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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Fischorin von Malamocco.

Deine Stelle ist hier, meine Tochter, an Mareantonios Herde, und wenn
du zur heiligen Jungfrnll wallfahrten willst, so ist die Kirche der Madonna
dell Ordo drüben in Venedig weit genug! sagte der Priester mit großem Ernst.
Fühlst du aufrichtige Rene, Margherita, über das, was dn dereinst in kindischem
Unverstande gesündigt, so mußt du damit beginnen, daß du jett keine deiner
Pflichten verfehlst. '

Ihr meint sonach, daß es Gottes Wille sei, dnß ich nie wieder an meinen
Vater zurückdenke? fragte Margherita, ihre Thränen bekämpfend, aber mit einem
Ausdruck von Trostlosigkeit in ihren Zügen, welcher den guten alten Priester
zum tiefsten Mitleid stimmte. Ihr denkt, daß mein heimliches Sehnen Tonio
und denen Unrecht thut, welche die Meinen geworden sind, und daß ich keine
Hoffnung hegen darf?

Ich spreche ein andresmal mehr zu dir! entgegnete Pater Girolamo in
einiger Verwirrung. Was zuletzt Gottes Wille sei, wage ich nicht zu sagen,
aber heut weiß ich gewiß, daß du still heimkehren und deinem Manne liebreich
begegnen sollst.

Und muß ich ihm sagen, was ich euch vertraute? forschte das junge Weib
mit trauriger Fügsamkeit. Der Pfarrer sah sie einen Augenblick unschlüssig an,
dann entschied er: Das muß ich noch bedenken -- bis ichs bedacht, magst dn
schweigen. Erfahren wird Mareanton zuletzt doch müssen, woher dn stammst
und wie dn zu ihm gekommen, umso gewisser wird ers erfahren müssen, wenn
du darauf beharrst, den Deinen in Deutschland etwas von dir und deinen
Schicksalen wissen zu lassen.

Sie sah ihn befremdet um, daß er nun doch wieder der Hoffnung eine
Pforte aufthat, und fand sich heute in Pater Girolamos Wesen nicht zurecht.
Aber das Geständnis an ihn hatte ihr doch das Herz erleichtert, sie stillte ihre
Thränen und schickte sich zum Gehen an; der Pater erwachte ans dem Nach¬
sinnen, dein er sich in den letzten Minnten überlassen hatte, und sagte besorgt:
Willst dn jetzt, wo die Sonne dem Mittag zusteigt, den heißen Rückweg zu
euern Häusern wagen?

Ihr sagt es selbst, daß ich Tonlos gedenken muß! versetzte Margherita
nud lächelte schwach. Mein armer Mann hat Fische zum Verkauf nach der
Stadt gebracht, er erwartet ein Mahl, sobald er heimkommt. Ich muß also
zurück! Ich habe ein Stück Linnen bei mir, das ich draußen mit dem kalten
Wasser des Brunnens netzen und um die Stirn legen will, und so wird mir
die Mittagssonne nicht schaden. Ich danke Euch von Herzen, daß Ihr mich
um gehört u ud mir nicht zu schwer gezürnt habt, Ihr wißt zum mindesten jetzt,
warum die arme Margherita nicht immer so hell lachen kann wie die andern
vom Lido!

Sie wollte ihm, alter Gewohnheit folgend, die Hand küssen, er aber
wehrte ihr sanft und gab ihr seinen christlichen Segen. Wie sie jetzt mit ge-


Die Fischorin von Malamocco.

Deine Stelle ist hier, meine Tochter, an Mareantonios Herde, und wenn
du zur heiligen Jungfrnll wallfahrten willst, so ist die Kirche der Madonna
dell Ordo drüben in Venedig weit genug! sagte der Priester mit großem Ernst.
Fühlst du aufrichtige Rene, Margherita, über das, was dn dereinst in kindischem
Unverstande gesündigt, so mußt du damit beginnen, daß du jett keine deiner
Pflichten verfehlst. '

Ihr meint sonach, daß es Gottes Wille sei, dnß ich nie wieder an meinen
Vater zurückdenke? fragte Margherita, ihre Thränen bekämpfend, aber mit einem
Ausdruck von Trostlosigkeit in ihren Zügen, welcher den guten alten Priester
zum tiefsten Mitleid stimmte. Ihr denkt, daß mein heimliches Sehnen Tonio
und denen Unrecht thut, welche die Meinen geworden sind, und daß ich keine
Hoffnung hegen darf?

Ich spreche ein andresmal mehr zu dir! entgegnete Pater Girolamo in
einiger Verwirrung. Was zuletzt Gottes Wille sei, wage ich nicht zu sagen,
aber heut weiß ich gewiß, daß du still heimkehren und deinem Manne liebreich
begegnen sollst.

Und muß ich ihm sagen, was ich euch vertraute? forschte das junge Weib
mit trauriger Fügsamkeit. Der Pfarrer sah sie einen Augenblick unschlüssig an,
dann entschied er: Das muß ich noch bedenken — bis ichs bedacht, magst dn
schweigen. Erfahren wird Mareanton zuletzt doch müssen, woher dn stammst
und wie dn zu ihm gekommen, umso gewisser wird ers erfahren müssen, wenn
du darauf beharrst, den Deinen in Deutschland etwas von dir und deinen
Schicksalen wissen zu lassen.

