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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Fischerin von Malamocco.

begann ich zu denken, mein Vater werde mich längst vergessen haben und in
neuem Glück andre Kinder um sich aufwachsen sehen. Ich verschloß alles, was
mir ehedem und in dein einen unseligen Sommer begegnet war, tief in meinem
Herzen und bekannte nichts als meinen Namen. Dann gewöhnte sich mein
störriger Sinn allmählich an den Herd Marcos, die Knaben wurden mir Brüder,
und Tonio hatte ich früh von Herzen lieb, und als er mich endlich fragte, ob
ich sein Leben teilen wolle, bedachte ich mich nicht und hoffte und wollte nichts
mehr, als ihm treu sein. Doch seit ich die Seine geworden bin, ist eine Stimme
in mir laut, die mich so unruhig sehnsüchtig macht, als ich einst in Friedewald
war. Es zwingt mich fort und fort darüber zu sinnen, ob der Graf von
Themm noch lebe lind ob es niemals mehr möglich sei, meines Vaters Angesicht
wieder zu schauen. So oft Tonio auf dem Meere und fern von mir ist,
kommt es über mich wie eine Anfechtung, als sollte ich davonfliehen und
über die Berge nach Norden zurückpilgern. Ich ringe hart mit dem Gedanken,
aber er ist wie ein Schatten neben wir, Vater Girolamo, ich muß in jeder
einsamen Stunde und in jeder schlaflosen Nacht von daheim träumen. Ich
frage Euch noch einmal, kann es Gottes Wille sein, daß ein Mensch auf
immer verloren habe, was er in kindischem Unbedacht und Frevel von sich
geworfen hat?

Margheritas Haupt erhob sich einen Augenblick zu Pater Girolamos
Gesicht, sie sah, daß der Priester jetzt nach ihrer langen Erzählung nicht minder
bleich war als sie selbst, und wären ihre Augen nicht thränenfeucht gewesen, so
Hütte sie den Kampf in den Zügen des Alten wahrnehmen müssen. Nach langer
stummer Pause sagte er nachdrücklich: Und träumst du wirklich, meine Tochter,
daß du die Sünde, einst deinen Vater unkindlich verlassen zu haben, mit der
Sünde gut machen könntest, nun deinen Mann zu verlassen?

Die junge Frau wandte sich ab und sah durch das Gitterwerk des Fensters
in den Sonnenschein hinaus, der über dem Platz zwischen hier und der Kirche
lag. Dann sagte sie leise, als ob es sie noch eine Überwindung koste, ihre ge¬
heimsten Gedanken zu enthüllen: So dachte ich nicht, Vater Girolamo. Ich
möchte nur meinen Vater noch einmal im Leben sehen. Ich glaube wahrlich
uicht, daß er sich lines dem ungeratenen Kinde sehnt, wie ich nach ihm verlange.
Ich wollte, wenn es sein muß, sein Gesicht nur von fern erblicken und mich
an seinen Zügen getrösten, daß er das Leid, das ich ihm angethan habe, längst
vergessen hat. Ich wäre vielleicht auch für Tonio ein besseres Weib und für
Pater Marco eine demütigere Tochter, wenn ich einmal mit Ruhe an das Haus
im Norden denken dürfte!

Über Margheritas Gesicht war jetzt eine feine, flüchtige Röte gebreitet, ihre
Allgen glänzten in seltsamer Weise, Pater Girolamo erriet mit innerer Teil¬
nahme, was sie litt und wie heiß sie nach einem hoffnuuggebenden Worte von
ihm verlange. Während der langen Erzählung Margheritas war mit der


Grenzboten IV. 1882. 72
Die Fischerin von Malamocco.

begann ich zu denken, mein Vater werde mich längst vergessen haben und in
neuem Glück andre Kinder um sich aufwachsen sehen. Ich verschloß alles, was
mir ehedem und in dein einen unseligen Sommer begegnet war, tief in meinem
Herzen und bekannte nichts als meinen Namen. Dann gewöhnte sich mein
störriger Sinn allmählich an den Herd Marcos, die Knaben wurden mir Brüder,
und Tonio hatte ich früh von Herzen lieb, und als er mich endlich fragte, ob
ich sein Leben teilen wolle, bedachte ich mich nicht und hoffte und wollte nichts
mehr, als ihm treu sein. Doch seit ich die Seine geworden bin, ist eine Stimme
in mir laut, die mich so unruhig sehnsüchtig macht, als ich einst in Friedewald
war. Es zwingt mich fort und fort darüber zu sinnen, ob der Graf von
Themm noch lebe lind ob es niemals mehr möglich sei, meines Vaters Angesicht
wieder zu schauen. So oft Tonio auf dem Meere und fern von mir ist,
kommt es über mich wie eine Anfechtung, als sollte ich davonfliehen und
über die Berge nach Norden zurückpilgern. Ich ringe hart mit dem Gedanken,
aber er ist wie ein Schatten neben wir, Vater Girolamo, ich muß in jeder
einsamen Stunde und in jeder schlaflosen Nacht von daheim träumen. Ich
frage Euch noch einmal, kann es Gottes Wille sein, daß ein Mensch auf
immer verloren habe, was er in kindischem Unbedacht und Frevel von sich
geworfen hat?

