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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Freindrvörterseuche.

geholt werden kann, um fremde Eindringlinge zu ersetzen. Auch bellte noch
werden in verschiedenen Staaten, Lnndschnsten oder Städten deutsche Ausdrücke
gebraucht, an deren Stelle sollst überall Fremdwörter laufen. So nennt z. B.
die Main-Neckar-Bahn die sogenannten Knpees Abteilungen, so heiße" in Öster¬
reich die Fnhrbillets Fahrkarten; in Wien sagt man statt Parterre ebenerdig,
in Köln statt Parterreetage Unterhaus. In ganzen Gegenden Oberdeutschlands
und der Schweiz sind die Ausdrücke Tagfahrt für Termin, Tunke für Sauce,
Abweichung für Diarrhöe gebräuchlich u. s. w. Ich wollte nur einige Beispiele
anführen, um zu zeigen, wie nahe oft das Gute liegt. Eine ganz besondre Auf¬
merksamkeit würde aber der niederländischen Sprache zu widmen sein, in der
eine Menge von Wörtern erhalten sind, welche das Nenhochdeutsche verloren
hat, und die auch gute eigue Worte gebildet hat für Dinge, welche wir mit
fremdem Namen nennen. Sie sagt z. V. statt Protektor bk8(zberuib6(;r, statt
rentoiliren on'äovlcoil (verkünden), statt Carronssel vtmräMiuolkn (Pferdemühle),
statt Avenue linn oder Ivi, statt Datirung äA^tiZvKiZviiiA, statt Tapezierer bv-
bii.uA(zr, statt Kupee og>i< n. s. w. Schon Leibniz sagte in den "Unvvrgreif-
lichen Gedanken" in dieser Hinsicht: "Was das Holländische betrifft, würde
unsre Teutschen zumal guten Fug und Macht haben, durch gewisse Abgeord¬
nete, das Recht der Mutterstadt von dieser deutschen Pflanze einzusammeln, und
zu dem Ende dnrch kundige Leute die Holländische Sprache und Schriften unter¬
suchen und gleichsam Wardiren zu küssen, damit man sehe, was davon zu for¬
dern, und was bequem dem Hochdeutschen einverleibt werden." Ans diese Fund¬
grube sind seitdem wiederholt die Freunde deutscher Sprnchreinheit zurückge¬
kommen; auch Stephan hat in seinein um 17. Februar 187 7 zu Berlin über
"Die Fremdwörter" gehaltenen Vortrage unchdriicklich auf sie hingewiesen. In
demselben Sinne, wenn auch in viel beschränkterem Umfange, würden die skan¬
dinavischen Sprachen lind unter Umstünden auch die englische Sprache in Be¬
tracht zu ziehen sein.

Das sind die Mittel lind Wege, welche, mit Klugheit und Mäßigung an¬
gewandt, zwar allmählich, aber sicher die deutsche Sprache von den fremden
Einmischungen, den beschämenden Zeugen lind Zeichen unsrer langen, langen
nationalen Entartung und vielfachen schweren Unterjochung endlich befreien könnten.
Niemand wird sich die Schwierigkeit des Unternehmens verhehlen. Neben der
rechten Einsicht und dein guten Willen wird nicht selten viel Nachdenken, Ge-
schicklichkeit und Zartgefühl erforderlich sein. Aber dann wird es eher, als es
den Anschein hat, gelingen, das Übel, so alt und eingewurzelt, so verbreitet und
viel verzweigt es anch ist, zu heilen.

Wir haben uus ans allen Gebieten national gehoben, wir sind in Wissen¬
schaften und Künsten wieder auferstünden und nicht selten den andern Völkern
vorangeschritten, wir haben die, welche unsre staatliche Wiedergeburt hindern
wollten, bllltig und eisern niedergeschlagen und haben unser Reich kraftvoll wieder


Die Freindrvörterseuche.

geholt werden kann, um fremde Eindringlinge zu ersetzen. Auch bellte noch
werden in verschiedenen Staaten, Lnndschnsten oder Städten deutsche Ausdrücke
gebraucht, an deren Stelle sollst überall Fremdwörter laufen. So nennt z. B.
die Main-Neckar-Bahn die sogenannten Knpees Abteilungen, so heiße» in Öster¬
reich die Fnhrbillets Fahrkarten; in Wien sagt man statt Parterre ebenerdig,
in Köln statt Parterreetage Unterhaus. In ganzen Gegenden Oberdeutschlands
und der Schweiz sind die Ausdrücke Tagfahrt für Termin, Tunke für Sauce,
Abweichung für Diarrhöe gebräuchlich u. s. w. Ich wollte nur einige Beispiele
anführen, um zu zeigen, wie nahe oft das Gute liegt. Eine ganz besondre Auf¬
merksamkeit würde aber der niederländischen Sprache zu widmen sein, in der
eine Menge von Wörtern erhalten sind, welche das Nenhochdeutsche verloren
hat, und die auch gute eigue Worte gebildet hat für Dinge, welche wir mit
fremdem Namen nennen. Sie sagt z. V. statt Protektor bk8(zberuib6(;r, statt
rentoiliren on'äovlcoil (verkünden), statt Carronssel vtmräMiuolkn (Pferdemühle),
statt Avenue linn oder Ivi, statt Datirung äA^tiZvKiZviiiA, statt Tapezierer bv-
bii.uA(zr, statt Kupee og>i< n. s. w. Schon Leibniz sagte in den „Unvvrgreif-
lichen Gedanken" in dieser Hinsicht: „Was das Holländische betrifft, würde
unsre Teutschen zumal guten Fug und Macht haben, durch gewisse Abgeord¬
nete, das Recht der Mutterstadt von dieser deutschen Pflanze einzusammeln, und
zu dem Ende dnrch kundige Leute die Holländische Sprache und Schriften unter¬
suchen und gleichsam Wardiren zu küssen, damit man sehe, was davon zu for¬
dern, und was bequem dem Hochdeutschen einverleibt werden." Ans diese Fund¬
grube sind seitdem wiederholt die Freunde deutscher Sprnchreinheit zurückge¬
kommen; auch Stephan hat in seinein um 17. Februar 187 7 zu Berlin über
„Die Fremdwörter" gehaltenen Vortrage unchdriicklich auf sie hingewiesen. In
demselben Sinne, wenn auch in viel beschränkterem Umfange, würden die skan¬
dinavischen Sprachen lind unter Umstünden auch die englische Sprache in Be¬
tracht zu ziehen sein.

