Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Ans der Bmigeschichte Leipzigs.

kirche war ursprünglich jedenfalls nach romanischer Art auf zwei Thürme mit
dazwischcnstehendem Giebel angelegt. Lotter baute den mittlern Thurm; da
dieser aber nicht von Grund aus aufgeführt, sondern auf die unes innen
gekehrten Umfasfuugsmnuern der beiden Seitcuthürme gesetzt wurde, so sagt er
ganz korrekt, er habe "ein Stück Thurms" gebaut. Der oberste Teil desselben
ist übrigens 1731 gänzlich erneuert worden.

Endlich das Rathaus. Es wurde im Sommer 1556 an Stelle des alten
kleinen, ganz baufällig gewordenen Hanfes erbaut und der Ban so rasch gefördert,
daß die fremden Kaufleute, die zur Ostermesse den Beginn des Neubaues mit
angesehen, als sie zur Michnelismesse wiederkehrten, "über so unverhofften Fort-
gnug fast erstarret" waren, wie es in Vogels Chronik von Leipzig heißt. Diese
schnellen Fortschritte erklären sich dadurch, daß Lotter von dem alten Ban die
Fundamente und einen Teil des Erdgeschosses stehen lassen und wieder verwenden
konnte. Und noch etwas andres erklärt sich daraus: die unsymmetrische Anlage
des Rathauses; von den sechs Giebeln, die vor das Dach gestellt sind, liegen
ja zwei zur Linken, vier zur Rechten des Thurmes. Das alte Rathaus war
eben beträchtlich kürzer gewesen und hatte seinen Thurm in der Mitte gehabt,
Lotter benutzte aber auch die Fundamente des alten Thurmes wieder. Übrigens
giebt auch das Rathaus jetzt von seiner ehemaligen Beschaffenheit nnr eine un-
vollkommene Vorstellung. Zwischen je zwei Giebeln erhob sich anfänglich ein
hoher, die Giebel weit überragender Schornstein, um Thurme ist die obere Partie
im Jahre 1744 erneuert worden, und am Erdgeschoß lief nu der Markt
seite ursprünglich eine Kolonnade ans geschweiften Säulchen, die sogenannten
Lauben oder Bühnen hin, die jetzt durch die vorgebauten Kaufläden verdrängt
ist. Was aber das wichtigste ist: die Verhältnisse des Baues sind in empfind¬
licher Weise gestört worden. Jedermann hat den Eindruck, als ob das Rathaus
ein Stück in den Erdboden eingesunken wäre, und das ist es in der That, nämlich
dadurch, daß das Niveau des Marktes im Lause des 17. Jahrhunderts erhöht
worden ist. Zur Flur des Rathnusdnrchganges, die jetzt zu ebner Erde liegt,
führte ursprünglich eine Treppe, und in die Kaufgewölbe, die erst zu ebner Erde
lagen, nuiß man jetzt mehrere Stufen hinabsteigen. Daher auch der fatale Um-
stand, daß die vorgebauten Läden die Fenster des Erdgeschosses, welche ehemals
freilagen, jetzt zum größten Teile verdecken. Die stattlichen, mit reicher Stein¬
metzarbeit verzierten Kamine im großen Saale stammen nicht ans Lotters Zeit;
sie sind, wie die schon stark barocken Formen zeigen, erst Ende des 16. Jahr¬
hunderts angebracht worden. Der Saal wurde vielfach im 16. und 17. Jahr¬
hundert, wo es sonst in der Stadt an einem größeren Festräume fehlte, als
Speise- und Tanzsaal benutzt. Bei Anwesenheit fürstlicher Personen wurden
Barlets hier abgehalten, der Rat veranstaltete hier seine "Kollationen," an
Feiertagen tanzten hier die Handwerksgesellen, lind mit Erlaubnis des Rates
zogen nicht selten auch die Hochzeitsgäste vornehmer Familien, wenn das Mahl


Ans der Bmigeschichte Leipzigs.

kirche war ursprünglich jedenfalls nach romanischer Art auf zwei Thürme mit
dazwischcnstehendem Giebel angelegt. Lotter baute den mittlern Thurm; da
dieser aber nicht von Grund aus aufgeführt, sondern auf die unes innen
gekehrten Umfasfuugsmnuern der beiden Seitcuthürme gesetzt wurde, so sagt er
ganz korrekt, er habe „ein Stück Thurms" gebaut. Der oberste Teil desselben
ist übrigens 1731 gänzlich erneuert worden.

