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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Fischerin von Malamoccc".

gescheucht hätten, damit er die Ärmsten alle, die seinem Rufe gefolgt seien, vor
ihrem Verderben warne. Weil er schon für tot auf seinem Lager gelegen, habe
er Reden und Ratschläge vernommen, wie sie Judas mit den Schriftgelehrten
gepflegt, Herr Pietro von Sinigaglia und die Befehlshaber unsers eignen Kriegs-
Haufens wollte" zu Judassen an uns werden, nicht nach dem heiligen Lande,
sondern ans die Sklavenmärkte der Mauren in Afrika würden uns die Schiffe
des Vieeutiuo führen. Gottes Zorn und unser Fluch werde die Verräter
treffen und das heilige Werk, zu dem uns der Herr berufen, dennoch herrlich
hinausgeführt werden. Unsre Schaaren am Bord wie am Land lauschten dem
Unseligen noch einmal bang, und das rauhe Gebrüll des Sinigagliers und seiner
Ergebenen, welche Gottfrieds Stimme zu übertäuben und zu ersticken suchten,
scholl uns zugleich mit der Warnung vor Verrat lind Unheil ans Ohr. Aber
plötzlich brach der Hirtenknabe zusammen, er stürzte mit dem Angesicht auf den
Wall des Ufers und ward tot vor den Augen aller hinweggetragen. Da ent¬
stand unsagbare Verwirrung, während sich Hunderte zur wilden, ziellosen Flucht
wandten, vernahmen andre Hunderte erbleichend das Wort einzelner Mouche bei
unserm Haufen, daß Gottes Blitz den Verleumder des frommen Herrn Pietro
dahingestreckt habe und daß die Kreuzfahrt mehr als je der Wille des Höchsten
sei. Sie ließen sich nach den hölzernen Brücken und in die Galeeren drängen,
die jetzt wie in einem wilden Taumel rasch überfüllt wurden und wo die
Stimmen jener, die Verrat riefen und zu Lande wollten, mit dem wilden Ge¬
schrei derer zusammenklangen, welche die augenblickliche Abfahrt heisesten. In
diesem Getümmel ward Hedwig von meiner Seite gerissen, und ich weiß bis
heute nicht, mein Vater, ob sie mit einigen über den Steg an das Ufer entkam,
ob sie auf ein andres neben dein unsern liegendes Schiff gewaltsam gedrängt
ward oder ob sie, wie gar manche von dem Kinderheer, schon im Hafen voll
Sinigaglia den Tod in den Wellen gefunden hat. Ich war meiner Sinne nicht
mehr mächtig, sank nieder und lag wohl eine halbe Stunde für tot auf dem
lärmübertvsten Verdeck der Galeere. Erst wie der Patron mich beim Mast
liegen sah und mich gewaltsam empvrrütteltc, kehrte mein Leben zurück, da aber
hatten die Schiffer schon die Anker gehoben und waren aus dem Hafen in die
See gegangen.

Und nun, Vater Girolamo, als die Flotte kaum einige Stunden südwärts
war lind während am Himmel schwere Gewitter aufstiegen und ein gewaltiger
Scirocco alle Anstrengungen der Steuerleute und Ruderer auf den Galeeren zu
nichte machte, nnn herrschte auf jedem Schiff und in tausend Herzen die Furcht,
die ich seit Tagen empfunden hatte. Herrn Pietros Schiffsleute verhehlten
uns kaum, daß unsre eignen Kriegsknechte uns an ihren Schiffsherrn verkauft
hätten und daß wir alle nach Afrika zu den Heiden geführt werden sollten.
Da brach auch denen die Kraft, die sich bisher aufrecht erhalten und noch in
der letzten schrecklichen Stunde gehofft hatten; ein Seufzen und Wehklagen er-


Die Fischerin von Malamoccc».

gescheucht hätten, damit er die Ärmsten alle, die seinem Rufe gefolgt seien, vor
ihrem Verderben warne. Weil er schon für tot auf seinem Lager gelegen, habe
er Reden und Ratschläge vernommen, wie sie Judas mit den Schriftgelehrten
gepflegt, Herr Pietro von Sinigaglia und die Befehlshaber unsers eignen Kriegs-
Haufens wollte« zu Judassen an uns werden, nicht nach dem heiligen Lande,
sondern ans die Sklavenmärkte der Mauren in Afrika würden uns die Schiffe
des Vieeutiuo führen. Gottes Zorn und unser Fluch werde die Verräter
treffen und das heilige Werk, zu dem uns der Herr berufen, dennoch herrlich
hinausgeführt werden. Unsre Schaaren am Bord wie am Land lauschten dem
Unseligen noch einmal bang, und das rauhe Gebrüll des Sinigagliers und seiner
Ergebenen, welche Gottfrieds Stimme zu übertäuben und zu ersticken suchten,
scholl uns zugleich mit der Warnung vor Verrat lind Unheil ans Ohr. Aber
plötzlich brach der Hirtenknabe zusammen, er stürzte mit dem Angesicht auf den
Wall des Ufers und ward tot vor den Augen aller hinweggetragen. Da ent¬
stand unsagbare Verwirrung, während sich Hunderte zur wilden, ziellosen Flucht
wandten, vernahmen andre Hunderte erbleichend das Wort einzelner Mouche bei
unserm Haufen, daß Gottes Blitz den Verleumder des frommen Herrn Pietro
dahingestreckt habe und daß die Kreuzfahrt mehr als je der Wille des Höchsten
sei. Sie ließen sich nach den hölzernen Brücken und in die Galeeren drängen,
die jetzt wie in einem wilden Taumel rasch überfüllt wurden und wo die
Stimmen jener, die Verrat riefen und zu Lande wollten, mit dem wilden Ge¬
schrei derer zusammenklangen, welche die augenblickliche Abfahrt heisesten. In
diesem Getümmel ward Hedwig von meiner Seite gerissen, und ich weiß bis
heute nicht, mein Vater, ob sie mit einigen über den Steg an das Ufer entkam,
ob sie auf ein andres neben dein unsern liegendes Schiff gewaltsam gedrängt
ward oder ob sie, wie gar manche von dem Kinderheer, schon im Hafen voll
Sinigaglia den Tod in den Wellen gefunden hat. Ich war meiner Sinne nicht
mehr mächtig, sank nieder und lag wohl eine halbe Stunde für tot auf dem
lärmübertvsten Verdeck der Galeere. Erst wie der Patron mich beim Mast
liegen sah und mich gewaltsam empvrrütteltc, kehrte mein Leben zurück, da aber
hatten die Schiffer schon die Anker gehoben und waren aus dem Hafen in die
See gegangen.

Und nun, Vater Girolamo, als die Flotte kaum einige Stunden südwärts
war lind während am Himmel schwere Gewitter aufstiegen und ein gewaltiger
Scirocco alle Anstrengungen der Steuerleute und Ruderer auf den Galeeren zu
nichte machte, nnn herrschte auf jedem Schiff und in tausend Herzen die Furcht,
die ich seit Tagen empfunden hatte. Herrn Pietros Schiffsleute verhehlten
uns kaum, daß unsre eignen Kriegsknechte uns an ihren Schiffsherrn verkauft
hätten und daß wir alle nach Afrika zu den Heiden geführt werden sollten.
Da brach auch denen die Kraft, die sich bisher aufrecht erhalten und noch in
der letzten schrecklichen Stunde gehofft hatten; ein Seufzen und Wehklagen er-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/570>, abgerufen am 29.06.2024.