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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Fischerin von Malmnocco.

Tagen unter den Spielleuten, welche sich um uns herandrängten, um mit Liedern
von großen Wundern, welche in Palästina geschehen, unsre letzten Pfennige zu
erbeuten, mehr als ein verdächtiges Gesicht wahrgenommen, das ich jetzt unter
dem harrenden, uns müßig höhnenden Schiffsvolke wiedererblickte. Bebend und
von Grauen lind Zorn zu gleicher Zeit erfüllt, fühlte ich, daß uns ein Unheil
bereitet ward und daß wir hilflos in dasselbe hineintrieben. Auf weit ins Meer
hinausgehenden Pfählen wnreu lauge schmale Brücken voll Brettern zu den
Galeeren hinübergeschlagen, schweigsam und einzeln nacheinander zogen die
jugendlichen Wallfahrer zu allen Schiffen hinüber, hie lind da stimmten die¬
jenigen, welche schon am hohen Bord standen, ein Kreuzlied an, um den andern
Mut zu machen. Lnugsam begannen sich die Galeeren zu füllen, gleichsam als
ob alle widerstrebend und zögernd den Weg anträten. Ich ließ mich mehr von
Hedwig, die mir zuflüsterte: Sind wir soweit gegangen, Margarete, so müssen
wir weiter! auf die Briicke ziehe", als daß ich sie freiwillig betreten hätte, noch
ehe ich die Flut unter meinen Füßen erblickte, wollte ich zurück, aber einer der
Wächter am Ufer, die anf Ordnung halten sollten, streckte den Speer zwischen
Steg und Ufer und wies mit rauher, ja frecher Geberde nach den Galeeren
hinüber. Unter den Knaben, welche noch am Strande der Einschiffung harrten,
entstand Murren, einige der Kühneren und Wehrhafteren schlugen an ihre dürf¬
tigen Waffen, sie kannten mich alle Wohl und fanden es unerhört, daß der fremde
Hafenknecht der dentschen Grafentochter so begegnen dürfe. Mich aber überkam
die Furcht, daß hier Blut fließen könne, ich sah, wie viele andre vorwurfsvoll
anf mein Zögern blickten -- ich bezwang mich und folgte Hedwig ins Schiff.
Da war mein erstes, daß ich erkannte, hier füllten nicht die Bewaffneten, die unsern
Zug geleitet hatten, den Schiffsraum, sonder" Fremde und darunter solche mit
dunklen Gesichtern, wie ich in vorigen glücklichen Tagen die Gesichter der Heiden
hatte schildern hören. Als ich zu denen trat, die schon an der Brüstung
der Galeere lehnten und von da ans den Hasen zurücksahen, erhob sich mit
einemmale lautes Getümmel drüben, und wir sahen deutlich, wie die ganze
Ordnung, die.Herr Pietro seit der Frühe gestiftet hatte, verwirrt ward,' wie die
für die Schisse eingekeilten Häuflein zusammenliefen, die Kranken lind Schwachen,
die man abgetrennt hatte, aus dem Lager strömten und ein wirres Geschrei ans
tausend Kehlen hörbar ward. Und mit einemmale zeigte sich Gottfried, unser
junger Führer und Prophet, der seit der Ankunft in Siuigaglia krank und stumm
in seinem Zelte gelegen hatte, hoch über allen Köpfen, zwischen Schiffen und
Strand, anf der Erhöhung, die für Leuchtfeuer hart am Ufer ausgemauert war.
Sein Antlitz erschien erdfahl, seine Augen waren halb erloschen, die blonden
Haare dünn und schlaff geworden, und der Fremdeste hätte Wohl sehen müssen,
daß der arme Knabe totkrank sei. Aber seine Stimme hatte er wiedergefunden,
und bis zu uns auf die Galeere herüber klang jeder Laut seines Mundes. Er
rief mit schneidend wehklagenden Tolle, daß die Engel ihn von, Sterbette empor-


Die Fischerin von Malmnocco.