Endlich das Rathaus. Es wurde im Sommer 1556 an Stelle des alten
kleinen, ganz baufällig gewordenen Hanfes erbaut und der Ban so rasch gefördert,
daß die fremden Kaufleute, die zur Ostermesse den Beginn des Neubaues mit
angesehen, als sie zur Michnelismesse wiederkehrten, „über so unverhofften Fort-
gnug fast erstarret" waren, wie es in Vogels Chronik von Leipzig heißt. Diese
schnellen Fortschritte erklären sich dadurch, daß Lotter von dem alten Ban die
Fundamente und einen Teil des Erdgeschosses stehen lassen und wieder verwenden
konnte. Und noch etwas andres erklärt sich daraus: die unsymmetrische Anlage
des Rathauses; von den sechs Giebeln, die vor das Dach gestellt sind, liegen
ja zwei zur Linken, vier zur Rechten des Thurmes. Das alte Rathaus war
eben beträchtlich kürzer gewesen und hatte seinen Thurm in der Mitte gehabt,
Lotter benutzte aber auch die Fundamente des alten Thurmes wieder. Übrigens
giebt auch das Rathaus jetzt von seiner ehemaligen Beschaffenheit nnr eine un-
vollkommene Vorstellung. Zwischen je zwei Giebeln erhob sich anfänglich ein
hoher, die Giebel weit überragender Schornstein, um Thurme ist die obere Partie
im Jahre 1744 erneuert worden, und am Erdgeschoß lief nu der Markt
seite ursprünglich eine Kolonnade ans geschweiften Säulchen, die sogenannten
Lauben oder Bühnen hin, die jetzt durch die vorgebauten Kaufläden verdrängt
ist. Was aber das wichtigste ist: die Verhältnisse des Baues sind in empfind¬
licher Weise gestört worden. Jedermann hat den Eindruck, als ob das Rathaus
ein Stück in den Erdboden eingesunken wäre, und das ist es in der That, nämlich
dadurch, daß das Niveau des Marktes im Lause des 17. Jahrhunderts erhöht
worden ist. Zur Flur des Rathnusdnrchganges, die jetzt zu ebner Erde liegt,
führte ursprünglich eine Treppe, und in die Kaufgewölbe, die erst zu ebner Erde
lagen, nuiß man jetzt mehrere Stufen hinabsteigen. Daher auch der fatale Um-
stand, daß die vorgebauten Läden die Fenster des Erdgeschosses, welche ehemals
freilagen, jetzt zum größten Teile verdecken. Die stattlichen, mit reicher Stein¬
metzarbeit verzierten Kamine im großen Saale stammen nicht ans Lotters Zeit;
sie sind, wie die schon stark barocken Formen zeigen, erst Ende des 16. Jahr¬
hunderts angebracht worden. Der Saal wurde vielfach im 16. und 17. Jahr¬
hundert, wo es sonst in der Stadt an einem größeren Festräume fehlte, als
Speise- und Tanzsaal benutzt. Bei Anwesenheit fürstlicher Personen wurden
Barlets hier abgehalten, der Rat veranstaltete hier seine „Kollationen," an
Feiertagen tanzten hier die Handwerksgesellen, lind mit Erlaubnis des Rates
zogen nicht selten auch die Hochzeitsgäste vornehmer Familien, wenn das Mahl