Das sind die Mittel lind Wege, welche, mit Klugheit und Mäßigung an¬
gewandt, zwar allmählich, aber sicher die deutsche Sprache von den fremden
Einmischungen, den beschämenden Zeugen lind Zeichen unsrer langen, langen
nationalen Entartung und vielfachen schweren Unterjochung endlich befreien könnten.
Niemand wird sich die Schwierigkeit des Unternehmens verhehlen. Neben der
rechten Einsicht und dein guten Willen wird nicht selten viel Nachdenken, Ge-
schicklichkeit und Zartgefühl erforderlich sein. Aber dann wird es eher, als es
den Anschein hat, gelingen, das Übel, so alt und eingewurzelt, so verbreitet und
viel verzweigt es anch ist, zu heilen.

Wir haben uus ans allen Gebieten national gehoben, wir sind in Wissen¬
schaften und Künsten wieder auferstünden und nicht selten den andern Völkern
vorangeschritten, wir haben die, welche unsre staatliche Wiedergeburt hindern
wollten, bllltig und eisern niedergeschlagen und haben unser Reich kraftvoll wieder


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[0542] Die Freindrvörterseuche. geholt werden kann, um fremde Eindringlinge zu ersetzen. Auch bellte noch werden in verschiedenen Staaten, Lnndschnsten oder Städten deutsche Ausdrücke gebraucht, an deren Stelle sollst überall Fremdwörter laufen. So nennt z. B. die Main-Neckar-Bahn die sogenannten Knpees Abteilungen, so heiße» in Öster¬ reich die Fnhrbillets Fahrkarten; in Wien sagt man statt Parterre ebenerdig, in Köln statt Parterreetage Unterhaus. In ganzen Gegenden Oberdeutschlands und der Schweiz sind die Ausdrücke Tagfahrt für Termin, Tunke für Sauce, Abweichung für Diarrhöe gebräuchlich u. s. w. Ich wollte nur einige Beispiele anführen, um zu zeigen, wie nahe oft das Gute liegt. Eine ganz besondre Auf¬ merksamkeit würde aber der niederländischen Sprache zu widmen sein, in der eine Menge von Wörtern erhalten sind, welche das Nenhochdeutsche verloren hat, und die auch gute eigue Worte gebildet hat für Dinge, welche wir mit fremdem Namen nennen. Sie sagt z. V. statt Protektor bk8(zberuib6(;r, statt rentoiliren on'äovlcoil (verkünden), statt Carronssel vtmräMiuolkn (Pferdemühle), statt Avenue linn oder Ivi, statt Datirung äA^tiZvKiZviiiA, statt Tapezierer bv- bii.uA(zr, statt Kupee og>i< n. s. w. Schon Leibniz sagte in den „Unvvrgreif- lichen Gedanken" in dieser Hinsicht: „Was das Holländische betrifft, würde unsre Teutschen zumal guten Fug und Macht haben, durch gewisse Abgeord¬ nete, das Recht der Mutterstadt von dieser deutschen Pflanze einzusammeln, und zu dem Ende dnrch kundige Leute die Holländische Sprache und Schriften unter¬ suchen und gleichsam Wardiren zu küssen, damit man sehe, was davon zu for¬ dern, und was bequem dem Hochdeutschen einverleibt werden." Ans diese Fund¬ grube sind seitdem wiederholt die Freunde deutscher Sprnchreinheit zurückge¬ kommen; auch Stephan hat in seinein um 17. Februar 187 7 zu Berlin über „Die Fremdwörter" gehaltenen Vortrage unchdriicklich auf sie hingewiesen. In demselben Sinne, wenn auch in viel beschränkterem Umfange, würden die skan¬ dinavischen Sprachen lind unter Umstünden auch die englische Sprache in Be¬ tracht zu ziehen sein. Das sind die Mittel lind Wege, welche, mit Klugheit und Mäßigung an¬ gewandt, zwar allmählich, aber sicher die deutsche Sprache von den fremden Einmischungen, den beschämenden Zeugen lind Zeichen unsrer langen, langen nationalen Entartung und vielfachen schweren Unterjochung endlich befreien könnten. Niemand wird sich die Schwierigkeit des Unternehmens verhehlen. Neben der rechten Einsicht und dein guten Willen wird nicht selten viel Nachdenken, Ge- schicklichkeit und Zartgefühl erforderlich sein. Aber dann wird es eher, als es den Anschein hat, gelingen, das Übel, so alt und eingewurzelt, so verbreitet und viel verzweigt es anch ist, zu heilen. Wir haben uus ans allen Gebieten national gehoben, wir sind in Wissen¬ schaften und Künsten wieder auferstünden und nicht selten den andern Völkern vorangeschritten, wir haben die, welche unsre staatliche Wiedergeburt hindern wollten, bllltig und eisern niedergeschlagen und haben unser Reich kraftvoll wieder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/542>, abgerufen am 29.06.2024.