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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Fischerin von Malamocco.

Spannung des Priesters auch eine gewisse Unruhe gewachsen, welche sich seiner
bemächtigt hatte, seit der Name des Kaufherrn von Sinigaglia über die Lippen
des jungen Weibes gekommen war. Wäre sie nicht ganz mit ihrer Vergangen¬
heit beschäftigt gewesen, so hätte sie wahrnehmen müssen, daß Pater Girolamo
in wundersame Bewegung geriet, daß er mehr als einmal in Versuchung war,
ihre Beichte zu unterbrechen. Jetzt ging er mit abgewandtem Gesicht auf den
Steinfliesen des Gemachs auf und ab, blieb endlich vor Margherita stehen und
fragte plötzlich:

Und wenn dir dein Wunsch gewährt und der Ritter, den du deinen Vater
nanntest, noch am Leben wäre, meinst du, daß er dich kennen würde? Wie willst
du erweisen, daß sein Verlornes Kind vor ihm steht und nicht eines von den
andern Mädchen, die mit dir entwichen sind, um deine Abstammung wußten und
dich für tot halten?

Margherita sah ihren Seelsorger nicht ohne Bestürzung an, daun versetzte
sie erregt: Ich bin im Haus Friedewald zwölf Jahre alt geworden, Vater
Girolamo, und manches Wort ward zwischen meinem Vater und mir geredet,
von dem nur wir beide wissen. Zudem Hütte ich hier ein Wahrzeichen, welches
Graf Friedrich von Thann gar wohl kennt, das kostbare Taufkreuz, das nur
der Abt vou Fulda als meine Pate anf das Taufkisseu geheftet.

Und die Frau des Fischers zog das goldne Kreuz, an welchem kostbare Steine
leuchteten, hervor und bot es Pater Girolamo dar. Der Pfarrer betrachtete
einen Augenblick teilnehmend das Wahrzeichen einer Erzählung, an deren Wahr¬
heit er nie gezweifelt hatte, dann wiegte er das Kleinod zwischen seinen Fingern
und sagte zögernd:

Willst du dem Kreuz einen Tag oder zwei in meinen Händen lassen,
Margherita? Ich möchte wohl versuchen, die alten Schriftzeichen, die ich auf
der Rückseite erblicke, zu enträtseln.

Man hat mir einst erzählt, das Kreuz sei Arbeit aus der kaiserlichen Stadt
Konstantinopel, und kein Goldschmied in Würzburg oder Magdeburg könne es
so prächtig herstellen, entgegnete Margherita. Ich lasse euch das Kleinod, von
dem ich mich nie getrennt, ihr werdet selbst ermessen, wie viel es der Armen
wert sein muß, die nur dies eine aus ihrer Verlornen Heimat behalten hat!

Gewiß, gewiß, Margherita, antwortete Pater Girolamo. Du sollst dein
Kreuz heute oder morgen zurückerhalten. Ja vielleicht ist's nur eine üble Neugier
von mir, und du thätest besser, das Kleinod gleich mit dir heimzunehmen. Doch
fuhr mir's durch den Sinn, ob dir vielleicht dienen könnte, was mir die Zeichen
hier sagen werden.

Behaltet es ja hier, mein Vater! rief Margherita eifrig. Ich bedarf feiner
nicht eher, als bis vielleicht dereinst mein heimlich Sehnen gestillt wird. Wenn
ihr mir eine Pilgerfahrt zum wunderthätigen Marienbilde von Hersfeld auf¬
erlegen wolltet -- es steht nicht weit vom Buchenlande!


Die Fischerin von Malamocco.

Spannung des Priesters auch eine gewisse Unruhe gewachsen, welche sich seiner
bemächtigt hatte, seit der Name des Kaufherrn von Sinigaglia über die Lippen
des jungen Weibes gekommen war. Wäre sie nicht ganz mit ihrer Vergangen¬
heit beschäftigt gewesen, so hätte sie wahrnehmen müssen, daß Pater Girolamo
in wundersame Bewegung geriet, daß er mehr als einmal in Versuchung war,
ihre Beichte zu unterbrechen. Jetzt ging er mit abgewandtem Gesicht auf den
Steinfliesen des Gemachs auf und ab, blieb endlich vor Margherita stehen und
fragte plötzlich:

Und wenn dir dein Wunsch gewährt und der Ritter, den du deinen Vater
nanntest, noch am Leben wäre, meinst du, daß er dich kennen würde? Wie willst
du erweisen, daß sein Verlornes Kind vor ihm steht und nicht eines von den
andern Mädchen, die mit dir entwichen sind, um deine Abstammung wußten und
dich für tot halten?

Margherita sah ihren Seelsorger nicht ohne Bestürzung an, daun versetzte
sie erregt: Ich bin im Haus Friedewald zwölf Jahre alt geworden, Vater
Girolamo, und manches Wort ward zwischen meinem Vater und mir geredet,
von dem nur wir beide wissen. Zudem Hütte ich hier ein Wahrzeichen, welches
Graf Friedrich von Thann gar wohl kennt, das kostbare Taufkreuz, das nur
der Abt vou Fulda als meine Pate anf das Taufkisseu geheftet.