Tagen unter den Spielleuten, welche sich um uns herandrängten, um mit Liedern
von großen Wundern, welche in Palästina geschehen, unsre letzten Pfennige zu
erbeuten, mehr als ein verdächtiges Gesicht wahrgenommen, das ich jetzt unter
dem harrenden, uns müßig höhnenden Schiffsvolke wiedererblickte. Bebend und
von Grauen lind Zorn zu gleicher Zeit erfüllt, fühlte ich, daß uns ein Unheil
bereitet ward und daß wir hilflos in dasselbe hineintrieben. Auf weit ins Meer
hinausgehenden Pfählen wnreu lauge schmale Brücken voll Brettern zu den
Galeeren hinübergeschlagen, schweigsam und einzeln nacheinander zogen die
jugendlichen Wallfahrer zu allen Schiffen hinüber, hie lind da stimmten die¬
jenigen, welche schon am hohen Bord standen, ein Kreuzlied an, um den andern
Mut zu machen. Lnugsam begannen sich die Galeeren zu füllen, gleichsam als
ob alle widerstrebend und zögernd den Weg anträten. Ich ließ mich mehr von
Hedwig, die mir zuflüsterte: Sind wir soweit gegangen, Margarete, so müssen
wir weiter! auf die Briicke ziehe», als daß ich sie freiwillig betreten hätte, noch
ehe ich die Flut unter meinen Füßen erblickte, wollte ich zurück, aber einer der
Wächter am Ufer, die anf Ordnung halten sollten, streckte den Speer zwischen
Steg und Ufer und wies mit rauher, ja frecher Geberde nach den Galeeren
hinüber. Unter den Knaben, welche noch am Strande der Einschiffung harrten,
entstand Murren, einige der Kühneren und Wehrhafteren schlugen an ihre dürf¬
tigen Waffen, sie kannten mich alle Wohl und fanden es unerhört, daß der fremde
Hafenknecht der dentschen Grafentochter so begegnen dürfe. Mich aber überkam
die Furcht, daß hier Blut fließen könne, ich sah, wie viele andre vorwurfsvoll
anf mein Zögern blickten — ich bezwang mich und folgte Hedwig ins Schiff.
Da war mein erstes, daß ich erkannte, hier füllten nicht die Bewaffneten, die unsern
Zug geleitet hatten, den Schiffsraum, sonder» Fremde und darunter solche mit
dunklen Gesichtern, wie ich in vorigen glücklichen Tagen die Gesichter der Heiden
hatte schildern hören. Als ich zu denen trat, die schon an der Brüstung
der Galeere lehnten und von da ans den Hasen zurücksahen, erhob sich mit
einemmale lautes Getümmel drüben, und wir sahen deutlich, wie die ganze
Ordnung, die.Herr Pietro seit der Frühe gestiftet hatte, verwirrt ward,' wie die
für die Schisse eingekeilten Häuflein zusammenliefen, die Kranken lind Schwachen,
die man abgetrennt hatte, aus dem Lager strömten und ein wirres Geschrei ans
tausend Kehlen hörbar ward. Und mit einemmale zeigte sich Gottfried, unser
junger Führer und Prophet, der seit der Ankunft in Siuigaglia krank und stumm
in seinem Zelte gelegen hatte, hoch über allen Köpfen, zwischen Schiffen und
Strand, anf der Erhöhung, die für Leuchtfeuer hart am Ufer ausgemauert war.
