dieser letztern schnell steigen, die<lb/>
der erstern stehen bleiben oder wenigstens nur langsam zunehmen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2119"> Die großen Städte aber wiederum blieben vor dem Zuzüge zu großer<lb/>
Arbeitermassen, von denen in ihnen ein Teil oft wegen nicht hinreichend lohnender<lb/>
und nicht passender Arbeit in eil? gefährliches Proletariat sich umwandelt, be¬<lb/>
wahrt, denn eine große Quote der Arbeiter, die jetzt ihre Heimat verläßt, wäre<lb/>
nun an dieselbe gefesselt durch Aussicht auf die Erfüllung des Wunsches, eine<lb/>
Scholle erwerben und auf eignem Grund und Boden ihr Heim gründen zu<lb/>
können &#x2014; eines Wunsches, der wohl fast in der Brust jedes Menschen wohnt.<lb/>
Daß damit auch der Auswanderung nach den gegenwärtig so ersehnten Gefilden<lb/>
überseeischer, chimärischer Paradiese ein Halt zugerufen werden würde, ist wohl<lb/>
nicht zu bezweifeln.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2120"> Wir sehen also, daß mit der Verstaatlichung der Armenlasten eine neue<lb/>
Ära des Gedeihens und Aufblühens für unser Vaterland anbrechen würde. Noch<lb/>
günstiger freilich würde sich alles gestalten, wenn dazu noch die Übernahme der<lb/>
Schullasten auf den Staat käme; es wären dann vielleicht die Vorbedingungen<lb/>
geschaffen, um eine Gemeindeordnung für das platte Land ins Leben zu rufen,<lb/>
ohne zugleich die einzelne Kommune zu hart und zu ungerecht zu treffen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2121"> Aber auch das Loos der Armen und Hilfsbedürftigen würde sich günstiger<lb/>
gestalten; denn einerseits kann der Staat besser für sie sorgen als die einzelne<lb/>
Gemeinde, die schließlich trotz allen Mitgefühles mit den Notleidenden doch bei<lb/>
der augenblicklichen Lage in der Armenpflege nur eine Last erblicken muß, die<lb/>
sie zu tragen gezwungen ist, andrerseits würde, wenn dieser Zwang beseitigt<lb/>
wäre, die Privatwohlthätigkeit weit mehr als jetzt dem einzelnen Armen zu Gute<lb/>
kommen. Freiwillig geben ja die Deutschen gern und viel, während auch der<lb/>
loyalste unsrer Mitbürger, wenn es heißt: Du mußt! eines unbehaglichen Ge¬<lb/>
fühles sich nicht erwehren kann.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Gronzbvtni IV. 1882.74</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0589] Die Verstaatlichung der Armenlasten. ziffer derselben würde sich mehr ausgleichen. In den übervölkerten bäuerlichen Kommunen ist nämlich selbstverständlich der Bvdenpreis ein viel höherer als in den dünn bevölkerten. Kann nun der Arbeiter überall einen Streifen Landes erwerben, so wird er natürlich da kaufen, wo es am billigsten ist, also in den letztern. Damit würde die Bevölkerungsziffer dieser letztern schnell steigen, die der erstern stehen bleiben oder wenigstens nur langsam zunehmen. Die großen Städte aber wiederum blieben vor dem Zuzüge zu großer Arbeitermassen, von denen in ihnen ein Teil oft wegen nicht hinreichend lohnender und nicht passender Arbeit in eil? gefährliches Proletariat sich umwandelt, be¬ wahrt, denn eine große Quote der Arbeiter, die jetzt ihre Heimat verläßt, wäre nun an dieselbe gefesselt durch Aussicht auf die Erfüllung des Wunsches, eine Scholle erwerben und auf eignem Grund und Boden ihr Heim gründen zu können — eines Wunsches, der wohl fast in der Brust jedes Menschen wohnt. Daß damit auch der Auswanderung nach den gegenwärtig so ersehnten Gefilden überseeischer, chimärischer Paradiese ein Halt zugerufen werden würde, ist wohl nicht zu bezweifeln. Wir sehen also, daß mit der Verstaatlichung der Armenlasten eine neue Ära des Gedeihens und Aufblühens für unser Vaterland anbrechen würde. Noch günstiger freilich würde sich alles gestalten, wenn dazu noch die Übernahme der Schullasten auf den Staat käme; es wären dann vielleicht die Vorbedingungen geschaffen, um eine Gemeindeordnung für das platte Land ins Leben zu rufen, ohne zugleich die einzelne Kommune zu hart und zu ungerecht zu treffen. Aber auch das Loos der Armen und Hilfsbedürftigen würde sich günstiger gestalten; denn einerseits kann der Staat besser für sie sorgen als die einzelne Gemeinde, die schließlich trotz allen Mitgefühles mit den Notleidenden doch bei der augenblicklichen Lage in der Armenpflege nur eine Last erblicken muß, die sie zu tragen gezwungen ist, andrerseits würde, wenn dieser Zwang beseitigt wäre, die Privatwohlthätigkeit weit mehr als jetzt dem einzelnen Armen zu Gute kommen. Freiwillig geben ja die Deutschen gern und viel, während auch der loyalste unsrer Mitbürger, wenn es heißt: Du mußt! eines unbehaglichen Ge¬ fühles sich nicht erwehren kann. Gronzbvtni IV. 1882.74

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/589
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/589>, abgerufen am 29.06.2024.