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0554" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/194532"/>
          <fw type="header" place="top"> Ans der Bmigeschichte Leipzigs.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1997" prev="#ID_1996"> kirche war ursprünglich jedenfalls nach romanischer Art auf zwei Thürme mit<lb/>
dazwischcnstehendem Giebel angelegt. Lotter baute den mittlern Thurm; da<lb/>
dieser aber nicht von Grund aus aufgeführt, sondern auf die unes innen<lb/>
gekehrten Umfasfuugsmnuern der beiden Seitcuthürme gesetzt wurde, so sagt er<lb/>
ganz korrekt, er habe &#x201E;ein Stück Thurms" gebaut. Der oberste Teil desselben<lb/>
ist übrigens 1731 gänzlich erneuert worden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1998" next="#ID_1999"> Endlich das Rathaus. Es wurde im Sommer 1556 an Stelle des alten<lb/>
kleinen, ganz baufällig gewordenen Hanfes erbaut und der Ban so rasch gefördert,<lb/>
daß die fremden Kaufleute, die zur Ostermesse den Beginn des Neubaues mit<lb/>
angesehen, als sie zur Michnelismesse wiederkehrten, &#x201E;über so unverhofften Fort-<lb/>
gnug fast erstarret" waren, wie es in Vogels Chronik von Leipzig heißt. Diese<lb/>
schnellen Fortschritte erklären sich dadurch, daß Lotter von dem alten Ban die<lb/>
Fundamente und einen Teil des Erdgeschosses stehen lassen und wieder verwenden<lb/>
konnte. Und noch etwas andres erklärt sich daraus: die unsymmetrische Anlage<lb/>
des Rathauses; von den sechs Giebeln, die vor das Dach gestellt sind, liegen<lb/>
ja zwei zur Linken, vier zur Rechten des Thurmes. Das alte Rathaus war<lb/>
eben beträchtlich kürzer gewesen und hatte seinen Thurm in der Mitte gehabt,<lb/>
Lotter benutzte aber auch die Fundamente des alten Thurmes wieder. Übrigens<lb/>
giebt auch das Rathaus jetzt von seiner ehemaligen Beschaffenheit nnr eine un-<lb/>
vollkommene Vorstellung. Zwischen je zwei Giebeln erhob sich anfänglich ein<lb/>
hoher, die Giebel weit überragender Schornstein, um Thurme ist die obere Partie<lb/>
im Jahre 1744 erneuert worden, und am Erdgeschoß lief nu der Markt<lb/>
seite ursprünglich eine Kolonnade ans geschweiften Säulchen, die sogenannten<lb/>
Lauben oder Bühnen hin, die jetzt durch die vorgebauten Kaufläden verdrängt<lb/>
ist. Was aber das wichtigste ist: die Verhältnisse des Baues sind in empfind¬<lb/>
licher Weise gestört worden. Jedermann hat den Eindruck, als ob das Rathaus<lb/>
ein Stück in den Erdboden eingesunken wäre, und das ist es in der That, nämlich<lb/>
dadurch, daß das Niveau des Marktes im Lause des 17. Jahrhunderts erhöht<lb/>
worden ist. Zur Flur des Rathnusdnrchganges, die jetzt zu ebner Erde liegt,<lb/>
führte ursprünglich eine Treppe, und in die Kaufgewölbe, die erst zu ebner Erde<lb/>
lagen, nuiß man jetzt mehrere Stufen hinabsteigen. Daher auch der fatale Um-<lb/>
stand, daß die vorgebauten Läden die Fenster des Erdgeschosses, welche ehemals<lb/>
freilagen, jetzt zum größten Teile verdecken. Die stattlichen, mit reicher Stein¬<lb/>
metzarbeit verzierten Kamine im großen Saale stammen nicht ans Lotters Zeit;<lb/>
sie sind, wie die schon stark barocken Formen zeigen, erst Ende des 16. Jahr¬<lb/>
hunderts angebracht worden. Der Saal wurde vielfach im 16. und 17. Jahr¬<lb/>
hundert, wo es sonst in der Stadt an einem größeren Festräume fehlte, als<lb/>
Speise- und Tanzsaal benutzt. Bei Anwesenheit fürstlicher Personen wurden<lb/>
Barlets hier abgehalten, der Rat veranstaltete hier seine &#x201E;Kollationen," an<lb/>
