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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Verstaatlichung der Armenlasten.

dieser Kategorie gehörigen Kommunen in der Regel in der Hand eines einzigen, des
Gutsbesitzers, der daher auch allem darüber zu entscheiden hat, welche Personen
oder Familien er in sein Gut aufnehmen oder, wie wohl präziser gesagt werden
muß, als feste Arbeiter engagiren will; denn die Gutsbesitzer geben für ge¬
wöhnlich nur Leuten, die zu ihnen in ein festes Dienstverhältnis treten, Wohnung.
Da um andrerseits der Gutsbesitzer auch alle Armenlasten allein zu tragen hat
oder doch nur eine kaum nennenswerte Quote auf seine Leute abwälzen könnte,
was jedoch aus leicht ersichtlichen Gründen kaum jemand thun wird, so ist es
selbstverständlich, daß auf Gütern einzelne Arbeiter oder gar ganze Familien,
deren Hilfsbedürftigkeit aus irgendwelchen Gründen in nicht zu langer Frist
mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, nicht leicht einen Dienst oder Wohnung
finden.

Eine gleiche Vorsicht kann natürlich in den bäuerlichen Kommunen nicht
angewendet werden, denn hier ist das Areal in eine größere Anzahl von Grund¬
stücken geteilt, deren Besitzern die Gemeinde nicht verwehren kann, ihre etwa
disponibel!? Wohnräume zu vermieten, an wen sie wollen. Und in Bezug auf
die persönliche Qualität ihrer Abmieter Pflegen die einzelnen Grundstücksbesitzer
nicht sehr wählerisch zu sein, wenn ihnen nur für einige Zeit ein guter Miets¬
ertrag gesichert ist. Verarmt später der Abmieter, so wird auf Exmission ge¬
klagt, und schließlich hat die ganze Gemeinde für den Verarmten zu sorgen.

Hierzu kommt noch, daß die Miete, die für kleine ländliche Arbeiter¬
wohnungen gezahlt wird, im Verhältnis zu den Kosten, die die Herstellung
derselben erfordert, oft eine ungewöhnlich hohe ist, und daß solche Wohnungen
auch trotz des hohen Preises sich leicht vermieten lassen, weil ein Teil der Miete
meistens in Arbeitsleistungen entrichtet wird. Dies alles hat in vielen Banern-
dörfern die Grundstücksbesitzer veranlaßt, kleine Mietskasernen, sogenannte
"Kälber," aufzubauen und dieselben an freie Arbeiter zu vermieten. Dadurch
ist in manchen bäuerlichen Kommunen bereits eine Übervölkerung eingetreten,
die die Armenlasten zu einer bedrohlichen Höhe emporgeschnellt hat.

Allerdings ist zuzugeben, daß eine derartige Praxis nicht überall vorwaltet.
Es giebt auch Bauerndörfer, deren Einwohnerschaft durch hohen Gemeinsinn
sich auszeichnet, und in denen fast die gleiche Vorsicht gegenüber Neuzuziehenden
angewandt wird wie in den Gütern. Dies kann aber die Thatsache nicht hinweg¬
räumen, daß im großen und ganzen die Armenlasten der Bauerndörfer wesentlich
höher find als die der Gutsbezirke.

In der allerungünstigsten Lage aber befinden sich die kleinen Landstädte,
weil in ihnen alle Bedingungen, welche die Armenpflege kostspieliger gestalten,
in noch höherm Maße vorhanden sind als in den bäuerlichen Kommunen.

Nun denke man sich, daß leistungsfähige oder vielmehr große Armenverbände
gebildet werden sollen. Wird es da zu vermeiden fein, daß nicht oftmals ein
Gutsbezirk oder ein durch den Gemeinsinn seiner Einwohnerschaft günstiger


Die Verstaatlichung der Armenlasten.

dieser Kategorie gehörigen Kommunen in der Regel in der Hand eines einzigen, des
Gutsbesitzers, der daher auch allem darüber zu entscheiden hat, welche Personen
oder Familien er in sein Gut aufnehmen oder, wie wohl präziser gesagt werden
muß, als feste Arbeiter engagiren will; denn die Gutsbesitzer geben für ge¬
wöhnlich nur Leuten, die zu ihnen in ein festes Dienstverhältnis treten, Wohnung.
Da um andrerseits der Gutsbesitzer auch alle Armenlasten allein zu tragen hat
oder doch nur eine kaum nennenswerte Quote auf seine Leute abwälzen könnte,
was jedoch aus leicht ersichtlichen Gründen kaum jemand thun wird, so ist es
selbstverständlich, daß auf Gütern einzelne Arbeiter oder gar ganze Familien,
deren Hilfsbedürftigkeit aus irgendwelchen Gründen in nicht zu langer Frist
mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, nicht leicht einen Dienst oder Wohnung
finden.

Eine gleiche Vorsicht kann natürlich in den bäuerlichen Kommunen nicht
angewendet werden, denn hier ist das Areal in eine größere Anzahl von Grund¬
stücken geteilt, deren Besitzern die Gemeinde nicht verwehren kann, ihre etwa
disponibel!? Wohnräume zu vermieten, an wen sie wollen. Und in Bezug auf
die persönliche Qualität ihrer Abmieter Pflegen die einzelnen Grundstücksbesitzer
nicht sehr wählerisch zu sein, wenn ihnen nur für einige Zeit ein guter Miets¬
ertrag gesichert ist. Verarmt später der Abmieter, so wird auf Exmission ge¬
klagt, und schließlich hat die ganze Gemeinde für den Verarmten zu sorgen.

