Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Fremdwörtersenche.

Also keine Überstürzung, keine Einseitigkeit, keine Schulfuchserei. Die Aka¬
demie schlage an de" Felsen unsrer Sprache mit dem Zauberstabe wahren gei¬
stigen Verständnisses und wirklich lebensvoller Begeisterung, und das klare, reine
Wasser wird ihr und uns sprudeln. Sie halte sich sern von allen engherzigen
Schulmcistereieu, von allein ängstlichen Übertragen nach Maßgabe der Wörter¬
blicher, von allen gefährlichen Versuchen abenteuerlicher Deutschtümelei. Sie
lausche dem Geist der Sprache in seinem stolzesten Rauschen wie in seinen leisesten
Regungen, und sie schöpfe bei ihrer Arbeit aus der Fülle dieses Geistes. Dann
wird sie Segen verbreiten über die ganze Nation.

Bei dieser Arbeit, die hier immer nur, soweit sie die Fremdwörter betrifft,
in Betracht kommt, wird die Akademie gewiß zunächst eine große Scheidelinie
ziehen müssen, um die Böcke von deu Schafen zu trennen. Da wird man fürs
erste lind bis auf weiteres von denjenigen absehen können, welche aus dem
Griechischen, Slavischen und außereuropäischen Sprachen stammen, da sie die
eigentliche gefährliche Vermengung und Entstellung unsrer Sprache nicht be¬
wirken. Doch würde immerhin ein Ersatz für die ans dem Griechischen kommenden
wissenschaftlichen Ausdrücke anzustreben sein. Die eigentliche Masse der Fremd¬
wörter, gegen die wir uns wehren müssen, stammt aus der römischen und den
romanischen Sprachen, ganz besonders ans dem Französischen. Deshalb ist die
Überschwemmung des Deutschen mit Fremdwörtern sogut wie gleichbedeutend
mit der Verwälschnng der Sprache. Das eigentliche Ziel der Reinigung, welcher
die Akademie wissenschaftlich dienen soll, muß also auf die Entfernung dieser
wälschen Ausdrücke gerichtet sein. Schon Leibniz sagt in diesem Sinne in seinen
"Unvvrgreiflichen Gedanken": "Die Lateinische, Französische, Italiänische und
Spanische Worte belangent, so gehöret die Frage, ob und wie weit deren Ein¬
bürgerung thunlich und rathsam, zu dem Punct vou der Reinigkeit der Sprache;
denn darin suchet man eben zum Theil die Reinigkeit des Teutschen, daß es
von den: überflüssigen fremden Mischmasch gesäubert werde." Auf die Ersetzung
dieses wälschen Mischmasches durch Wörter germanischen Ursprungs und deut¬
scher Form kommt es also vorzugsweise an.

Bei Nufsuchnug solcher Wörter wird man nicht allein in die Tiefe, in
jene geheimen Schächte, die Goethe bezeichnete, dringen dürfen, sondern man
wird much in die Breite, in die geschichtliche Entwicklung und die örtliche Ver¬
teilung der Sprache gehen müssen. Was die deutsche Sprache in ihrem lange,:
Leben für die vorliegenden Zwecke irgend brauchbares hervorgebracht hat, wird
man in Berücksichtigung ziehen müssen. Die althochdeutscher und mittelhoch¬
deutschen Sprachdenkmäler, die landschaftlichen Mundarten der ober- wie nieder¬
deutschen Stämme, die ältern Staatsschristcn und dienstlichen Ausdrücke, be¬
sonders des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts, sowie die neuhochdeutsche
Literatur bieten einen Schatz, aus dem Vergessenes und Verborgenes hervor-


Grmizboten IV. 1882. 68
Die Fremdwörtersenche.

Also keine Überstürzung, keine Einseitigkeit, keine Schulfuchserei. Die Aka¬
demie schlage an de» Felsen unsrer Sprache mit dem Zauberstabe wahren gei¬
stigen Verständnisses und wirklich lebensvoller Begeisterung, und das klare, reine
Wasser wird ihr und uns sprudeln. Sie halte sich sern von allen engherzigen
Schulmcistereieu, von allein ängstlichen Übertragen nach Maßgabe der Wörter¬
blicher, von allen gefährlichen Versuchen abenteuerlicher Deutschtümelei. Sie
lausche dem Geist der Sprache in seinem stolzesten Rauschen wie in seinen leisesten
Regungen, und sie schöpfe bei ihrer Arbeit aus der Fülle dieses Geistes. Dann
wird sie Segen verbreiten über die ganze Nation.