Margheritas Haupt erhob sich einen Augenblick zu Pater Girolamos
Gesicht, sie sah, daß der Priester jetzt nach ihrer langen Erzählung nicht minder
bleich war als sie selbst, und wären ihre Augen nicht thränenfeucht gewesen, so
Hütte sie den Kampf in den Zügen des Alten wahrnehmen müssen. Nach langer
stummer Pause sagte er nachdrücklich: Und träumst du wirklich, meine Tochter,
daß du die Sünde, einst deinen Vater unkindlich verlassen zu haben, mit der
Sünde gut machen könntest, nun deinen Mann zu verlassen?

Die junge Frau wandte sich ab und sah durch das Gitterwerk des Fensters
in den Sonnenschein hinaus, der über dem Platz zwischen hier und der Kirche
lag. Dann sagte sie leise, als ob es sie noch eine Überwindung koste, ihre ge¬
heimsten Gedanken zu enthüllen: So dachte ich nicht, Vater Girolamo. Ich
möchte nur meinen Vater noch einmal im Leben sehen. Ich glaube wahrlich
uicht, daß er sich lines dem ungeratenen Kinde sehnt, wie ich nach ihm verlange.
Ich wollte, wenn es sein muß, sein Gesicht nur von fern erblicken und mich
an seinen Zügen getrösten, daß er das Leid, das ich ihm angethan habe, längst
vergessen hat. Ich wäre vielleicht auch für Tonio ein besseres Weib und für
Pater Marco eine demütigere Tochter, wenn ich einmal mit Ruhe an das Haus
im Norden denken dürfte!

Über Margheritas Gesicht war jetzt eine feine, flüchtige Röte gebreitet, ihre
Allgen glänzten in seltsamer Weise, Pater Girolamo erriet mit innerer Teil¬
nahme, was sie litt und wie heiß sie nach einem hoffnuuggebenden Worte von
ihm verlange. Während der langen Erzählung Margheritas war mit der


Grenzboten IV. 1882. 72
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[0573] Die Fischerin von Malamocco. begann ich zu denken, mein Vater werde mich längst vergessen haben und in neuem Glück andre Kinder um sich aufwachsen sehen. Ich verschloß alles, was mir ehedem und in dein einen unseligen Sommer begegnet war, tief in meinem Herzen und bekannte nichts als meinen Namen. Dann gewöhnte sich mein störriger Sinn allmählich an den Herd Marcos, die Knaben wurden mir Brüder, und Tonio hatte ich früh von Herzen lieb, und als er mich endlich fragte, ob ich sein Leben teilen wolle, bedachte ich mich nicht und hoffte und wollte nichts mehr, als ihm treu sein. Doch seit ich die Seine geworden bin, ist eine Stimme in mir laut, die mich so unruhig sehnsüchtig macht, als ich einst in Friedewald war. Es zwingt mich fort und fort darüber zu sinnen, ob der Graf von Themm noch lebe lind ob es niemals mehr möglich sei, meines Vaters Angesicht wieder zu schauen. So oft Tonio auf dem Meere und fern von mir ist, kommt es über mich wie eine Anfechtung, als sollte ich davonfliehen und über die Berge nach Norden zurückpilgern. Ich ringe hart mit dem Gedanken, aber er ist wie ein Schatten neben wir, Vater Girolamo, ich muß in jeder einsamen Stunde und in jeder schlaflosen Nacht von daheim träumen. Ich frage Euch noch einmal, kann es Gottes Wille sein, daß ein Mensch auf immer verloren habe, was er in kindischem Unbedacht und Frevel von sich geworfen hat? Margheritas Haupt erhob sich einen Augenblick zu Pater Girolamos Gesicht, sie sah, daß der Priester jetzt nach ihrer langen Erzählung nicht minder bleich war als sie selbst, und wären ihre Augen nicht thränenfeucht gewesen, so Hütte sie den Kampf in den Zügen des Alten wahrnehmen müssen. Nach langer stummer Pause sagte er nachdrücklich: Und träumst du wirklich, meine Tochter, daß du die Sünde, einst deinen Vater unkindlich verlassen zu haben, mit der Sünde gut machen könntest, nun deinen Mann zu verlassen? Die junge Frau wandte sich ab und sah durch das Gitterwerk des Fensters in den Sonnenschein hinaus, der über dem Platz zwischen hier und der Kirche lag. Dann sagte sie leise, als ob es sie noch eine Überwindung koste, ihre ge¬ heimsten Gedanken zu enthüllen: So dachte ich nicht, Vater Girolamo. Ich möchte nur meinen Vater noch einmal im Leben sehen. Ich glaube wahrlich uicht, daß er sich lines dem ungeratenen Kinde sehnt, wie ich nach ihm verlange. Ich wollte, wenn es sein muß, sein Gesicht nur von fern erblicken und mich an seinen Zügen getrösten, daß er das Leid, das ich ihm angethan habe, längst vergessen hat. Ich wäre vielleicht auch für Tonio ein besseres Weib und für Pater Marco eine demütigere Tochter, wenn ich einmal mit Ruhe an das Haus im Norden denken dürfte! Über Margheritas Gesicht war jetzt eine feine, flüchtige Röte gebreitet, ihre Allgen glänzten in seltsamer Weise, Pater Girolamo erriet mit innerer Teil¬ nahme, was sie litt und wie heiß sie nach einem hoffnuuggebenden Worte von ihm verlange. Während der langen Erzählung Margheritas war mit der Grenzboten IV. 1882. 72

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/573>, abgerufen am 29.06.2024.