Hierzu kommt noch, daß die Miete, die für kleine ländliche Arbeiter¬
wohnungen gezahlt wird, im Verhältnis zu den Kosten, die die Herstellung
derselben erfordert, oft eine ungewöhnlich hohe ist, und daß solche Wohnungen
auch trotz des hohen Preises sich leicht vermieten lassen, weil ein Teil der Miete
meistens in Arbeitsleistungen entrichtet wird. Dies alles hat in vielen Banern-
dörfern die Grundstücksbesitzer veranlaßt, kleine Mietskasernen, sogenannte
„Kälber," aufzubauen und dieselben an freie Arbeiter zu vermieten. Dadurch
ist in manchen bäuerlichen Kommunen bereits eine Übervölkerung eingetreten,
die die Armenlasten zu einer bedrohlichen Höhe emporgeschnellt hat.

Allerdings ist zuzugeben, daß eine derartige Praxis nicht überall vorwaltet.
Es giebt auch Bauerndörfer, deren Einwohnerschaft durch hohen Gemeinsinn
sich auszeichnet, und in denen fast die gleiche Vorsicht gegenüber Neuzuziehenden
angewandt wird wie in den Gütern. Dies kann aber die Thatsache nicht hinweg¬
räumen, daß im großen und ganzen die Armenlasten der Bauerndörfer wesentlich
höher find als die der Gutsbezirke.

In der allerungünstigsten Lage aber befinden sich die kleinen Landstädte,
weil in ihnen alle Bedingungen, welche die Armenpflege kostspieliger gestalten,
in noch höherm Maße vorhanden sind als in den bäuerlichen Kommunen.

Nun denke man sich, daß leistungsfähige oder vielmehr große Armenverbände
gebildet werden sollen. Wird es da zu vermeiden fein, daß nicht oftmals ein
Gutsbezirk oder ein durch den Gemeinsinn seiner Einwohnerschaft günstiger


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[0583] Die Verstaatlichung der Armenlasten. dieser Kategorie gehörigen Kommunen in der Regel in der Hand eines einzigen, des Gutsbesitzers, der daher auch allem darüber zu entscheiden hat, welche Personen oder Familien er in sein Gut aufnehmen oder, wie wohl präziser gesagt werden muß, als feste Arbeiter engagiren will; denn die Gutsbesitzer geben für ge¬ wöhnlich nur Leuten, die zu ihnen in ein festes Dienstverhältnis treten, Wohnung. Da um andrerseits der Gutsbesitzer auch alle Armenlasten allein zu tragen hat oder doch nur eine kaum nennenswerte Quote auf seine Leute abwälzen könnte, was jedoch aus leicht ersichtlichen Gründen kaum jemand thun wird, so ist es selbstverständlich, daß auf Gütern einzelne Arbeiter oder gar ganze Familien, deren Hilfsbedürftigkeit aus irgendwelchen Gründen in nicht zu langer Frist mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, nicht leicht einen Dienst oder Wohnung finden. Eine gleiche Vorsicht kann natürlich in den bäuerlichen Kommunen nicht angewendet werden, denn hier ist das Areal in eine größere Anzahl von Grund¬ stücken geteilt, deren Besitzern die Gemeinde nicht verwehren kann, ihre etwa disponibel!? Wohnräume zu vermieten, an wen sie wollen. Und in Bezug auf die persönliche Qualität ihrer Abmieter Pflegen die einzelnen Grundstücksbesitzer nicht sehr wählerisch zu sein, wenn ihnen nur für einige Zeit ein guter Miets¬ ertrag gesichert ist. Verarmt später der Abmieter, so wird auf Exmission ge¬ klagt, und schließlich hat die ganze Gemeinde für den Verarmten zu sorgen. Hierzu kommt noch, daß die Miete, die für kleine ländliche Arbeiter¬ wohnungen gezahlt wird, im Verhältnis zu den Kosten, die die Herstellung derselben erfordert, oft eine ungewöhnlich hohe ist, und daß solche Wohnungen auch trotz des hohen Preises sich leicht vermieten lassen, weil ein Teil der Miete meistens in Arbeitsleistungen entrichtet wird. Dies alles hat in vielen Banern- dörfern die Grundstücksbesitzer veranlaßt, kleine Mietskasernen, sogenannte „Kälber," aufzubauen und dieselben an freie Arbeiter zu vermieten. Dadurch ist in manchen bäuerlichen Kommunen bereits eine Übervölkerung eingetreten, die die Armenlasten zu einer bedrohlichen Höhe emporgeschnellt hat. Allerdings ist zuzugeben, daß eine derartige Praxis nicht überall vorwaltet. Es giebt auch Bauerndörfer, deren Einwohnerschaft durch hohen Gemeinsinn sich auszeichnet, und in denen fast die gleiche Vorsicht gegenüber Neuzuziehenden angewandt wird wie in den Gütern. Dies kann aber die Thatsache nicht hinweg¬ räumen, daß im großen und ganzen die Armenlasten der Bauerndörfer wesentlich höher find als die der Gutsbezirke. In der allerungünstigsten Lage aber befinden sich die kleinen Landstädte, weil in ihnen alle Bedingungen, welche die Armenpflege kostspieliger gestalten, in noch höherm Maße vorhanden sind als in den bäuerlichen Kommunen. Nun denke man sich, daß leistungsfähige oder vielmehr große Armenverbände gebildet werden sollen. Wird es da zu vermeiden fein, daß nicht oftmals ein Gutsbezirk oder ein durch den Gemeinsinn seiner Einwohnerschaft günstiger

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/583>, abgerufen am 29.06.2024.