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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Fischern von Malamocco.

nur ein paar Stunden schlummern, mitten in der Unehe wachte ich auf und
hörte durch das leichte Gezelt, wie die große Flut stark gegen den Strand
schlug, damals wußte ich uoch nicht, daß ich Nacht für Nacht mein Leben
hindurch demselben Klänge lauschen sollte. Ich wallte des Kommenden denken
und inbrünstig zur heiligen Jungfrau beten, daß sie uns vor weiterin Unheil
beschirmen möge, aber dunkler als die Nacht draußen blieb nur alles Künftige.
Ich kounte Joppe und Jerusalem, die nur sonst so schimmernd vor Angen ge¬
standen hatten, uicht schauen, ich mußte zurück und immer weiter zurück durch
ganz Wälschland und Deutschland, alle rauhen Wege, die wir gezogen waren,
bis in die Buchenwälder der Heimat! In heißen Thränen lag ich still auf der
Decke, welche wir über den Erdboden gebreitet, und sorgte den Schlummer der
armen Hedwig nicht zu stören. Und in dieser Unehe wußte ich ganz, was ich
gethan, alle kindischen Träume und Wünsche waren dahin, und es blieb nichts
zurück als ein trotziges Kind, das in frevelndem Gelüst die Seinen und ihre
treue Pflege verlassen hatte und sich nun voller Angst und Reue nach ihnen
zurücksehnte. Ich hätte das rote Kreuz von meiner Schulter reiße" mögen und
fürchtete doch neue schwere Sünde zur nlteu zu fügen. Dn begann meine Buße,
Vater Girolamo, die seitdem im geheimen manches Jahr fortgewahrt hat. Zu¬
vörderst aber ward mir die Strafe für das, was ich gethan, in schweren Ängsten
und trostlosen Elend zu Teil. Zwei Tage uoch währte unsre Rast am Hafen
von Sinignglia, dann sollten wir zu Schiff gehen. Sorglich und mit kundigem
Blick, recht wie ein Kaufherr, der alle Waaren kennt, schied Herr Pietro Vieentino
die Gesunden von den Kranken und schaltete mit den Patronen und Steuer¬
leuten seiner Galeeren unter uns, als wäre er mit einemmale unser Haupt ge¬
worden. Unsre Bewaffneten widersprachen seinen Anordnungen nicht, sondern
zwangen uns mit manchem Schlag und Stoß, dem Schiffsherrn zu gehorchen,
Gottfried, der Hirt, dem wir gefolgt waren, lag seit der Ankunft in Sinigaglia
krank darnieder, durch unser Lager schwirrte immer lauter das Gerücht, daß er
schwerlich die heiligen Stätten jemals schauen werde. Der Morgen der Ein¬
schiffung begann mit großem Getümmel, ich und Hedwig gehörten zu den
Mädchen, die für die erste Galeere abgezählt wurden, denn dein Abzählen einer
Heerde glich es, und ich vermochte schwer zu glauben, daß es um der Ordnung
und des engen Raumes im Schiffe willen so sein müsse. Herr Pietro ließ alle,
die zur Einschiffung bestimmt waren, alsbald von denen trennen, welche vor der
Hand zurückbleiben sollten, und schon in jener Frühe hatte ich, ohne es zu
wissen, manche Unglücksgcfährtin zum letztenmale gesehen. In dem Wirr¬
warr, der die meisten von uns betäubte und dem ein paar hundert
Knaben thöricht genug zujauchzten, wurden meine Angen immer klarer, immer
mehr ward mir zu Mute, als wären wir in Banden lind der Kaufherr von
Sinignglia habe etwas ganz andres im Sinne, als uns um Gottes willen nach
den Häfen des heiligen Landes zu bringen. Ich hatte in den vergangenen beiden


Die Fischern von Malamocco.

nur ein paar Stunden schlummern, mitten in der Unehe wachte ich auf und
hörte durch das leichte Gezelt, wie die große Flut stark gegen den Strand
schlug, damals wußte ich uoch nicht, daß ich Nacht für Nacht mein Leben
hindurch demselben Klänge lauschen sollte. Ich wallte des Kommenden denken
und inbrünstig zur heiligen Jungfrau beten, daß sie uns vor weiterin Unheil
beschirmen möge, aber dunkler als die Nacht draußen blieb nur alles Künftige.
Ich kounte Joppe und Jerusalem, die nur sonst so schimmernd vor Angen ge¬
standen hatten, uicht schauen, ich mußte zurück und immer weiter zurück durch
ganz Wälschland und Deutschland, alle rauhen Wege, die wir gezogen waren,
bis in die Buchenwälder der Heimat! In heißen Thränen lag ich still auf der
Decke, welche wir über den Erdboden gebreitet, und sorgte den Schlummer der
armen Hedwig nicht zu stören. Und in dieser Unehe wußte ich ganz, was ich
gethan, alle kindischen Träume und Wünsche waren dahin, und es blieb nichts
zurück als ein trotziges Kind, das in frevelndem Gelüst die Seinen und ihre
treue Pflege verlassen hatte und sich nun voller Angst und Reue nach ihnen
zurücksehnte. Ich hätte das rote Kreuz von meiner Schulter reiße» mögen und
fürchtete doch neue schwere Sünde zur nlteu zu fügen. Dn begann meine Buße,
Vater Girolamo, die seitdem im geheimen manches Jahr fortgewahrt hat. Zu¬
vörderst aber ward mir die Strafe für das, was ich gethan, in schweren Ängsten
und trostlosen Elend zu Teil. Zwei Tage uoch währte unsre Rast am Hafen
von Sinignglia, dann sollten wir zu Schiff gehen. Sorglich und mit kundigem
Blick, recht wie ein Kaufherr, der alle Waaren kennt, schied Herr Pietro Vieentino
die Gesunden von den Kranken und schaltete mit den Patronen und Steuer¬
leuten seiner Galeeren unter uns, als wäre er mit einemmale unser Haupt ge¬
worden. Unsre Bewaffneten widersprachen seinen Anordnungen nicht, sondern
zwangen uns mit manchem Schlag und Stoß, dem Schiffsherrn zu gehorchen,
Gottfried, der Hirt, dem wir gefolgt waren, lag seit der Ankunft in Sinigaglia
krank darnieder, durch unser Lager schwirrte immer lauter das Gerücht, daß er
schwerlich die heiligen Stätten jemals schauen werde. Der Morgen der Ein¬
schiffung begann mit großem Getümmel, ich und Hedwig gehörten zu den
Mädchen, die für die erste Galeere abgezählt wurden, denn dein Abzählen einer
Heerde glich es, und ich vermochte schwer zu glauben, daß es um der Ordnung
und des engen Raumes im Schiffe willen so sein müsse. Herr Pietro ließ alle,
die zur Einschiffung bestimmt waren, alsbald von denen trennen, welche vor der
Hand zurückbleiben sollten, und schon in jener Frühe hatte ich, ohne es zu
wissen, manche Unglücksgcfährtin zum letztenmale gesehen. In dem Wirr¬
warr, der die meisten von uns betäubte und dem ein paar hundert
Knaben thöricht genug zujauchzten, wurden meine Angen immer klarer, immer
mehr ward mir zu Mute, als wären wir in Banden lind der Kaufherr von
Sinignglia habe etwas ganz andres im Sinne, als uns um Gottes willen nach
den Häfen des heiligen Landes zu bringen. Ich hatte in den vergangenen beiden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/568>, abgerufen am 29.06.2024.