Feiertagen tanzten hier die Handwerksgesellen, lind mit Erlaubnis des Rates<lb/>
zogen nicht selten auch die Hochzeitsgäste vornehmer Familien, wenn das Mahl</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0554] Ans der Bmigeschichte Leipzigs. kirche war ursprünglich jedenfalls nach romanischer Art auf zwei Thürme mit dazwischcnstehendem Giebel angelegt. Lotter baute den mittlern Thurm; da dieser aber nicht von Grund aus aufgeführt, sondern auf die unes innen gekehrten Umfasfuugsmnuern der beiden Seitcuthürme gesetzt wurde, so sagt er ganz korrekt, er habe „ein Stück Thurms" gebaut. Der oberste Teil desselben ist übrigens 1731 gänzlich erneuert worden. Endlich das Rathaus. Es wurde im Sommer 1556 an Stelle des alten kleinen, ganz baufällig gewordenen Hanfes erbaut und der Ban so rasch gefördert, daß die fremden Kaufleute, die zur Ostermesse den Beginn des Neubaues mit angesehen, als sie zur Michnelismesse wiederkehrten, „über so unverhofften Fort- gnug fast erstarret" waren, wie es in Vogels Chronik von Leipzig heißt. Diese schnellen Fortschritte erklären sich dadurch, daß Lotter von dem alten Ban die Fundamente und einen Teil des Erdgeschosses stehen lassen und wieder verwenden konnte. Und noch etwas andres erklärt sich daraus: die unsymmetrische Anlage des Rathauses; von den sechs Giebeln, die vor das Dach gestellt sind, liegen ja zwei zur Linken, vier zur Rechten des Thurmes. Das alte Rathaus war eben beträchtlich kürzer gewesen und hatte seinen Thurm in der Mitte gehabt, Lotter benutzte aber auch die Fundamente des alten Thurmes wieder. Übrigens giebt auch das Rathaus jetzt von seiner ehemaligen Beschaffenheit nnr eine un- vollkommene Vorstellung. Zwischen je zwei Giebeln erhob sich anfänglich ein hoher, die Giebel weit überragender Schornstein, um Thurme ist die obere Partie im Jahre 1744 erneuert worden, und am Erdgeschoß lief nu der Markt seite ursprünglich eine Kolonnade ans geschweiften Säulchen, die sogenannten Lauben oder Bühnen hin, die jetzt durch die vorgebauten Kaufläden verdrängt ist. Was aber das wichtigste ist: die Verhältnisse des Baues sind in empfind¬ licher Weise gestört worden. Jedermann hat den Eindruck, als ob das Rathaus ein Stück in den Erdboden eingesunken wäre, und das ist es in der That, nämlich dadurch, daß das Niveau des Marktes im Lause des 17. Jahrhunderts erhöht worden ist. Zur Flur des Rathnusdnrchganges, die jetzt zu ebner Erde liegt, führte ursprünglich eine Treppe, und in die Kaufgewölbe, die erst zu ebner Erde lagen, nuiß man jetzt mehrere Stufen hinabsteigen. Daher auch der fatale Um- stand, daß die vorgebauten Läden die Fenster des Erdgeschosses, welche ehemals freilagen, jetzt zum größten Teile verdecken. Die stattlichen, mit reicher Stein¬ metzarbeit verzierten Kamine im großen Saale stammen nicht ans Lotters Zeit; sie sind, wie die schon stark barocken Formen zeigen, erst Ende des 16. Jahr¬ hunderts angebracht worden. Der Saal wurde vielfach im 16. und 17. Jahr¬ hundert, wo es sonst in der Stadt an einem größeren Festräume fehlte, als Speise- und Tanzsaal benutzt. Bei Anwesenheit fürstlicher Personen wurden Barlets hier abgehalten, der Rat veranstaltete hier seine „Kollationen," an Feiertagen tanzten hier die Handwerksgesellen, lind mit Erlaubnis des Rates zogen nicht selten auch die Hochzeitsgäste vornehmer Familien, wenn das Mahl

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/554
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/554>, abgerufen am 29.06.2024.