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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Aus der Baugeschichte Leipzigs.

seitig gebildeter, liternrisch und künstlerisch angeregter Mann, der sich mit allerhand
Fortschrittsideen und Vcrschönernngsplänen trug, vieles davon anch zur Aus¬
führung brachte und dabei die bemerkenswerte Eigentümlichkeit hatte, daß er sich
um die Beschaffung der Mittel keine Sorgen machte. Diese drei, Oeser, Danthe
und Müller, haben dem Kunstleben Leipzigs am Ende des 18. Jahrhunderts seine
Signatur gegeben. Dauthe war der Erbauer des Gevrgenhausflngels nach dem
Schwamme^lebe (1790), der ersten Bürgerschule (1796 bis 1804) und des
Löhrschen Hauses, dem alten Theater gegenüber (1772); das letztere ist nicht
ohne Reiz, namentlich an der Gartenseite, wo zwei Pavillons vorspringen, die
ein von zwanzig dorischen Säulen getragener Balkon verbindet. Recht eigentlich
das gemeinschaftliche Werk der genannten drei aber und die klassische Leistung
des Zopfstiles in Leipzig ist die große Renovation der Nikolaikirche, die von
1784--1796 ausgeführt wurde. Die alten gothischen Pfeiler wurden in lamellirte
Säulen verwandelt, über den Kapitalen wurden Palmblätter angebracht, die
die aufsteigenden Nippen verdecken und den Anschein erwecken sollten, als ob
das Gewölbe von riesigen Palmbäumen getragen würde, das Rippennetz nur
Gewölbe selbst wurde mit raffinirtester Benutzung des vorhandenen zu einer
Art vou Kassettendecke umgestaltet ----- alles durch Stuckarbeit. Die schöne
steinere Kanzel von 1521 wurde in die Rumpelkammer verbannt, die zahlreichen
Bilder und Schnitzwerke, welche, zum Teil aus Crnnachs Zeit und Schule, in
der Kirche sich angehäuft hatten, wurden ans deu Kirchboden geräumt und an
ihrer Statt versorgte Oeser die Kirche mit Malereien seiner Hand. Die große
Masse der Zeitgenossen war entzückt über diese Erneuerung. Man nannte die
Kirche die "prächtige," und alles drängte sich zu ihrem Besuche. Daneben er¬
hoben sich freilich auch abweichende Stimmen, die eine scharfe Kritik übten und
den Ausdruck "Verschönerung der Nikolaikirche" nur mit Anführungszeichen
schreiben wollten, und zum Unglück kam hinzu, daß man nicht nur den Geschmack,
sondern anch die technische Solidität von Danthes Leistungen in Zweifel
zog. Seine Straßen- und Brückcnbnnten haben bittere Urteile über sich ergehen
küssen müssen. Auf deu Einsturz einer neuen von ihm erbauten Brücke bezieht
sich der Buchtitel in einem satirischen Bücherkntalog jener Zeit: "Ausführliche
Beantwortung der Frage: Wie kann Wasser solche große Dinge thun? Vom
Vandirektor Danthe. Eine gekrönte Preisschrift."

Die Renovation der Nikolnikirche ist das letzte Beispiel jener in gewissem
Sinne beneidenswerten Naivität früherer Jahrhunderte, welche ihren Baustil
für den allein wahren, schönen und berechtigten hielt und diesen ohne die leisesten
Bedenken an die Bauwerke älterer Stilweisen anfügte. Mit dem Erwachen des
kunstgeschichtlichen Sinnes und dem Beginn des kunstgeschichtlichen Studiums
am Anfange dieses Jahrhunderts, von dem Augenblicke an, wo man anfing, ein
Wort wie "gothisch" nicht mehr -- so wie es Lessing noch überall thut -- als
Schmnhwort für alles angeblich veraltete, sondern zur Bezeichnung einer be-


Aus der Baugeschichte Leipzigs.

seitig gebildeter, liternrisch und künstlerisch angeregter Mann, der sich mit allerhand
Fortschrittsideen und Vcrschönernngsplänen trug, vieles davon anch zur Aus¬
führung brachte und dabei die bemerkenswerte Eigentümlichkeit hatte, daß er sich
um die Beschaffung der Mittel keine Sorgen machte. Diese drei, Oeser, Danthe
und Müller, haben dem Kunstleben Leipzigs am Ende des 18. Jahrhunderts seine
Signatur gegeben. Dauthe war der Erbauer des Gevrgenhausflngels nach dem
Schwamme^lebe (1790), der ersten Bürgerschule (1796 bis 1804) und des
Löhrschen Hauses, dem alten Theater gegenüber (1772); das letztere ist nicht
ohne Reiz, namentlich an der Gartenseite, wo zwei Pavillons vorspringen, die
ein von zwanzig dorischen Säulen getragener Balkon verbindet. Recht eigentlich
das gemeinschaftliche Werk der genannten drei aber und die klassische Leistung
des Zopfstiles in Leipzig ist die große Renovation der Nikolaikirche, die von
1784—1796 ausgeführt wurde. Die alten gothischen Pfeiler wurden in lamellirte
Säulen verwandelt, über den Kapitalen wurden Palmblätter angebracht, die
die aufsteigenden Nippen verdecken und den Anschein erwecken sollten, als ob
das Gewölbe von riesigen Palmbäumen getragen würde, das Rippennetz nur
Gewölbe selbst wurde mit raffinirtester Benutzung des vorhandenen zu einer
Art vou Kassettendecke umgestaltet ----- alles durch Stuckarbeit. Die schöne
steinere Kanzel von 1521 wurde in die Rumpelkammer verbannt, die zahlreichen
Bilder und Schnitzwerke, welche, zum Teil aus Crnnachs Zeit und Schule, in
der Kirche sich angehäuft hatten, wurden ans deu Kirchboden geräumt und an
ihrer Statt versorgte Oeser die Kirche mit Malereien seiner Hand. Die große
Masse der Zeitgenossen war entzückt über diese Erneuerung. Man nannte die
Kirche die „prächtige," und alles drängte sich zu ihrem Besuche. Daneben er¬
hoben sich freilich auch abweichende Stimmen, die eine scharfe Kritik übten und
den Ausdruck „Verschönerung der Nikolaikirche" nur mit Anführungszeichen
schreiben wollten, und zum Unglück kam hinzu, daß man nicht nur den Geschmack,
sondern anch die technische Solidität von Danthes Leistungen in Zweifel
zog. Seine Straßen- und Brückcnbnnten haben bittere Urteile über sich ergehen
küssen müssen. Auf deu Einsturz einer neuen von ihm erbauten Brücke bezieht
sich der Buchtitel in einem satirischen Bücherkntalog jener Zeit: „Ausführliche
Beantwortung der Frage: Wie kann Wasser solche große Dinge thun? Vom
Vandirektor Danthe. Eine gekrönte Preisschrift."

Die Renovation der Nikolnikirche ist das letzte Beispiel jener in gewissem
Sinne beneidenswerten Naivität früherer Jahrhunderte, welche ihren Baustil
für den allein wahren, schönen und berechtigten hielt und diesen ohne die leisesten
Bedenken an die Bauwerke älterer Stilweisen anfügte. Mit dem Erwachen des
kunstgeschichtlichen Sinnes und dem Beginn des kunstgeschichtlichen Studiums
am Anfange dieses Jahrhunderts, von dem Augenblicke an, wo man anfing, ein
Wort wie „gothisch" nicht mehr — so wie es Lessing noch überall thut — als
Schmnhwort für alles angeblich veraltete, sondern zur Bezeichnung einer be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/561>, abgerufen am 28.09.2024.