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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Aus der Baugeschichte Leipzigs.

Gassen eine ziemliche Menge Privatgebäude und vortreffliche Paläste gebaut
worden, mit herrlich ausmenblirten Zimmern, deren die meisten eapnble siud,
Fürsten und große Herren nach Standesgebühr zu accommodiren" Nur Ende
der Rococozeit vollends, als die Zahl der Neubauten immer größer geworden
war, muß die Stadt jenen Gesteiubilduugcu geglichen haben, bei deuen infolge
vulkanischer Wirkungen zwei grundverschiedene Formationen durcheinander ge¬
schoben sind. Wer mit jugendlichem Enthusiasmus wie der sechzehnjährige
Student Goethe die Stadt betrat, hatte nur für das Neue ein Auge. Mit
Entzücken erzählt er noch im Alter in "Dichtung und Wahrheit," welchen gro߬
artigen Eindruck die architektonische Erscheinung Leipzigs ans ihn gemacht habe.
Kritischere Gemüter, wie sie in der üppig wuchernden Pasquillliterntnr der acht¬
ziger und neunziger Jahre sich Luft machten, sahen nur das häßliche Durch¬
einander. In der Schmähschrift "Tableau vou Leipzig" vom Jahre 1783 heißt
es: "Es ist ein Mischmasch von großen und kleinen das Auge beleidigenden
Häusern. Neben dem besten Hause in der besten Straße stößt man auf ein
Hüttchen, das einer kleinen Bauerscheuke nicht unähnlich sieht. Am Eingänge
der Petersstraße vom Markte her, in der Hainstraße und grimmischen Gasse
findet man Beweise. Die einzige Katharinenstraße leidet eine Ausnahme. Sonst
sehe mau deu Brühl, die Reichs-, die Ritterstraße, diese kann nur ein von
niedrigem Dörfchen die Mauern und Thore einer Stadt zum erstenmale be¬
grüßender Landknabe schön nennen."

Der Zopfstil, dieser schwächliche, soll man sagen Ausläufer des Barockstils
oder Vorläufer der klassizistischen Periode -- beides ist richtig --, hat in Leipzig
einen seiner wichtigsten Vertreter überhaupt gehabt: Adam Friedrich Oeser, der
1764 an die, nach dem Ende des siebenjährigen Krieges, neugegründete Leipziger
Kunstakademie vou Dresden aus als Direktor geschickt worden war. Oeser war
in Dresden eng mit Winckelmann befreundet gewesen, der das ganze Barock-
und Noeoeowesen leidenschaftlich bekämpfte und begeistert die Rückkehr zu der
"edeln Einfalt und stillen Größe" der hellenischen Kunst predigte, und be¬
mühte sich, die Lehren Winckelmanns in die Praxis umzusetzen. Leider geschah
dies in jener unzulänglichen Art, die ihren antikisirenden Anwandlungen vollauf
genügt zu haben meinte, wenn sie an einen kauellirteu Säuleustumpf ein Me¬
daillon mit einer flatternden Schleife gehängt, in ein Giebelfeld eine flache rosen-
umwnudeue Urne oder lorberbekräuzte Lyra geklebt und um einer kahlen, von
zahllosen Fenstern durchbrochenen Wandfläche ein paar dünne Pilaster und einen
armseligen Palmettcn- oder Mäandcrfries angebracht hatte. Der Baumeister,
in dessen Schöpfungen der Zopfstil in Leipzig zum Ausdruck kommt oder kam,
war Johann Friedrich Danthe, anfänglich unter Oeser Lehrer der Baukunst an
der Leipziger Akademie, später zum Baudirektor des Leipziger Rates berufen. Als
dritter im Bunde aber ist zu neunen der Bürgermeister Leipzigs in den letzten beiden
Dezennien des vorigen Jahrhunderts, Karl Wilhelm Müller, ein aufgeklärter, viel-


Aus der Baugeschichte Leipzigs.

