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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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der Universität geschenkt wurde. Zwei im 16. Jahrhundert an der Nordseite,
nach der grimmischen Gasse zu, angebaute Grabkapelle" mit hohen Ziergiebeln
sind erst in unserm Jahrhundert wieder verschwunden; aus Abbildungen der
Kirche aus der Zeit der Völkerschlacht sind sie noch zu sehen.

Ein wesentlich anziehenderes Bild bietet schon die Periode der Renaissance
in Leipzig dar. Wer vermöchte sich die Stadt ohne den dicke", behäbigen Thurm
ihrer Pleißenburg und ohne ihr altersgraues, giebelbekröutes Rathaus zu denken?
Beide Bauten, die mit der ganzen Physiognomie Leipzigs unzertrennlich ver¬
wachsen zu sein scheine", sind in der zweite" Hälfte des 16. Jahrhunderts ent¬
standen.

Zu derselben Zeit, wo der Neubau der Nikolaikirche vollendet wurde, hatte
bereits die Renaissance von Schwaben und Franken ans ihre ersten Vorboten
nach Sachsen geschickt. Sie tritt zuerst im sächsischen Erzgebirge auf: an der
von 1499 --1525 erbauten Annenkirche in Nnuaberg, deren konstruktive Teile
vou rein gothischen Formen sind, zeigen die ornamentalen Details bereits eine
Mischung von gothischen und Nenaissnneemotiven. Das früheste in Leipzig
nachweisbare Gebäude, das Renaissaneespuren verriet, war das vor elf Jahren
abgebrochene Haus am Eingänge der Hainstraße, die "Goldne Schlange," später
Barthels Hof genannt. Glücklicherweise hat man die Pietät geübt, den obern
Teil der Fassade an der Hofseite des Neubaues Stein für Stein wieder aufzu¬
führen, und so ist der merkwürdige Erker dieses Hauses, der selbst in Lübkes
"Geschichte der deutscheu Renaissance" abgebildet worden ist, hoffentlich noch für
weitere drei Jahrhunderte erhalten blieben. Nu Barthels Hof sieht man
deutlich den Übergangsstil. Während am "Noten Kolleg" mit seinen hübschen
Sternbvgenfenstern (1517) noch keine Spur von Rennissanccelementen zu ent¬
decken ist, tritt hier sechs Jahre später zum erstenmale die neue Bauweise schüchtern
hervor. Gothisch ist uoch die Anordnung der Fenster, die tiefkcmellirte" Fenster-
nmrahmnngen mit ihre" feinen, am Fuße ornamentirter Rnndstäbe", gothisch
die sich kreuzenden Nippen an der Austragung des Erkers und das Maaßwerk
an der Brüstung der untersten Fenster, gothisch auch die geschweiften Spitzbogen
an den Fenstern des Giebels und das Polygone Thürmchen, welches ihn bekrönt;
dagegen wagt sich in den Laubgewinden und den Balnstersänlchen, welche in
naiver Weise vor das Maaßwerk der untersten Brüstung gestellt sind, der neue
Stil zuerst ans Licht. Die kleine Loggia , die den Erker oben abschließt, und
die gedrückten Voluten auf den Absätzen des Giebels stammen vou einer Restau¬
ration aus dem Jahre 1660.

So verschieden auch das Gesicht ist, welches die Renaissance in den ver¬
schiedene" Gege"den Deutschlands zeigt, so hat sie doch einen gemeinsamen Grund¬
zug: sie hat auf deutschem Boden weit mehr die Schmuckformen als die Bau¬
glieder ergriffe" und umgestaltet. In Leipzig ist dies besonders auffällig. Die
Leipziger Renaissance ist eigentlich nie aus der mittelalterlichen Bauweise heraus-


Grmz^'Um IV. 1882. 69

der Universität geschenkt wurde. Zwei im 16. Jahrhundert an der Nordseite,
nach der grimmischen Gasse zu, angebaute Grabkapelle» mit hohen Ziergiebeln
sind erst in unserm Jahrhundert wieder verschwunden; aus Abbildungen der
Kirche aus der Zeit der Völkerschlacht sind sie noch zu sehen.

Ein wesentlich anziehenderes Bild bietet schon die Periode der Renaissance
in Leipzig dar. Wer vermöchte sich die Stadt ohne den dicke», behäbigen Thurm
ihrer Pleißenburg und ohne ihr altersgraues, giebelbekröutes Rathaus zu denken?
Beide Bauten, die mit der ganzen Physiognomie Leipzigs unzertrennlich ver¬
wachsen zu sein scheine», sind in der zweite» Hälfte des 16. Jahrhunderts ent¬
standen.

Zu derselben Zeit, wo der Neubau der Nikolaikirche vollendet wurde, hatte
bereits die Renaissance von Schwaben und Franken ans ihre ersten Vorboten
nach Sachsen geschickt. Sie tritt zuerst im sächsischen Erzgebirge auf: an der
von 1499 —1525 erbauten Annenkirche in Nnuaberg, deren konstruktive Teile
vou rein gothischen Formen sind, zeigen die ornamentalen Details bereits eine
Mischung von gothischen und Nenaissnneemotiven. Das früheste in Leipzig
nachweisbare Gebäude, das Renaissaneespuren verriet, war das vor elf Jahren
abgebrochene Haus am Eingänge der Hainstraße, die „Goldne Schlange," später
Barthels Hof genannt. Glücklicherweise hat man die Pietät geübt, den obern
Teil der Fassade an der Hofseite des Neubaues Stein für Stein wieder aufzu¬
führen, und so ist der merkwürdige Erker dieses Hauses, der selbst in Lübkes
„Geschichte der deutscheu Renaissance" abgebildet worden ist, hoffentlich noch für
weitere drei Jahrhunderte erhalten blieben. Nu Barthels Hof sieht man
deutlich den Übergangsstil. Während am „Noten Kolleg" mit seinen hübschen
Sternbvgenfenstern (1517) noch keine Spur von Rennissanccelementen zu ent¬
decken ist, tritt hier sechs Jahre später zum erstenmale die neue Bauweise schüchtern
hervor. Gothisch ist uoch die Anordnung der Fenster, die tiefkcmellirte» Fenster-
nmrahmnngen mit ihre» feinen, am Fuße ornamentirter Rnndstäbe», gothisch
die sich kreuzenden Nippen an der Austragung des Erkers und das Maaßwerk
an der Brüstung der untersten Fenster, gothisch auch die geschweiften Spitzbogen
an den Fenstern des Giebels und das Polygone Thürmchen, welches ihn bekrönt;
dagegen wagt sich in den Laubgewinden und den Balnstersänlchen, welche in
naiver Weise vor das Maaßwerk der untersten Brüstung gestellt sind, der neue
Stil zuerst ans Licht. Die kleine Loggia , die den Erker oben abschließt, und
die gedrückten Voluten auf den Absätzen des Giebels stammen vou einer Restau¬
ration aus dem Jahre 1660.

So verschieden auch das Gesicht ist, welches die Renaissance in den ver¬
schiedene» Gege»den Deutschlands zeigt, so hat sie doch einen gemeinsamen Grund¬
zug: sie hat auf deutschem Boden weit mehr die Schmuckformen als die Bau¬
glieder ergriffe» und umgestaltet. In Leipzig ist dies besonders auffällig. Die
Leipziger Renaissance ist eigentlich nie aus der mittelalterlichen Bauweise heraus-


Grmz^'Um IV. 1882. 69
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/549>, abgerufen am 28.09.2024.