Bei dieser Arbeit, die hier immer nur, soweit sie die Fremdwörter betrifft,
in Betracht kommt, wird die Akademie gewiß zunächst eine große Scheidelinie
ziehen müssen, um die Böcke von deu Schafen zu trennen. Da wird man fürs
erste lind bis auf weiteres von denjenigen absehen können, welche aus dem
Griechischen, Slavischen und außereuropäischen Sprachen stammen, da sie die
eigentliche gefährliche Vermengung und Entstellung unsrer Sprache nicht be¬
wirken. Doch würde immerhin ein Ersatz für die ans dem Griechischen kommenden
wissenschaftlichen Ausdrücke anzustreben sein. Die eigentliche Masse der Fremd¬
wörter, gegen die wir uns wehren müssen, stammt aus der römischen und den
romanischen Sprachen, ganz besonders ans dem Französischen. Deshalb ist die
Überschwemmung des Deutschen mit Fremdwörtern sogut wie gleichbedeutend
mit der Verwälschnng der Sprache. Das eigentliche Ziel der Reinigung, welcher
die Akademie wissenschaftlich dienen soll, muß also auf die Entfernung dieser
wälschen Ausdrücke gerichtet sein. Schon Leibniz sagt in diesem Sinne in seinen
„Unvvrgreiflichen Gedanken": „Die Lateinische, Französische, Italiänische und
Spanische Worte belangent, so gehöret die Frage, ob und wie weit deren Ein¬
bürgerung thunlich und rathsam, zu dem Punct vou der Reinigkeit der Sprache;
denn darin suchet man eben zum Theil die Reinigkeit des Teutschen, daß es
von den: überflüssigen fremden Mischmasch gesäubert werde." Auf die Ersetzung
dieses wälschen Mischmasches durch Wörter germanischen Ursprungs und deut¬
scher Form kommt es also vorzugsweise an.

Bei Nufsuchnug solcher Wörter wird man nicht allein in die Tiefe, in
jene geheimen Schächte, die Goethe bezeichnete, dringen dürfen, sondern man
wird much in die Breite, in die geschichtliche Entwicklung und die örtliche Ver¬
teilung der Sprache gehen müssen. Was die deutsche Sprache in ihrem lange,:
Leben für die vorliegenden Zwecke irgend brauchbares hervorgebracht hat, wird
man in Berücksichtigung ziehen müssen. Die althochdeutscher und mittelhoch¬
deutschen Sprachdenkmäler, die landschaftlichen Mundarten der ober- wie nieder¬
deutschen Stämme, die ältern Staatsschristcn und dienstlichen Ausdrücke, be¬
sonders des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts, sowie die neuhochdeutsche
Literatur bieten einen Schatz, aus dem Vergessenes und Verborgenes hervor-


