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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Fischerin von Malamocco.

füllte die Schiffsräume, denn die wenigen, die sich mutig znsnmnnmschnaren und
mit Schwert und Speer das Geschick wenden wollten, mußten bald erkennen,
daß die Schiffsbemauuung, die in Diensten des Herrn Pietro Bieeutino stand,
viel stärker sei als wir armen Verratenen. Vor aller Augen that sich endloses
Elend ans, und die furchtbare Gewißheit überwältigte die meisten, sodaß sie
stumpf und wie erstürben ans den Schiffsbänken und am Boden saßen oder
Wohl gar die Krankheit, die mit der ungewohnte" Fahrt aus hochgehender See
über sie hereinbrach, als Vorbote" des willkommenen Todes begrüßten. Noch
heute faßt mich das Weh, das ich damals gefühlt, wo ich anf so viele bleiche,
angstvolle, junge Gesichter blickte und wohl wußte, daß mein eignes Gesicht
nicht mutiger und gefaßter sei als das der andern. Das Meer war unruhig,
und die schweren Wetterwolken, die von Süden her wild herantrieben, hingen
bis auf die Segel der Schiffe herab, die Luft war trotz des Wogengebrauses
schwül zum Ersticken, und die Galeeren, die uns führten, hielten sich mühsam
auf der offnen Flut. Deun da die Flotte vom Lande abgefahren war, ohne
den Ausgang des Aufruhrs zu keimen, der sich in Lager und Stadt erhoben
hatte, so wünschte Herr Pietro Vieentinv nicht, daß seine Schiffe jetzt in den
Hafen von Sinigaglia zurückkehrten, und forderte von den Steuerleuten, daß
sie auch wider den Südstnrm und die losbrechenden Wetter die See hielten.
Da erlebten wir, die Nur zum erstenmale anf dein wilden Wasser fuhren, einen
Abend und eine Nacht, wie wir sie zuvor nicht gekannt. Das Schluchzen und
Wimmern um mich her war mir furchtbarer zu hören als das Rollen des
Donners, das Tosen der See und das Krachen der Schiffsplanken, gegen welche
die Wogen heranschlngen. So oft die Galeere in die Wellen nicdertanchte und
die wilde Flut schäumend über das Deck und in den Schiffsraum stürzte, so
oft ein wilder Blitz das Dunkel erhellte, zitterte ich kindisch vor dein Ende und
hätte doch zu allen Heiligen darum beten sollen. Als die Dämmerung über
dem Meere aufging, merkten wir, daß der Südsturin ein wenig nach Ost um¬
sprang und soweit nachließ, daß die Schiffsleute zu Atem kamen. Wir sahen
aber zugleich, daß nur eine einzige Galeere noch neben der war, in welcher wir
dnhinfuhren -- die Gewitternacht hatte die Flotte weit zerstreut und wir dachten
unsrer Nnglücksgenossen in den andern Schiffen mit so schweren: Bangen, als
wir um uns selbst hegten. Es ward wenig gesprochen, viel still gebetet, wohl
die meisten von uns mochten wie ich um die deutsche Heimat und den sichern
Frieden ihres Hauses denken, den sie in kindisch frommem Drang verlassen.
Manche konnten noch immer nicht glauben, daß wir verkauft und zum schreck¬
lichsten Loose bestimmt seien, sie lauschten den trügerischen Trostreden einzelner
ans dem Schiffsvolk und hofften auf ein Wunder. Ich saß starr und stumm
auf dein Deck, und die Worte der Hoffenden glitten an mir ab, ich mußte sinnen
und sinnen über das, was uns aufbehalten sei und ob mein ritterlicher Vater
Wohl je erfahren werde, daß sein Verlornes Kind lebe, ob er je kommen könne,


Die Fischerin von Malamocco.

