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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Verstaatlichung der Armenlasten.

situirtes Bauerndorf mit mehreren andren Kommunen der letzten Kategorie, die
große Armenlasten zu tragen haben, in einen Armenverband zusammengelegt
wird? Und wäre das nicht eine schwere Ungerechtigkeit, die die, welche um¬
sichtiger gewesen sind, gleichsam für ihre Umsicht straft und ihnen ein gutes
Teil der Lasten jener aufpackt, denen durch eignes Verschulden große Aus¬
gaben für die Armenpflege erwachsen sind? Würde dadurch nicht eine maßlose
Erbitterung in den geschädigten Gemeinden hervorgerufen werden?

Dem unbefangenen Blick eines Sachkundigen muß nach dem Gesagten die
Bildung großer Armenverbände vorläufig undurchführbar erscheinen. Und auch
das platte Laud dürfte sich ausnahmslos energisch dagegen stranden, da jede
Gemeinde durch eine Vereinigung mit andern sich für geschädigt halten würde,
gleichviel ob das wirklich der Fall wäre oder nicht.

Es ist übrigens bereits Ende der sechziger Jahre in Ostpreußen durch den
Oberpräsidenten von Horn der Versuch zur Bildung großer Armenverbände
gemacht worden durch eine Vorlage, die den Kreistagen proponirte, den ganzen
Kreis in einen Verband zu vereinigen; doch wurde diese Vorlage allgemein
abgelehnt. Vielleicht hätte es mehr Erfolg gehabt, wenn man versucht hätte,
den Kreis in drei große Verbände zu teilen, von denen jeder die gleichartigen
Bestandteile in sich zusammengefaßt hätte, sodaß von sämtlichen Städten, sämt¬
lichen Bauerndörfern und sämtlichen Gutsbezirken je für sich ein Armenverband
gebildet worden wäre. Indessen steht diesem Projekt wieder der Umstand ent¬
gegen, daß dann die Armenverbände nicht örtlich zusammenhängende Komplexe
bilden würden, was auch seiue Bedenken hat.

Mit großen Armenverbänden ist es also nichts. Und doch ließe sich für
dieselben, wenn man davon absähe, in ihnen ein Objekt für die Entlastung der
Städte auf Kosten des platten Landes zu konstruiren, ein Vorzug geltend
machen, der wenigstens einigermaßen ihren Nachteilen die Waage hielte: große
Armenverbände charakterisiren sich nämlich in gewisser Beziehung als auf Gegen¬
seitigkeit beruhende Gesellschaften gegen Armenschaden.

Die Nichtigkeit dieser Behauptung leuchtet sofort ein, wenn man erwägt,
daß es ganze Serien von Armenlasten giebt, die ebenso unberechenbar eintreten
wie Feuer- oder Hagelschaden, und die die eine Gemeinde Jahr für Jahr
treffen können, während sie die andern Jahrzehnte lang verschollen. Und zwar
sind diese Lasten die drückendsten und gefahrdrohendsten.

Wir wollen als Beleg hierfür nur zwei Möglichkeiten anführen, die gerade
in dem letzten Dezennium viele Gemeinden in unerhörter Weise geschädigt haben.

Die eine dieser Möglichkeiten tritt ein, wenn eine Änderung der Konjunkturen
des Arbeitsmarktes, lvie sie z. B. Anfang der siebziger Jahre die Gründerzeit
mit sich brachte, das Wegziehen großer Arbeitermassen nach weit entfernten
Distrikten veranlaßt. Den neuen Verhältnissen, der anders gearteten Arbeit
vermögen viele sich nicht anzupassen und verarmen. An ihre Heimatsorte tritt


Die Verstaatlichung der Armenlasten.

situirtes Bauerndorf mit mehreren andren Kommunen der letzten Kategorie, die
große Armenlasten zu tragen haben, in einen Armenverband zusammengelegt
wird? Und wäre das nicht eine schwere Ungerechtigkeit, die die, welche um¬
sichtiger gewesen sind, gleichsam für ihre Umsicht straft und ihnen ein gutes
Teil der Lasten jener aufpackt, denen durch eignes Verschulden große Aus¬
gaben für die Armenpflege erwachsen sind? Würde dadurch nicht eine maßlose
Erbitterung in den geschädigten Gemeinden hervorgerufen werden?

Dem unbefangenen Blick eines Sachkundigen muß nach dem Gesagten die
Bildung großer Armenverbände vorläufig undurchführbar erscheinen. Und auch
das platte Laud dürfte sich ausnahmslos energisch dagegen stranden, da jede
Gemeinde durch eine Vereinigung mit andern sich für geschädigt halten würde,
gleichviel ob das wirklich der Fall wäre oder nicht.

Es ist übrigens bereits Ende der sechziger Jahre in Ostpreußen durch den
Oberpräsidenten von Horn der Versuch zur Bildung großer Armenverbände
gemacht worden durch eine Vorlage, die den Kreistagen proponirte, den ganzen
Kreis in einen Verband zu vereinigen; doch wurde diese Vorlage allgemein
abgelehnt. Vielleicht hätte es mehr Erfolg gehabt, wenn man versucht hätte,
den Kreis in drei große Verbände zu teilen, von denen jeder die gleichartigen
Bestandteile in sich zusammengefaßt hätte, sodaß von sämtlichen Städten, sämt¬
lichen Bauerndörfern und sämtlichen Gutsbezirken je für sich ein Armenverband
gebildet worden wäre. Indessen steht diesem Projekt wieder der Umstand ent¬
gegen, daß dann die Armenverbände nicht örtlich zusammenhängende Komplexe
bilden würden, was auch seiue Bedenken hat.

