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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Fischer!" von Mcilamocco.

mich aus der Gefangenschaft der Heiden zu lösen. Als aber um Mittag des
audern Tages der Südstnrm von neuem daherbrauste, die Galeere dem Steiler
zum Trotz gegen Norden peitschte und wir wieder unter das Deck flüchten
mußten, als wir uns angstvoll bei der Schiffstreppe zusammendrängten und
emporstarrend wieder nichts sahen als dunkle Wetterwolken, zum Himmel spritzenden
Wogenschaum, da ward mir gewiß, daß ich nicht viele neue Tage sehen würde,
ich bat recht herzinnig meinen fernen Bater um Vergebung und befahl meine
Seele der Fürbitte der heiligen Jungfrau. Mich nmfings wie ein schwerer,
wüster Traum, ich wußte nicht mehr, ob es Tag oder Nacht sei, und nur von
Zeit zu Zeit scholl das Tosen des Sturmes und das Gebrüll unsrer wälschen
Schiffsleute in die dunkle Ecke, in der ich mich zusammengeschmiegt hatte wie
ein krankes Reh im thüringischen Walde. Einmal noch hörte ich das Wimmern
meiner Gefährten neben nur, einmal noch einen wildeu Fluch des Patrons und
dann Krach auf Krach im Holzwerk der Galeere -- ich fühlte das Wasser über
mir zusammenrauschen und dann lange, lange nichts mehr, bis der Schein einer
Holzfackel hell in mein Antlitz fiel und ich vor Nässe und Kälte schauernd er¬
wachte, keine tausend Schritte von da, wo heute unsre Hütte steht, Vater Girv-
lcuno, ich sitze oft wieder an der Stelle. Neben mir sah ich Tonlos Vater
Marco und drei seiner Knaben, darunter Antonio, der mitleidig meine starre
Hand gefaßt hatte. Am Strand des Lido hinunter leuchteten mehr solche
Fackeln, die den Fischern gehörten. Sie hatten seit Einbruch der Nacht das
Schiff widerstandslos gegen die Insel treiben sehen und wußten, daß es scheitern
würde. Helfen konnten sie nicht -- nach Strandgut von der Galeere waren
sie alle begierig gewesen und fischten nun auf, was das Meer herantrieb. Sie
erbenteten viel, die Fischer an der Punta ti Sau Pietro am meisten, aber
anch Marco und die Seinen gingen nicht leer aus -- Ihr wißt ja. daß wir
selbst in unsrer Hütte ein paar von den kostbaren Stücken besitzen, die in jener
Sturmnacht neben mir aufgefischt wurden. Und mich allein von allen Lebenden
ans dem Fahrzeug vou Siuigaglia hatten sie gerettet. So meinte ich wenigstens
damals. Erst nach Jahren habe ich gehört, daß einige deutsche Knaben, die sich
an Trümmern der gescheiterten Galeere angeklammert hatten, bei Palestrina
ans Land getrieben und von dort nach Venedig gelangt seien. Mich nahm
Marco nutleidig unter sein Dach auf, und da ihm kurz zuvor sein Weib ge¬
storben war, dünkte es ihm recht, daß ich ihm Hans hielt, so jung und kindisch
ich anch war. In harten Tagen lernte ich thun, was ich mußte. Und alles
weitere wißt Ihr, mein Vater, wißt, wie ich zwischen den .Knaben Marcos anf^
wuchs und Tonlos Weib ward und wie ich nach Gottes Willen gelebt habe.
Was Ihr aber bis heute nicht gewußt habt: mein voriges Geschick und meine
Sünde -- Ihr wißt sie nun. In den ersten Jahren, nachdem mich Marco aus
der Sturmflut gerettet und während ich in seiner Hütte gewohnt habe, wollte
ich für alles, was ich gethan, durch das arme, fremde Leben büßen, und dann


Die Fischer!» von Mcilamocco.