Sie sah ihn befremdet um, daß er nun doch wieder der Hoffnung eine
Pforte aufthat, und fand sich heute in Pater Girolamos Wesen nicht zurecht.
Aber das Geständnis an ihn hatte ihr doch das Herz erleichtert, sie stillte ihre
Thränen und schickte sich zum Gehen an; der Pater erwachte ans dem Nach¬
sinnen, dein er sich in den letzten Minnten überlassen hatte, und sagte besorgt:
Willst dn jetzt, wo die Sonne dem Mittag zusteigt, den heißen Rückweg zu
euern Häusern wagen?

Ihr sagt es selbst, daß ich Tonlos gedenken muß! versetzte Margherita
nud lächelte schwach. Mein armer Mann hat Fische zum Verkauf nach der
Stadt gebracht, er erwartet ein Mahl, sobald er heimkommt. Ich muß also
zurück! Ich habe ein Stück Linnen bei mir, das ich draußen mit dem kalten
Wasser des Brunnens netzen und um die Stirn legen will, und so wird mir
die Mittagssonne nicht schaden. Ich danke Euch von Herzen, daß Ihr mich
um gehört u ud mir nicht zu schwer gezürnt habt, Ihr wißt zum mindesten jetzt,
warum die arme Margherita nicht immer so hell lachen kann wie die andern
vom Lido!

Sie wollte ihm, alter Gewohnheit folgend, die Hand küssen, er aber
wehrte ihr sanft und gab ihr seinen christlichen Segen. Wie sie jetzt mit ge-


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[0575] Die Fischorin von Malamocco. Deine Stelle ist hier, meine Tochter, an Mareantonios Herde, und wenn du zur heiligen Jungfrnll wallfahrten willst, so ist die Kirche der Madonna dell Ordo drüben in Venedig weit genug! sagte der Priester mit großem Ernst. Fühlst du aufrichtige Rene, Margherita, über das, was dn dereinst in kindischem Unverstande gesündigt, so mußt du damit beginnen, daß du jett keine deiner Pflichten verfehlst. ' Ihr meint sonach, daß es Gottes Wille sei, dnß ich nie wieder an meinen Vater zurückdenke? fragte Margherita, ihre Thränen bekämpfend, aber mit einem Ausdruck von Trostlosigkeit in ihren Zügen, welcher den guten alten Priester zum tiefsten Mitleid stimmte. Ihr denkt, daß mein heimliches Sehnen Tonio und denen Unrecht thut, welche die Meinen geworden sind, und daß ich keine Hoffnung hegen darf? Ich spreche ein andresmal mehr zu dir! entgegnete Pater Girolamo in einiger Verwirrung. Was zuletzt Gottes Wille sei, wage ich nicht zu sagen, aber heut weiß ich gewiß, daß du still heimkehren und deinem Manne liebreich begegnen sollst. Und muß ich ihm sagen, was ich euch vertraute? forschte das junge Weib mit trauriger Fügsamkeit. Der Pfarrer sah sie einen Augenblick unschlüssig an, dann entschied er: Das muß ich noch bedenken — bis ichs bedacht, magst dn schweigen. Erfahren wird Mareanton zuletzt doch müssen, woher dn stammst und wie dn zu ihm gekommen, umso gewisser wird ers erfahren müssen, wenn du darauf beharrst, den Deinen in Deutschland etwas von dir und deinen Schicksalen wissen zu lassen. Sie sah ihn befremdet um, daß er nun doch wieder der Hoffnung eine Pforte aufthat, und fand sich heute in Pater Girolamos Wesen nicht zurecht. Aber das Geständnis an ihn hatte ihr doch das Herz erleichtert, sie stillte ihre Thränen und schickte sich zum Gehen an; der Pater erwachte ans dem Nach¬ sinnen, dein er sich in den letzten Minnten überlassen hatte, und sagte besorgt: Willst dn jetzt, wo die Sonne dem Mittag zusteigt, den heißen Rückweg zu euern Häusern wagen? Ihr sagt es selbst, daß ich Tonlos gedenken muß! versetzte Margherita nud lächelte schwach. Mein armer Mann hat Fische zum Verkauf nach der Stadt gebracht, er erwartet ein Mahl, sobald er heimkommt. Ich muß also zurück! Ich habe ein Stück Linnen bei mir, das ich draußen mit dem kalten Wasser des Brunnens netzen und um die Stirn legen will, und so wird mir die Mittagssonne nicht schaden. Ich danke Euch von Herzen, daß Ihr mich um gehört u ud mir nicht zu schwer gezürnt habt, Ihr wißt zum mindesten jetzt, warum die arme Margherita nicht immer so hell lachen kann wie die andern vom Lido! Sie wollte ihm, alter Gewohnheit folgend, die Hand küssen, er aber wehrte ihr sanft und gab ihr seinen christlichen Segen. Wie sie jetzt mit ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/575>, abgerufen am 29.06.2024.