Mit großen Armenverbänden ist es also nichts. Und doch ließe sich für
dieselben, wenn man davon absähe, in ihnen ein Objekt für die Entlastung der
Städte auf Kosten des platten Landes zu konstruiren, ein Vorzug geltend
machen, der wenigstens einigermaßen ihren Nachteilen die Waage hielte: große
Armenverbände charakterisiren sich nämlich in gewisser Beziehung als auf Gegen¬
seitigkeit beruhende Gesellschaften gegen Armenschaden.

Die Nichtigkeit dieser Behauptung leuchtet sofort ein, wenn man erwägt,
daß es ganze Serien von Armenlasten giebt, die ebenso unberechenbar eintreten
wie Feuer- oder Hagelschaden, und die die eine Gemeinde Jahr für Jahr
treffen können, während sie die andern Jahrzehnte lang verschollen. Und zwar
sind diese Lasten die drückendsten und gefahrdrohendsten.

Wir wollen als Beleg hierfür nur zwei Möglichkeiten anführen, die gerade
in dem letzten Dezennium viele Gemeinden in unerhörter Weise geschädigt haben.

Die eine dieser Möglichkeiten tritt ein, wenn eine Änderung der Konjunkturen
des Arbeitsmarktes, lvie sie z. B. Anfang der siebziger Jahre die Gründerzeit
mit sich brachte, das Wegziehen großer Arbeitermassen nach weit entfernten
Distrikten veranlaßt. Den neuen Verhältnissen, der anders gearteten Arbeit
vermögen viele sich nicht anzupassen und verarmen. An ihre Heimatsorte tritt


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[0584] Die Verstaatlichung der Armenlasten. situirtes Bauerndorf mit mehreren andren Kommunen der letzten Kategorie, die große Armenlasten zu tragen haben, in einen Armenverband zusammengelegt wird? Und wäre das nicht eine schwere Ungerechtigkeit, die die, welche um¬ sichtiger gewesen sind, gleichsam für ihre Umsicht straft und ihnen ein gutes Teil der Lasten jener aufpackt, denen durch eignes Verschulden große Aus¬ gaben für die Armenpflege erwachsen sind? Würde dadurch nicht eine maßlose Erbitterung in den geschädigten Gemeinden hervorgerufen werden? Dem unbefangenen Blick eines Sachkundigen muß nach dem Gesagten die Bildung großer Armenverbände vorläufig undurchführbar erscheinen. Und auch das platte Laud dürfte sich ausnahmslos energisch dagegen stranden, da jede Gemeinde durch eine Vereinigung mit andern sich für geschädigt halten würde, gleichviel ob das wirklich der Fall wäre oder nicht. Es ist übrigens bereits Ende der sechziger Jahre in Ostpreußen durch den Oberpräsidenten von Horn der Versuch zur Bildung großer Armenverbände gemacht worden durch eine Vorlage, die den Kreistagen proponirte, den ganzen Kreis in einen Verband zu vereinigen; doch wurde diese Vorlage allgemein abgelehnt. Vielleicht hätte es mehr Erfolg gehabt, wenn man versucht hätte, den Kreis in drei große Verbände zu teilen, von denen jeder die gleichartigen Bestandteile in sich zusammengefaßt hätte, sodaß von sämtlichen Städten, sämt¬ lichen Bauerndörfern und sämtlichen Gutsbezirken je für sich ein Armenverband gebildet worden wäre. Indessen steht diesem Projekt wieder der Umstand ent¬ gegen, daß dann die Armenverbände nicht örtlich zusammenhängende Komplexe bilden würden, was auch seiue Bedenken hat. Mit großen Armenverbänden ist es also nichts. Und doch ließe sich für dieselben, wenn man davon absähe, in ihnen ein Objekt für die Entlastung der Städte auf Kosten des platten Landes zu konstruiren, ein Vorzug geltend machen, der wenigstens einigermaßen ihren Nachteilen die Waage hielte: große Armenverbände charakterisiren sich nämlich in gewisser Beziehung als auf Gegen¬ seitigkeit beruhende Gesellschaften gegen Armenschaden. Die Nichtigkeit dieser Behauptung leuchtet sofort ein, wenn man erwägt, daß es ganze Serien von Armenlasten giebt, die ebenso unberechenbar eintreten wie Feuer- oder Hagelschaden, und die die eine Gemeinde Jahr für Jahr treffen können, während sie die andern Jahrzehnte lang verschollen. Und zwar sind diese Lasten die drückendsten und gefahrdrohendsten. Wir wollen als Beleg hierfür nur zwei Möglichkeiten anführen, die gerade in dem letzten Dezennium viele Gemeinden in unerhörter Weise geschädigt haben. Die eine dieser Möglichkeiten tritt ein, wenn eine Änderung der Konjunkturen des Arbeitsmarktes, lvie sie z. B. Anfang der siebziger Jahre die Gründerzeit mit sich brachte, das Wegziehen großer Arbeitermassen nach weit entfernten Distrikten veranlaßt. Den neuen Verhältnissen, der anders gearteten Arbeit vermögen viele sich nicht anzupassen und verarmen. An ihre Heimatsorte tritt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/584>, abgerufen am 29.06.2024.