Gassen eine ziemliche Menge Privatgebäude und vortreffliche Paläste gebaut
worden, mit herrlich ausmenblirten Zimmern, deren die meisten eapnble siud,
Fürsten und große Herren nach Standesgebühr zu accommodiren" Nur Ende
der Rococozeit vollends, als die Zahl der Neubauten immer größer geworden
war, muß die Stadt jenen Gesteiubilduugcu geglichen haben, bei deuen infolge
vulkanischer Wirkungen zwei grundverschiedene Formationen durcheinander ge¬
schoben sind. Wer mit jugendlichem Enthusiasmus wie der sechzehnjährige
Student Goethe die Stadt betrat, hatte nur für das Neue ein Auge. Mit
Entzücken erzählt er noch im Alter in „Dichtung und Wahrheit," welchen gro߬
artigen Eindruck die architektonische Erscheinung Leipzigs ans ihn gemacht habe.
Kritischere Gemüter, wie sie in der üppig wuchernden Pasquillliterntnr der acht¬
ziger und neunziger Jahre sich Luft machten, sahen nur das häßliche Durch¬
einander. In der Schmähschrift „Tableau vou Leipzig" vom Jahre 1783 heißt
es: „Es ist ein Mischmasch von großen und kleinen das Auge beleidigenden
Häusern. Neben dem besten Hause in der besten Straße stößt man auf ein
Hüttchen, das einer kleinen Bauerscheuke nicht unähnlich sieht. Am Eingänge
der Petersstraße vom Markte her, in der Hainstraße und grimmischen Gasse
findet man Beweise. Die einzige Katharinenstraße leidet eine Ausnahme. Sonst
sehe mau deu Brühl, die Reichs-, die Ritterstraße, diese kann nur ein von
niedrigem Dörfchen die Mauern und Thore einer Stadt zum erstenmale be¬
grüßender Landknabe schön nennen."

Der Zopfstil, dieser schwächliche, soll man sagen Ausläufer des Barockstils
oder Vorläufer der klassizistischen Periode — beides ist richtig —, hat in Leipzig
einen seiner wichtigsten Vertreter überhaupt gehabt: Adam Friedrich Oeser, der
1764 an die, nach dem Ende des siebenjährigen Krieges, neugegründete Leipziger
Kunstakademie vou Dresden aus als Direktor geschickt worden war. Oeser war
in Dresden eng mit Winckelmann befreundet gewesen, der das ganze Barock-
und Noeoeowesen leidenschaftlich bekämpfte und begeistert die Rückkehr zu der
„edeln Einfalt und stillen Größe" der hellenischen Kunst predigte, und be¬
mühte sich, die Lehren Winckelmanns in die Praxis umzusetzen. Leider geschah
dies in jener unzulänglichen Art, die ihren antikisirenden Anwandlungen vollauf
genügt zu haben meinte, wenn sie an einen kauellirteu Säuleustumpf ein Me¬
daillon mit einer flatternden Schleife gehängt, in ein Giebelfeld eine flache rosen-
umwnudeue Urne oder lorberbekräuzte Lyra geklebt und um einer kahlen, von
zahllosen Fenstern durchbrochenen Wandfläche ein paar dünne Pilaster und einen
armseligen Palmettcn- oder Mäandcrfries angebracht hatte. Der Baumeister,
in dessen Schöpfungen der Zopfstil in Leipzig zum Ausdruck kommt oder kam,
war Johann Friedrich Danthe, anfänglich unter Oeser Lehrer der Baukunst an
der Leipziger Akademie, später zum Baudirektor des Leipziger Rates berufen. Als
dritter im Bunde aber ist zu neunen der Bürgermeister Leipzigs in den letzten beiden
Dezennien des vorigen Jahrhunderts, Karl Wilhelm Müller, ein aufgeklärter, viel-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/560>, abgerufen am 29.06.2024.