füllte die Schiffsräume, denn die wenigen, die sich mutig znsnmnnmschnaren und
mit Schwert und Speer das Geschick wenden wollten, mußten bald erkennen,
daß die Schiffsbemauuung, die in Diensten des Herrn Pietro Bieeutino stand,
viel stärker sei als wir armen Verratenen. Vor aller Augen that sich endloses
Elend ans, und die furchtbare Gewißheit überwältigte die meisten, sodaß sie
stumpf und wie erstürben ans den Schiffsbänken und am Boden saßen oder
Wohl gar die Krankheit, die mit der ungewohnte» Fahrt aus hochgehender See
über sie hereinbrach, als Vorbote» des willkommenen Todes begrüßten. Noch
heute faßt mich das Weh, das ich damals gefühlt, wo ich anf so viele bleiche,
angstvolle, junge Gesichter blickte und wohl wußte, daß mein eignes Gesicht
nicht mutiger und gefaßter sei als das der andern. Das Meer war unruhig,
und die schweren Wetterwolken, die von Süden her wild herantrieben, hingen
bis auf die Segel der Schiffe herab, die Luft war trotz des Wogengebrauses
schwül zum Ersticken, und die Galeeren, die uns führten, hielten sich mühsam
auf der offnen Flut. Deun da die Flotte vom Lande abgefahren war, ohne
den Ausgang des Aufruhrs zu keimen, der sich in Lager und Stadt erhoben
hatte, so wünschte Herr Pietro Vieentinv nicht, daß seine Schiffe jetzt in den
Hafen von Sinigaglia zurückkehrten, und forderte von den Steuerleuten, daß
sie auch wider den Südstnrm und die losbrechenden Wetter die See hielten.
Da erlebten wir, die Nur zum erstenmale anf dein wilden Wasser fuhren, einen
Abend und eine Nacht, wie wir sie zuvor nicht gekannt. Das Schluchzen und
Wimmern um mich her war mir furchtbarer zu hören als das Rollen des
Donners, das Tosen der See und das Krachen der Schiffsplanken, gegen welche
die Wogen heranschlngen. So oft die Galeere in die Wellen nicdertanchte und
die wilde Flut schäumend über das Deck und in den Schiffsraum stürzte, so
oft ein wilder Blitz das Dunkel erhellte, zitterte ich kindisch vor dein Ende und
hätte doch zu allen Heiligen darum beten sollen. Als die Dämmerung über
dem Meere aufging, merkten wir, daß der Südsturin ein wenig nach Ost um¬
sprang und soweit nachließ, daß die Schiffsleute zu Atem kamen. Wir sahen
aber zugleich, daß nur eine einzige Galeere noch neben der war, in welcher wir
dnhinfuhren — die Gewitternacht hatte die Flotte weit zerstreut und wir dachten
unsrer Nnglücksgenossen in den andern Schiffen mit so schweren: Bangen, als
wir um uns selbst hegten. Es ward wenig gesprochen, viel still gebetet, wohl
die meisten von uns mochten wie ich um die deutsche Heimat und den sichern
Frieden ihres Hauses denken, den sie in kindisch frommem Drang verlassen.
Manche konnten noch immer nicht glauben, daß wir verkauft und zum schreck¬
lichsten Loose bestimmt seien, sie lauschten den trügerischen Trostreden einzelner
ans dem Schiffsvolk und hofften auf ein Wunder. Ich saß starr und stumm
auf dein Deck, und die Worte der Hoffenden glitten an mir ab, ich mußte sinnen
und sinnen über das, was uns aufbehalten sei und ob mein ritterlicher Vater
Wohl je erfahren werde, daß sein Verlornes Kind lebe, ob er je kommen könne,


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[0571] Die Fischerin von Malamocco. füllte die Schiffsräume, denn die wenigen, die sich mutig znsnmnnmschnaren und mit Schwert und Speer das Geschick wenden wollten, mußten bald erkennen, daß die Schiffsbemauuung, die in Diensten des Herrn Pietro Bieeutino stand, viel stärker sei als wir armen Verratenen. Vor aller Augen that sich endloses Elend ans, und die furchtbare Gewißheit überwältigte die meisten, sodaß sie stumpf und wie erstürben ans den Schiffsbänken und am Boden saßen oder Wohl gar die Krankheit, die mit der ungewohnte» Fahrt aus hochgehender See über sie hereinbrach, als Vorbote» des willkommenen Todes begrüßten. Noch heute faßt mich das Weh, das ich damals gefühlt, wo ich anf so viele bleiche, angstvolle, junge Gesichter blickte und wohl wußte, daß mein eignes Gesicht nicht mutiger und gefaßter sei als das der andern. Das Meer war unruhig, und die schweren Wetterwolken, die von Süden her wild herantrieben, hingen bis auf die Segel der Schiffe herab, die Luft war trotz des Wogengebrauses schwül zum Ersticken, und die Galeeren, die uns führten, hielten sich mühsam auf der offnen Flut. Deun da die Flotte vom Lande abgefahren war, ohne den Ausgang des Aufruhrs zu keimen, der sich in Lager und Stadt erhoben hatte, so wünschte Herr Pietro Vieentinv nicht, daß seine Schiffe jetzt in den Hafen von Sinigaglia zurückkehrten, und forderte von den Steuerleuten, daß sie auch wider den Südstnrm und die losbrechenden Wetter die See hielten. Da erlebten wir, die Nur zum erstenmale anf dein wilden Wasser fuhren, einen Abend und eine Nacht, wie wir sie zuvor nicht gekannt. Das Schluchzen und Wimmern um mich her war mir furchtbarer zu hören als das Rollen des Donners, das Tosen der See und das Krachen der Schiffsplanken, gegen welche die Wogen heranschlngen. So oft die Galeere in die Wellen nicdertanchte und die wilde Flut schäumend über das Deck und in den Schiffsraum stürzte, so oft ein wilder Blitz das Dunkel erhellte, zitterte ich kindisch vor dein Ende und hätte doch zu allen Heiligen darum beten sollen. Als die Dämmerung über dem Meere aufging, merkten wir, daß der Südsturin ein wenig nach Ost um¬ sprang und soweit nachließ, daß die Schiffsleute zu Atem kamen. Wir sahen aber zugleich, daß nur eine einzige Galeere noch neben der war, in welcher wir dnhinfuhren — die Gewitternacht hatte die Flotte weit zerstreut und wir dachten unsrer Nnglücksgenossen in den andern Schiffen mit so schweren: Bangen, als wir um uns selbst hegten. Es ward wenig gesprochen, viel still gebetet, wohl die meisten von uns mochten wie ich um die deutsche Heimat und den sichern Frieden ihres Hauses denken, den sie in kindisch frommem Drang verlassen. Manche konnten noch immer nicht glauben, daß wir verkauft und zum schreck¬ lichsten Loose bestimmt seien, sie lauschten den trügerischen Trostreden einzelner ans dem Schiffsvolk und hofften auf ein Wunder. Ich saß starr und stumm auf dein Deck, und die Worte der Hoffenden glitten an mir ab, ich mußte sinnen und sinnen über das, was uns aufbehalten sei und ob mein ritterlicher Vater Wohl je erfahren werde, daß sein Verlornes Kind lebe, ob er je kommen könne,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/571>, abgerufen am 29.06.2024.