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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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dich zu mir führt! und setzte sich zurecht, um den Worten des Pfarrers be¬
quemer zu lauschen. Seine mächtige Gestalt überragte die hagere des ihm
gegenübersitzenden um ein beträchtliches: der Erzpriester bot in allem den An¬
blick behaglicher Fülle und die Einrichtung seines Gemaches samt dein schwellenden
Lotterbett, auf dem er halb lag und halb lehnte, widersprachen diesem Eindruck
nicht. Er hörte die Frage Girolamvs, ob der Hochwürdige genaueres von einem
Büßer ans Sinigaglia wisse, den die Minvritenbrüder in ihrem neuen Kloster
aufgenommen hätten? Bei Nennung des Antvninsklvstcrs verzog sich die Miene
des stattlichen geistlichen Herrn und er entgegnete rauh:

Was hast du mit den Heuchlern auf der Giudeeea zu schaffen? Sie haben
Nüßer die Hülle und Fülle, du kannst sie 0vu allen Gattungen drüben finden!
Der Kanfmannssvhn von Assisi, der mit Gewalt unter die Heiligen des Himmels
kommen will, sorgt dafür, daß alle Klöster seiner saubern neuen Brüderschaft
Leute enthalten, die anderswo Galgen und Rad zieren würden. Sie haben
einen Sklavenhändler von Sinigaglia drüben, der um die Zeit des wahnwitzigen
Kinoerkreuzzua.es die armen kleinen Narren zu Hunderten an die Mohren ver¬
kauft haben soll. Kaiser Friedrich hat ein paar wackre Gesellet? dieser Art zu
Amalfi aufknüpfen lassen, aber den Mann von Sinigaglia hat Bernnrdonc
selbst entdeckt und als Prachtstück in das neue Bettelkloster eingesetzt. Sie
sorgen dafür, daß das Gerücht von ihrem Gnadenwerk dnrch alle Lande ge¬
tragen wird, und erzählen, daß ihr Büßer im Traum die Gesichter der von ihm
Verratenen schaue. Du merkst, wie schlau sie ihre Mürcheu ersinnen, Hunderte
von armen Teufeln aus dem Norden, die in dein Taumel vor acht Jahren
ihre Kinder verloren hatten, wallfahrten nach Venedig und zu den Bettclbrüdern
nuf der Spiualonga. Entweder sieht der Büßer im Traum, wo sich die Knaben
und Mädchen, die er seiner Zeit verkauft hat, befinden, und schickt ihre Ange¬
hörigen nach Afrika und in die Wüste, oder er berichtet den Fragern, daß die
Ihren tot sind. Geschieht dies, so lassen sie meist dem Bettclkloster, was sie
für die Lösung der Verlornen Kinder aus der Sklaverei der Mohren von
daheim mitgebracht hatten.

Der wackre Pater hörte verwundert die Hohnwortc seines geistlichen Vor¬
gesetzten, aber er erlaubte sich nur einen schüchternen Einwand: Du urteilst
hart, mein ehrwürdiger Bruder -- die Brüder des Franziskus dürfen ja kein
Geld nehmen.

Sie nehmen es aber doch, versetzte der ErzPriester lachend. Was hast dn
mit den schmutzigen Gesellen und ihrem Büßer? Hast du unter unsrer Herde
jemand, der Verlangen trägt, ihn zu schauen oder zu hören?

Nein, Hochwürden, niemand als mich selbst! versetzte der greise Priester
entschlossen. Wenn jener sündige Mann, von dem du sprichst, wirklich etwas
wüßte von den Schicksalen derer, die er einst verdorben, so möchte es manchem
von ihnen noch zu Gute kommen, und wenn du mir Urlaub geben willst für


dich zu mir führt! und setzte sich zurecht, um den Worten des Pfarrers be¬
quemer zu lauschen. Seine mächtige Gestalt überragte die hagere des ihm
gegenübersitzenden um ein beträchtliches: der Erzpriester bot in allem den An¬
blick behaglicher Fülle und die Einrichtung seines Gemaches samt dein schwellenden
Lotterbett, auf dem er halb lag und halb lehnte, widersprachen diesem Eindruck
nicht. Er hörte die Frage Girolamvs, ob der Hochwürdige genaueres von einem
Büßer ans Sinigaglia wisse, den die Minvritenbrüder in ihrem neuen Kloster
aufgenommen hätten? Bei Nennung des Antvninsklvstcrs verzog sich die Miene
des stattlichen geistlichen Herrn und er entgegnete rauh:

Was hast du mit den Heuchlern auf der Giudeeea zu schaffen? Sie haben
Nüßer die Hülle und Fülle, du kannst sie 0vu allen Gattungen drüben finden!
Der Kanfmannssvhn von Assisi, der mit Gewalt unter die Heiligen des Himmels
kommen will, sorgt dafür, daß alle Klöster seiner saubern neuen Brüderschaft
Leute enthalten, die anderswo Galgen und Rad zieren würden. Sie haben
einen Sklavenhändler von Sinigaglia drüben, der um die Zeit des wahnwitzigen
Kinoerkreuzzua.es die armen kleinen Narren zu Hunderten an die Mohren ver¬
kauft haben soll. Kaiser Friedrich hat ein paar wackre Gesellet? dieser Art zu
Amalfi aufknüpfen lassen, aber den Mann von Sinigaglia hat Bernnrdonc
selbst entdeckt und als Prachtstück in das neue Bettelkloster eingesetzt. Sie
sorgen dafür, daß das Gerücht von ihrem Gnadenwerk dnrch alle Lande ge¬
tragen wird, und erzählen, daß ihr Büßer im Traum die Gesichter der von ihm
Verratenen schaue. Du merkst, wie schlau sie ihre Mürcheu ersinnen, Hunderte
von armen Teufeln aus dem Norden, die in dein Taumel vor acht Jahren
ihre Kinder verloren hatten, wallfahrten nach Venedig und zu den Bettclbrüdern
nuf der Spiualonga. Entweder sieht der Büßer im Traum, wo sich die Knaben
und Mädchen, die er seiner Zeit verkauft hat, befinden, und schickt ihre Ange¬
hörigen nach Afrika und in die Wüste, oder er berichtet den Fragern, daß die
Ihren tot sind. Geschieht dies, so lassen sie meist dem Bettclkloster, was sie
für die Lösung der Verlornen Kinder aus der Sklaverei der Mohren von
daheim mitgebracht hatten.

Der wackre Pater hörte verwundert die Hohnwortc seines geistlichen Vor¬
gesetzten, aber er erlaubte sich nur einen schüchternen Einwand: Du urteilst
hart, mein ehrwürdiger Bruder — die Brüder des Franziskus dürfen ja kein
Geld nehmen.

Sie nehmen es aber doch, versetzte der ErzPriester lachend. Was hast dn
mit den schmutzigen Gesellen und ihrem Büßer? Hast du unter unsrer Herde
jemand, der Verlangen trägt, ihn zu schauen oder zu hören?

Nein, Hochwürden, niemand als mich selbst! versetzte der greise Priester
entschlossen. Wenn jener sündige Mann, von dem du sprichst, wirklich etwas
wüßte von den Schicksalen derer, die er einst verdorben, so möchte es manchem
von ihnen noch zu Gute kommen, und wenn du mir Urlaub geben willst für


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/577>, abgerufen am 29.06.2024.