Und die Frau des Fischers zog das goldne Kreuz, an welchem kostbare Steine
leuchteten, hervor und bot es Pater Girolamo dar. Der Pfarrer betrachtete
einen Augenblick teilnehmend das Wahrzeichen einer Erzählung, an deren Wahr¬
heit er nie gezweifelt hatte, dann wiegte er das Kleinod zwischen seinen Fingern
und sagte zögernd:

Willst du dem Kreuz einen Tag oder zwei in meinen Händen lassen,
Margherita? Ich möchte wohl versuchen, die alten Schriftzeichen, die ich auf
der Rückseite erblicke, zu enträtseln.

Man hat mir einst erzählt, das Kreuz sei Arbeit aus der kaiserlichen Stadt
Konstantinopel, und kein Goldschmied in Würzburg oder Magdeburg könne es
so prächtig herstellen, entgegnete Margherita. Ich lasse euch das Kleinod, von
dem ich mich nie getrennt, ihr werdet selbst ermessen, wie viel es der Armen
wert sein muß, die nur dies eine aus ihrer Verlornen Heimat behalten hat!

Gewiß, gewiß, Margherita, antwortete Pater Girolamo. Du sollst dein
Kreuz heute oder morgen zurückerhalten. Ja vielleicht ist's nur eine üble Neugier
von mir, und du thätest besser, das Kleinod gleich mit dir heimzunehmen. Doch
fuhr mir's durch den Sinn, ob dir vielleicht dienen könnte, was mir die Zeichen
hier sagen werden.

Behaltet es ja hier, mein Vater! rief Margherita eifrig. Ich bedarf feiner
nicht eher, als bis vielleicht dereinst mein heimlich Sehnen gestillt wird. Wenn
ihr mir eine Pilgerfahrt zum wunderthätigen Marienbilde von Hersfeld auf¬
erlegen wolltet — es steht nicht weit vom Buchenlande!


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[0574] Die Fischerin von Malamocco. Spannung des Priesters auch eine gewisse Unruhe gewachsen, welche sich seiner bemächtigt hatte, seit der Name des Kaufherrn von Sinigaglia über die Lippen des jungen Weibes gekommen war. Wäre sie nicht ganz mit ihrer Vergangen¬ heit beschäftigt gewesen, so hätte sie wahrnehmen müssen, daß Pater Girolamo in wundersame Bewegung geriet, daß er mehr als einmal in Versuchung war, ihre Beichte zu unterbrechen. Jetzt ging er mit abgewandtem Gesicht auf den Steinfliesen des Gemachs auf und ab, blieb endlich vor Margherita stehen und fragte plötzlich: Und wenn dir dein Wunsch gewährt und der Ritter, den du deinen Vater nanntest, noch am Leben wäre, meinst du, daß er dich kennen würde? Wie willst du erweisen, daß sein Verlornes Kind vor ihm steht und nicht eines von den andern Mädchen, die mit dir entwichen sind, um deine Abstammung wußten und dich für tot halten? Margherita sah ihren Seelsorger nicht ohne Bestürzung an, daun versetzte sie erregt: Ich bin im Haus Friedewald zwölf Jahre alt geworden, Vater Girolamo, und manches Wort ward zwischen meinem Vater und mir geredet, von dem nur wir beide wissen. Zudem Hütte ich hier ein Wahrzeichen, welches Graf Friedrich von Thann gar wohl kennt, das kostbare Taufkreuz, das nur der Abt vou Fulda als meine Pate anf das Taufkisseu geheftet. Und die Frau des Fischers zog das goldne Kreuz, an welchem kostbare Steine leuchteten, hervor und bot es Pater Girolamo dar. Der Pfarrer betrachtete einen Augenblick teilnehmend das Wahrzeichen einer Erzählung, an deren Wahr¬ heit er nie gezweifelt hatte, dann wiegte er das Kleinod zwischen seinen Fingern und sagte zögernd: Willst du dem Kreuz einen Tag oder zwei in meinen Händen lassen, Margherita? Ich möchte wohl versuchen, die alten Schriftzeichen, die ich auf der Rückseite erblicke, zu enträtseln. Man hat mir einst erzählt, das Kreuz sei Arbeit aus der kaiserlichen Stadt Konstantinopel, und kein Goldschmied in Würzburg oder Magdeburg könne es so prächtig herstellen, entgegnete Margherita. Ich lasse euch das Kleinod, von dem ich mich nie getrennt, ihr werdet selbst ermessen, wie viel es der Armen wert sein muß, die nur dies eine aus ihrer Verlornen Heimat behalten hat! Gewiß, gewiß, Margherita, antwortete Pater Girolamo. Du sollst dein Kreuz heute oder morgen zurückerhalten. Ja vielleicht ist's nur eine üble Neugier von mir, und du thätest besser, das Kleinod gleich mit dir heimzunehmen. Doch fuhr mir's durch den Sinn, ob dir vielleicht dienen könnte, was mir die Zeichen hier sagen werden. Behaltet es ja hier, mein Vater! rief Margherita eifrig. Ich bedarf feiner nicht eher, als bis vielleicht dereinst mein heimlich Sehnen gestillt wird. Wenn ihr mir eine Pilgerfahrt zum wunderthätigen Marienbilde von Hersfeld auf¬ erlegen wolltet — es steht nicht weit vom Buchenlande!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/574>, abgerufen am 29.06.2024.