Sein Antlitz erschien erdfahl, seine Augen waren halb erloschen, die blonden
Haare dünn und schlaff geworden, und der Fremdeste hätte Wohl sehen müssen,
daß der arme Knabe totkrank sei. Aber seine Stimme hatte er wiedergefunden,
und bis zu uns auf die Galeere herüber klang jeder Laut seines Mundes. Er
rief mit schneidend wehklagenden Tolle, daß die Engel ihn von, Sterbette empor-


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[0569] Die Fischerin von Malmnocco. Tagen unter den Spielleuten, welche sich um uns herandrängten, um mit Liedern von großen Wundern, welche in Palästina geschehen, unsre letzten Pfennige zu erbeuten, mehr als ein verdächtiges Gesicht wahrgenommen, das ich jetzt unter dem harrenden, uns müßig höhnenden Schiffsvolke wiedererblickte. Bebend und von Grauen lind Zorn zu gleicher Zeit erfüllt, fühlte ich, daß uns ein Unheil bereitet ward und daß wir hilflos in dasselbe hineintrieben. Auf weit ins Meer hinausgehenden Pfählen wnreu lauge schmale Brücken voll Brettern zu den Galeeren hinübergeschlagen, schweigsam und einzeln nacheinander zogen die jugendlichen Wallfahrer zu allen Schiffen hinüber, hie lind da stimmten die¬ jenigen, welche schon am hohen Bord standen, ein Kreuzlied an, um den andern Mut zu machen. Lnugsam begannen sich die Galeeren zu füllen, gleichsam als ob alle widerstrebend und zögernd den Weg anträten. Ich ließ mich mehr von Hedwig, die mir zuflüsterte: Sind wir soweit gegangen, Margarete, so müssen wir weiter! auf die Briicke ziehe», als daß ich sie freiwillig betreten hätte, noch ehe ich die Flut unter meinen Füßen erblickte, wollte ich zurück, aber einer der Wächter am Ufer, die anf Ordnung halten sollten, streckte den Speer zwischen Steg und Ufer und wies mit rauher, ja frecher Geberde nach den Galeeren hinüber. Unter den Knaben, welche noch am Strande der Einschiffung harrten, entstand Murren, einige der Kühneren und Wehrhafteren schlugen an ihre dürf¬ tigen Waffen, sie kannten mich alle Wohl und fanden es unerhört, daß der fremde Hafenknecht der dentschen Grafentochter so begegnen dürfe. Mich aber überkam die Furcht, daß hier Blut fließen könne, ich sah, wie viele andre vorwurfsvoll anf mein Zögern blickten — ich bezwang mich und folgte Hedwig ins Schiff. Da war mein erstes, daß ich erkannte, hier füllten nicht die Bewaffneten, die unsern Zug geleitet hatten, den Schiffsraum, sonder» Fremde und darunter solche mit dunklen Gesichtern, wie ich in vorigen glücklichen Tagen die Gesichter der Heiden hatte schildern hören. Als ich zu denen trat, die schon an der Brüstung der Galeere lehnten und von da ans den Hasen zurücksahen, erhob sich mit einemmale lautes Getümmel drüben, und wir sahen deutlich, wie die ganze Ordnung, die.Herr Pietro seit der Frühe gestiftet hatte, verwirrt ward,' wie die für die Schisse eingekeilten Häuflein zusammenliefen, die Kranken lind Schwachen, die man abgetrennt hatte, aus dem Lager strömten und ein wirres Geschrei ans tausend Kehlen hörbar ward. Und mit einemmale zeigte sich Gottfried, unser junger Führer und Prophet, der seit der Ankunft in Siuigaglia krank und stumm in seinem Zelte gelegen hatte, hoch über allen Köpfen, zwischen Schiffen und Strand, anf der Erhöhung, die für Leuchtfeuer hart am Ufer ausgemauert war. Sein Antlitz erschien erdfahl, seine Augen waren halb erloschen, die blonden Haare dünn und schlaff geworden, und der Fremdeste hätte Wohl sehen müssen, daß der arme Knabe totkrank sei. Aber seine Stimme hatte er wiedergefunden, und bis zu uns auf die Galeere herüber klang jeder Laut seines Mundes. Er rief mit schneidend wehklagenden Tolle, daß die Engel ihn von, Sterbette empor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/569>, abgerufen am 29.06.2024.