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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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senkten Haupt über die Schwelle schritt, fragte sich der greise Priester, wo er
seither seine Augen gehabt habe, um die edle Bildung ihrer Züge und ihrer
Gestalt so wenig beachtet zu haben. Er sah ihr mit inniger Teilnahme, aber
auch mit schwerem Seufzer mich -- er hatte nie in seinem Leben weniger ge¬
wußt als in dieser Stunde, was nun das Rechte sei. Das goldne Kreuz, das
er noch in der Hand hielt, betrachtete er noch einmal, und barg es dann fast
so sorgsam in seinem geistlichen Gewände als vorher Margherita in ihrem
Kleide. Längst nachdem die junge Fran in der Straße verschwunden war, die
ans dem Flecken hinausführte, stand Pater Girolnmo nachsinnend vor seiner
Thür und bedachte, ob er sich drüben im Hause des ErzPriesters Rat erholen
oder völlig schweigen und sich noch heute selbst uach Venedig begeben sollte.
Aber der Sommertag war lastend heiß, zwischen dem Lido und der Stadt stiegen
farbige Dunstwolken aus der Lagune auf, von denen der Pfarrer gar Wohl wußte,
daß sie seiner Gesundheit wenig zuträglich seien, er stellte sich zudem vor, daß
jemand in seiner eignen Gemeinde diesen Nachmittag oder Abend seines Beistands
bedürfen könne. Und der ErzPriester wußte sicher vou Dingen Bescheid, von
denen Pater Girolamo, der selten seinen Fuß von der Düneninsel hinwegsetzte, nur
flüchtig und wie von fernher einmal vernommen hatte. So überwand er die
Abneigung, mit dem hochfahrenden ErzPriester zusammenzukommen, dennoch leichter
als seiue Scheu, die ungewohnte Fahrt nach der Stadt zu unternehmen. Er setzte
sich vor, die Namen Mareantvns und Margheritas sowenig über die Lippen zu
bringen, als sei ihm die wundersame Jugendgeschichte der Fischerin uuter dem
Siegel der Beichte vertraut worden, aber genau zu erforschen, was der Erz-
Priester von einem Büßer im Antvniuskloster drüben auf der Giudecea wisse,
dessen sich Pater Girolamo vorhin bei Margheritas Geschichte mit einemmale
erinnert hatte. Ihm wars, als ob er den Namen des Kaufherrn vou Siuigaglia
und die schwere Todsünde, die derselbe an tausenden von jungen Christenseelen
begangen, schon einmal nennen und berichten gehört habe -- und doch traute
er seinem Gedächtnis nicht völlig. Denn Pater Girolamo war wenig gewohnt,
über den Strand des Lido und die seiner Obhut anvertraute kleine Herde hinaus-
zudenken. Er ging mit etwas zaghaften Schritten in das Haus des Erzpriesters
hinüber und wandte sich bescheiden an den Diener des hochwürdigen Herrn, um
seineu Besuch ankündigen zu lassen. Doch der ErzPriester, der die Stimme
seines christlichen Mitbruders voller Verwunderung aus seinem Flur vernahm:,
öffnete ihm selbst die Thür zu seinem Gemache und lud ihn zum Eintritt und
zu einem kühlen Trunke ein, mit welchem er der Schwüle des Tages schon seit
einigen Stunden Trotz bot. Pater Girolamo nahm den dargebotnen Sitz ein,
wies aber den Wein zurück, weil er in einer Angelegenheit komme, die fast zu
ernst für einen leichten Genuß sei. Über das breite gelbe Gesicht des ErzPriesters,
ans dem ein paar große schwarze Augen wachsam und lustig zugleich heraus-
blitztcu, ging ein mitleidiges Lächeln, er sagte kurz: So laß hören, Frater, was


senkten Haupt über die Schwelle schritt, fragte sich der greise Priester, wo er
seither seine Augen gehabt habe, um die edle Bildung ihrer Züge und ihrer
Gestalt so wenig beachtet zu haben. Er sah ihr mit inniger Teilnahme, aber
auch mit schwerem Seufzer mich — er hatte nie in seinem Leben weniger ge¬
wußt als in dieser Stunde, was nun das Rechte sei. Das goldne Kreuz, das
er noch in der Hand hielt, betrachtete er noch einmal, und barg es dann fast
so sorgsam in seinem geistlichen Gewände als vorher Margherita in ihrem
Kleide. Längst nachdem die junge Fran in der Straße verschwunden war, die
ans dem Flecken hinausführte, stand Pater Girolnmo nachsinnend vor seiner
Thür und bedachte, ob er sich drüben im Hause des ErzPriesters Rat erholen
oder völlig schweigen und sich noch heute selbst uach Venedig begeben sollte.
Aber der Sommertag war lastend heiß, zwischen dem Lido und der Stadt stiegen
farbige Dunstwolken aus der Lagune auf, von denen der Pfarrer gar Wohl wußte,
daß sie seiner Gesundheit wenig zuträglich seien, er stellte sich zudem vor, daß
jemand in seiner eignen Gemeinde diesen Nachmittag oder Abend seines Beistands
bedürfen könne. Und der ErzPriester wußte sicher vou Dingen Bescheid, von
denen Pater Girolamo, der selten seinen Fuß von der Düneninsel hinwegsetzte, nur
flüchtig und wie von fernher einmal vernommen hatte. So überwand er die
Abneigung, mit dem hochfahrenden ErzPriester zusammenzukommen, dennoch leichter
als seiue Scheu, die ungewohnte Fahrt nach der Stadt zu unternehmen. Er setzte
sich vor, die Namen Mareantvns und Margheritas sowenig über die Lippen zu
bringen, als sei ihm die wundersame Jugendgeschichte der Fischerin uuter dem
Siegel der Beichte vertraut worden, aber genau zu erforschen, was der Erz-
Priester von einem Büßer im Antvniuskloster drüben auf der Giudecea wisse,
dessen sich Pater Girolamo vorhin bei Margheritas Geschichte mit einemmale
erinnert hatte. Ihm wars, als ob er den Namen des Kaufherrn vou Siuigaglia
und die schwere Todsünde, die derselbe an tausenden von jungen Christenseelen
begangen, schon einmal nennen und berichten gehört habe — und doch traute
er seinem Gedächtnis nicht völlig. Denn Pater Girolamo war wenig gewohnt,
über den Strand des Lido und die seiner Obhut anvertraute kleine Herde hinaus-
zudenken. Er ging mit etwas zaghaften Schritten in das Haus des Erzpriesters
hinüber und wandte sich bescheiden an den Diener des hochwürdigen Herrn, um
seineu Besuch ankündigen zu lassen. Doch der ErzPriester, der die Stimme
seines christlichen Mitbruders voller Verwunderung aus seinem Flur vernahm:,
öffnete ihm selbst die Thür zu seinem Gemache und lud ihn zum Eintritt und
zu einem kühlen Trunke ein, mit welchem er der Schwüle des Tages schon seit
einigen Stunden Trotz bot. Pater Girolamo nahm den dargebotnen Sitz ein,
wies aber den Wein zurück, weil er in einer Angelegenheit komme, die fast zu
ernst für einen leichten Genuß sei. Über das breite gelbe Gesicht des ErzPriesters,
ans dem ein paar große schwarze Augen wachsam und lustig zugleich heraus-
blitztcu, ging ein mitleidiges Lächeln, er sagte kurz: So laß hören, Frater, was


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/576>, abgerufen am 29.06.2024.