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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Verstaatlichung der Armenlasten.

der großen Städte und industriellen Bezirke um ungezählte Millionen; denn es
ist klar, daß jede Verlängerung der Frist, die zur Erlangung des Heimntsrechts
gehört, die Kommunen, nach denen der Arbeiterzuzug sich richtet, in Bezug ans
eine eintretende Hilfsbedürftigkeit der Neuzugezogenen günstiger situirt, da eben
diese Neuzugezvgenen um so und so viel Jahre länger auf die Unterstützung der
Gemeinde oder des Lnndarmenverbnndes, aus dem sie weggezogen, angewiesen
bleiben.

Die durch die proponirte Gesetzesänderung für die großen Städte und in¬
dustriellen Bezirke angestrebte Erleichterung ist nun so bedeutend, daß man die
Befürchtung nicht hat von der Hand weisen können, daß damit zugleich eine so über¬
wältigende Belastung des platten Landes herbeigeführt werde, daß daran die
Reform so ixso scheitern müßte.

Diese Befürchtung liegt umso näher, als das platte Land nicht, in große
Verbände vereinigt, die Kosten der Armenpflege trägt, sondern in überwiegendem
Maße in eine Anzahl oft nur winzig kleiner Gemeinden zersplittert ist, deren
jede für sich einen selbständigen kommunalen Verband bildet, und die daher auch
bei Bestreitung aller kommunalen Lasten auf sich allein angewiesen sind. Daß
schon jetzt oft die aus der Armenpflege entspringenden Kosten für den einzelnen
Gutsbezirk oder die einzelne bäuerliche Gemeinde kaum zu erschwingen sind,
weiß jeder, der die Verhältnisse des platten Landes auch nur oberflächlich kennt; ,
soll also letzterem noch mehr aufgepackt werden, so wird in vielen Fällen bei
kleinen, armen Gemeinden die Zahlungsunfähigkeit sich herausstellen.

Diesem Übelstande gedenken die Proponenten obiger Gesetzesrefvrm auf
höchst einfache Weise abzuhelfen, indem sie nämlich sagen: man muß leistungs¬
fähige Armenverbände schassen. Das ist nun freilich sehr leicht gesagt, aber es
ist sehr, sehr schwer auszuführen oder vielmehr ganz unausführbar, wenn man
nicht zu hassenswerten Ungerechtigkeiten sich verstehen will.

Auf welche Weise könnte man überhaupt leistungsfähige Armenverbände
schaffen? Doch uur, indem man mehrere Gemeinden zu einem Armenverbande
vereinigte, also große Armeuverbünde bildete. Nun sind aber die Armenlasten
der einzelnen Gemeinden des platten Landes sehr ungleich. Schon wenn die
drei großen Kategorien, in die man dieselben teilt: Landstädte, bäuerliche
Kommunen und selbständige Gutsbezirke, auch nur im allgemeinen miteinander
verglichen werden, ergeben sich Unterschiede, die es als eine Vergewaltigung er¬
scheinen lassen, wenn man ohne weiteres verschiedenen Kategorien angehörende
Kommunen in einen Verband zusammenlegen wollte.

Vor allem erfreue" sich augenblicklich in Bezug auf die Armenlasten die
selbständigen Gutsbezirke eiuer günstigeren Lage, die sich daher schreibt, daß man
in ihnen eine größere Vorsicht in Bezug auf diejenigen, denen ein Zuziehen oder
eine Ansiedlung gestattet wird, obwalten läßt und auch obwalten lassen kann.
Es befinden sich nämlich Grund und Boden sowie sämtliche Gebäude der z"


Die Verstaatlichung der Armenlasten.

der großen Städte und industriellen Bezirke um ungezählte Millionen; denn es
ist klar, daß jede Verlängerung der Frist, die zur Erlangung des Heimntsrechts
gehört, die Kommunen, nach denen der Arbeiterzuzug sich richtet, in Bezug ans
eine eintretende Hilfsbedürftigkeit der Neuzugezogenen günstiger situirt, da eben
diese Neuzugezvgenen um so und so viel Jahre länger auf die Unterstützung der
Gemeinde oder des Lnndarmenverbnndes, aus dem sie weggezogen, angewiesen
bleiben.

Die durch die proponirte Gesetzesänderung für die großen Städte und in¬
dustriellen Bezirke angestrebte Erleichterung ist nun so bedeutend, daß man die
Befürchtung nicht hat von der Hand weisen können, daß damit zugleich eine so über¬
wältigende Belastung des platten Landes herbeigeführt werde, daß daran die
Reform so ixso scheitern müßte.

Diese Befürchtung liegt umso näher, als das platte Land nicht, in große
Verbände vereinigt, die Kosten der Armenpflege trägt, sondern in überwiegendem
Maße in eine Anzahl oft nur winzig kleiner Gemeinden zersplittert ist, deren
jede für sich einen selbständigen kommunalen Verband bildet, und die daher auch
bei Bestreitung aller kommunalen Lasten auf sich allein angewiesen sind. Daß
schon jetzt oft die aus der Armenpflege entspringenden Kosten für den einzelnen
Gutsbezirk oder die einzelne bäuerliche Gemeinde kaum zu erschwingen sind,
weiß jeder, der die Verhältnisse des platten Landes auch nur oberflächlich kennt; ,
soll also letzterem noch mehr aufgepackt werden, so wird in vielen Fällen bei
kleinen, armen Gemeinden die Zahlungsunfähigkeit sich herausstellen.

Diesem Übelstande gedenken die Proponenten obiger Gesetzesrefvrm auf
höchst einfache Weise abzuhelfen, indem sie nämlich sagen: man muß leistungs¬
fähige Armenverbände schassen. Das ist nun freilich sehr leicht gesagt, aber es
ist sehr, sehr schwer auszuführen oder vielmehr ganz unausführbar, wenn man
nicht zu hassenswerten Ungerechtigkeiten sich verstehen will.

Auf welche Weise könnte man überhaupt leistungsfähige Armenverbände
schaffen? Doch uur, indem man mehrere Gemeinden zu einem Armenverbande
vereinigte, also große Armeuverbünde bildete. Nun sind aber die Armenlasten
der einzelnen Gemeinden des platten Landes sehr ungleich. Schon wenn die
drei großen Kategorien, in die man dieselben teilt: Landstädte, bäuerliche
Kommunen und selbständige Gutsbezirke, auch nur im allgemeinen miteinander
verglichen werden, ergeben sich Unterschiede, die es als eine Vergewaltigung er¬
scheinen lassen, wenn man ohne weiteres verschiedenen Kategorien angehörende
Kommunen in einen Verband zusammenlegen wollte.

Vor allem erfreue» sich augenblicklich in Bezug auf die Armenlasten die
selbständigen Gutsbezirke eiuer günstigeren Lage, die sich daher schreibt, daß man
in ihnen eine größere Vorsicht in Bezug auf diejenigen, denen ein Zuziehen oder
eine Ansiedlung gestattet wird, obwalten läßt und auch obwalten lassen kann.
Es befinden sich nämlich Grund und Boden sowie sämtliche Gebäude der z»


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/582>, abgerufen am 29.06.2024.