Grmizboten IV. 1882. 68
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0541" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/194519"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Fremdwörtersenche.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1958"> Also keine Überstürzung, keine Einseitigkeit, keine Schulfuchserei. Die Aka¬<lb/>
demie schlage an de» Felsen unsrer Sprache mit dem Zauberstabe wahren gei¬<lb/>
stigen Verständnisses und wirklich lebensvoller Begeisterung, und das klare, reine<lb/>
Wasser wird ihr und uns sprudeln. Sie halte sich sern von allen engherzigen<lb/>
Schulmcistereieu, von allein ängstlichen Übertragen nach Maßgabe der Wörter¬<lb/>
blicher, von allen gefährlichen Versuchen abenteuerlicher Deutschtümelei. Sie<lb/>
lausche dem Geist der Sprache in seinem stolzesten Rauschen wie in seinen leisesten<lb/>
Regungen, und sie schöpfe bei ihrer Arbeit aus der Fülle dieses Geistes. Dann<lb/>
wird sie Segen verbreiten über die ganze Nation.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1959"> Bei dieser Arbeit, die hier immer nur, soweit sie die Fremdwörter betrifft,<lb/>
in Betracht kommt, wird die Akademie gewiß zunächst eine große Scheidelinie<lb/>
ziehen müssen, um die Böcke von deu Schafen zu trennen. Da wird man fürs<lb/>
erste lind bis auf weiteres von denjenigen absehen können, welche aus dem<lb/>
Griechischen, Slavischen und außereuropäischen Sprachen stammen, da sie die<lb/>
eigentliche gefährliche Vermengung und Entstellung unsrer Sprache nicht be¬<lb/>
wirken. Doch würde immerhin ein Ersatz für die ans dem Griechischen kommenden<lb/>
wissenschaftlichen Ausdrücke anzustreben sein. Die eigentliche Masse der Fremd¬<lb/>
wörter, gegen die wir uns wehren müssen, stammt aus der römischen und den<lb/>
romanischen Sprachen, ganz besonders ans dem Französischen. Deshalb ist die<lb/>
Überschwemmung des Deutschen mit Fremdwörtern sogut wie gleichbedeutend<lb/>
mit der Verwälschnng der Sprache. Das eigentliche Ziel der Reinigung, welcher<lb/>
die Akademie wissenschaftlich dienen soll, muß also auf die Entfernung dieser<lb/>
wälschen Ausdrücke gerichtet sein. Schon Leibniz sagt in diesem Sinne in seinen<lb/>
&#x201E;Unvvrgreiflichen Gedanken": &#x201E;Die Lateinische, Französische, Italiänische und<lb/>
Spanische Worte belangent, so gehöret die Frage, ob und wie weit deren Ein¬<lb/>
bürgerung thunlich und rathsam, zu dem Punct vou der Reinigkeit der Sprache;<lb/>
denn darin suchet man eben zum Theil die Reinigkeit des Teutschen, daß es<lb/>
von den: überflüssigen fremden Mischmasch gesäubert werde." Auf die Ersetzung<lb/>
dieses wälschen Mischmasches durch Wörter germanischen Ursprungs und deut¬<lb/>
scher Form kommt es also vorzugsweise an.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1960" next="#ID_1961"> Bei Nufsuchnug solcher Wörter wird man nicht allein in die Tiefe, in<lb/>
jene geheimen Schächte, die Goethe bezeichnete, dringen dürfen, sondern man<lb/>
wird much in die Breite, in die geschichtliche Entwicklung und die örtliche Ver¬<lb/>
teilung der Sprache gehen müssen. Was die deutsche Sprache in ihrem lange,:<lb/>
Leben für die vorliegenden Zwecke irgend brauchbares hervorgebracht hat, wird<lb/>
man in Berücksichtigung ziehen müssen. Die althochdeutscher und mittelhoch¬<lb/>
deutschen Sprachdenkmäler, die landschaftlichen Mundarten der ober- wie nieder¬<lb/>
deutschen Stämme, die ältern Staatsschristcn und dienstlichen Ausdrücke, be¬<lb/>
sonders des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts, sowie die neuhochdeutsche<lb/>
Literatur bieten einen Schatz, aus dem Vergessenes und Verborgenes hervor-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grmizboten IV. 1882. 68</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0541] Die Fremdwörtersenche. Also keine Überstürzung, keine Einseitigkeit, keine Schulfuchserei. Die Aka¬ demie schlage an de» Felsen unsrer Sprache mit dem Zauberstabe wahren gei¬ stigen Verständnisses und wirklich lebensvoller Begeisterung, und das klare, reine Wasser wird ihr und uns sprudeln. Sie halte sich sern von allen engherzigen Schulmcistereieu, von allein ängstlichen Übertragen nach Maßgabe der Wörter¬ blicher, von allen gefährlichen Versuchen abenteuerlicher Deutschtümelei. Sie lausche dem Geist der Sprache in seinem stolzesten Rauschen wie in seinen leisesten Regungen, und sie schöpfe bei ihrer Arbeit aus der Fülle dieses Geistes. Dann wird sie Segen verbreiten über die ganze Nation. Bei dieser Arbeit, die hier immer nur, soweit sie die Fremdwörter betrifft, in Betracht kommt, wird die Akademie gewiß zunächst eine große Scheidelinie ziehen müssen, um die Böcke von deu Schafen zu trennen. Da wird man fürs erste lind bis auf weiteres von denjenigen absehen können, welche aus dem Griechischen, Slavischen und außereuropäischen Sprachen stammen, da sie die eigentliche gefährliche Vermengung und Entstellung unsrer Sprache nicht be¬ wirken. Doch würde immerhin ein Ersatz für die ans dem Griechischen kommenden wissenschaftlichen Ausdrücke anzustreben sein. Die eigentliche Masse der Fremd¬ wörter, gegen die wir uns wehren müssen, stammt aus der römischen und den romanischen Sprachen, ganz besonders ans dem Französischen. Deshalb ist die Überschwemmung des Deutschen mit Fremdwörtern sogut wie gleichbedeutend mit der Verwälschnng der Sprache. Das eigentliche Ziel der Reinigung, welcher die Akademie wissenschaftlich dienen soll, muß also auf die Entfernung dieser wälschen Ausdrücke gerichtet sein. Schon Leibniz sagt in diesem Sinne in seinen „Unvvrgreiflichen Gedanken": „Die Lateinische, Französische, Italiänische und Spanische Worte belangent, so gehöret die Frage, ob und wie weit deren Ein¬ bürgerung thunlich und rathsam, zu dem Punct vou der Reinigkeit der Sprache; denn darin suchet man eben zum Theil die Reinigkeit des Teutschen, daß es von den: überflüssigen fremden Mischmasch gesäubert werde." Auf die Ersetzung dieses wälschen Mischmasches durch Wörter germanischen Ursprungs und deut¬ scher Form kommt es also vorzugsweise an. Bei Nufsuchnug solcher Wörter wird man nicht allein in die Tiefe, in jene geheimen Schächte, die Goethe bezeichnete, dringen dürfen, sondern man wird much in die Breite, in die geschichtliche Entwicklung und die örtliche Ver¬ teilung der Sprache gehen müssen. Was die deutsche Sprache in ihrem lange,: Leben für die vorliegenden Zwecke irgend brauchbares hervorgebracht hat, wird man in Berücksichtigung ziehen müssen. Die althochdeutscher und mittelhoch¬ deutschen Sprachdenkmäler, die landschaftlichen Mundarten der ober- wie nieder¬ deutschen Stämme, die ältern Staatsschristcn und dienstlichen Ausdrücke, be¬ sonders des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts, sowie die neuhochdeutsche Literatur bieten einen Schatz, aus dem Vergessenes und Verborgenes hervor- Grmizboten IV. 1882. 68

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/541
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/541>, abgerufen am 28.09.2024.