mich aus der Gefangenschaft der Heiden zu lösen. Als aber um Mittag des
audern Tages der Südstnrm von neuem daherbrauste, die Galeere dem Steiler
zum Trotz gegen Norden peitschte und wir wieder unter das Deck flüchten
mußten, als wir uns angstvoll bei der Schiffstreppe zusammendrängten und
emporstarrend wieder nichts sahen als dunkle Wetterwolken, zum Himmel spritzenden
Wogenschaum, da ward mir gewiß, daß ich nicht viele neue Tage sehen würde,
ich bat recht herzinnig meinen fernen Bater um Vergebung und befahl meine
Seele der Fürbitte der heiligen Jungfrau. Mich nmfings wie ein schwerer,
wüster Traum, ich wußte nicht mehr, ob es Tag oder Nacht sei, und nur von
Zeit zu Zeit scholl das Tosen des Sturmes und das Gebrüll unsrer wälschen
Schiffsleute in die dunkle Ecke, in der ich mich zusammengeschmiegt hatte wie
ein krankes Reh im thüringischen Walde. Einmal noch hörte ich das Wimmern
meiner Gefährten neben nur, einmal noch einen wildeu Fluch des Patrons und
dann Krach auf Krach im Holzwerk der Galeere — ich fühlte das Wasser über
mir zusammenrauschen und dann lange, lange nichts mehr, bis der Schein einer
Holzfackel hell in mein Antlitz fiel und ich vor Nässe und Kälte schauernd er¬
wachte, keine tausend Schritte von da, wo heute unsre Hütte steht, Vater Girv-
lcuno, ich sitze oft wieder an der Stelle. Neben mir sah ich Tonlos Vater
Marco und drei seiner Knaben, darunter Antonio, der mitleidig meine starre
Hand gefaßt hatte. Am Strand des Lido hinunter leuchteten mehr solche
Fackeln, die den Fischern gehörten. Sie hatten seit Einbruch der Nacht das
Schiff widerstandslos gegen die Insel treiben sehen und wußten, daß es scheitern
würde. Helfen konnten sie nicht — nach Strandgut von der Galeere waren
sie alle begierig gewesen und fischten nun auf, was das Meer herantrieb. Sie
erbenteten viel, die Fischer an der Punta ti Sau Pietro am meisten, aber
anch Marco und die Seinen gingen nicht leer aus — Ihr wißt ja. daß wir
selbst in unsrer Hütte ein paar von den kostbaren Stücken besitzen, die in jener
Sturmnacht neben mir aufgefischt wurden. Und mich allein von allen Lebenden
ans dem Fahrzeug vou Siuigaglia hatten sie gerettet. So meinte ich wenigstens
damals. Erst nach Jahren habe ich gehört, daß einige deutsche Knaben, die sich
an Trümmern der gescheiterten Galeere angeklammert hatten, bei Palestrina
ans Land getrieben und von dort nach Venedig gelangt seien. Mich nahm
Marco nutleidig unter sein Dach auf, und da ihm kurz zuvor sein Weib ge¬
storben war, dünkte es ihm recht, daß ich ihm Hans hielt, so jung und kindisch
ich anch war. In harten Tagen lernte ich thun, was ich mußte. Und alles
weitere wißt Ihr, mein Vater, wißt, wie ich zwischen den .Knaben Marcos anf^
wuchs und Tonlos Weib ward und wie ich nach Gottes Willen gelebt habe.
Was Ihr aber bis heute nicht gewußt habt: mein voriges Geschick und meine
Sünde — Ihr wißt sie nun. In den ersten Jahren, nachdem mich Marco aus
der Sturmflut gerettet und während ich in seiner Hütte gewohnt habe, wollte
ich für alles, was ich gethan, durch das arme, fremde Leben büßen, und dann


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[0572] Die Fischer!» von Mcilamocco. mich aus der Gefangenschaft der Heiden zu lösen. Als aber um Mittag des audern Tages der Südstnrm von neuem daherbrauste, die Galeere dem Steiler zum Trotz gegen Norden peitschte und wir wieder unter das Deck flüchten mußten, als wir uns angstvoll bei der Schiffstreppe zusammendrängten und emporstarrend wieder nichts sahen als dunkle Wetterwolken, zum Himmel spritzenden Wogenschaum, da ward mir gewiß, daß ich nicht viele neue Tage sehen würde, ich bat recht herzinnig meinen fernen Bater um Vergebung und befahl meine Seele der Fürbitte der heiligen Jungfrau. Mich nmfings wie ein schwerer, wüster Traum, ich wußte nicht mehr, ob es Tag oder Nacht sei, und nur von Zeit zu Zeit scholl das Tosen des Sturmes und das Gebrüll unsrer wälschen Schiffsleute in die dunkle Ecke, in der ich mich zusammengeschmiegt hatte wie ein krankes Reh im thüringischen Walde. Einmal noch hörte ich das Wimmern meiner Gefährten neben nur, einmal noch einen wildeu Fluch des Patrons und dann Krach auf Krach im Holzwerk der Galeere — ich fühlte das Wasser über mir zusammenrauschen und dann lange, lange nichts mehr, bis der Schein einer Holzfackel hell in mein Antlitz fiel und ich vor Nässe und Kälte schauernd er¬ wachte, keine tausend Schritte von da, wo heute unsre Hütte steht, Vater Girv- lcuno, ich sitze oft wieder an der Stelle. Neben mir sah ich Tonlos Vater Marco und drei seiner Knaben, darunter Antonio, der mitleidig meine starre Hand gefaßt hatte. Am Strand des Lido hinunter leuchteten mehr solche Fackeln, die den Fischern gehörten. Sie hatten seit Einbruch der Nacht das Schiff widerstandslos gegen die Insel treiben sehen und wußten, daß es scheitern würde. Helfen konnten sie nicht — nach Strandgut von der Galeere waren sie alle begierig gewesen und fischten nun auf, was das Meer herantrieb. Sie erbenteten viel, die Fischer an der Punta ti Sau Pietro am meisten, aber anch Marco und die Seinen gingen nicht leer aus — Ihr wißt ja. daß wir selbst in unsrer Hütte ein paar von den kostbaren Stücken besitzen, die in jener Sturmnacht neben mir aufgefischt wurden. Und mich allein von allen Lebenden ans dem Fahrzeug vou Siuigaglia hatten sie gerettet. So meinte ich wenigstens damals. Erst nach Jahren habe ich gehört, daß einige deutsche Knaben, die sich an Trümmern der gescheiterten Galeere angeklammert hatten, bei Palestrina ans Land getrieben und von dort nach Venedig gelangt seien. Mich nahm Marco nutleidig unter sein Dach auf, und da ihm kurz zuvor sein Weib ge¬ storben war, dünkte es ihm recht, daß ich ihm Hans hielt, so jung und kindisch ich anch war. In harten Tagen lernte ich thun, was ich mußte. Und alles weitere wißt Ihr, mein Vater, wißt, wie ich zwischen den .Knaben Marcos anf^ wuchs und Tonlos Weib ward und wie ich nach Gottes Willen gelebt habe. Was Ihr aber bis heute nicht gewußt habt: mein voriges Geschick und meine Sünde — Ihr wißt sie nun. In den ersten Jahren, nachdem mich Marco aus der Sturmflut gerettet und während ich in seiner Hütte gewohnt habe, wollte ich für alles, was ich gethan, durch das arme, fremde Leben büßen, und dann

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/572>, abgerufen am 29.06.2024.