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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Fremdrvörterseuche.

auch gegen das übertriebene und uneinsichtige Vorgehen zur Beseitigung der
Fremdwörter mit folgenden tadelnden Worten: "Man hat aber gleich auf
einmahl den Lauf des Übels hemmen, und alle fremde auch sogar eingebürgerte
Worte ausharren wollen. Dawider sich die ganze Nation, Gelehrte und Un¬
gelehrte gestrandet, und das sonsten zum Theil gute Vorhaben fast zu Spott
gemacht, daß also auch dasjenige nicht erhalten worden, so wohl zu erlangen
gewesen, wenn man etwas gelinder verfahren wäre."

Gottsched, der in seiner "Sprachkunst" nicht minder kräftig als Leibniz
gegen die "ausländischen Brocken" eifert, redet doch zugleich derselben weisen
Vorsicht das Wort. Er sagt: "Indessen wollen wir deswegen alle die Grillen
einiger vormaliger Zesianer, und Pegnitzschäfer, anch Glieder der fruchtbringenden
Gesellschaft uicht billigen; die alles, was einigermaßen fremd war, aus dem
Deutschen ansmnrzcu wollten. Es ist nicht ganz möglich, sich in einer Sprache
aller ausländischen Redensarten zu enthalten." Er führt dann das Beispiel der
Griechen, Römer und Franzosen an, deren Sprachen eine Menge fremder Wörter
aufgenommen haben, aber er meint doch, daß man diesen fremden Wörtern, wie
es die genannten Völker gethan haben, auch im Deutschen "soviel möglich ist,
ein einheimisches Ansehen" geben solle. Also auch er legt, wie natürlich, den ge¬
ringern Wert auf deu Ursprung des Stammes als auf die Fremdartigkeit der
Form. Die Wörter solcher fremdartigen Form erscheinen ihm in die deutsche
Sprache eingemengt barbarisch, und er findet "es lächerlich, sich ihrer zu bedienen,
wo im Deutschen selbst gute Wörter vorhanden sind." Aber er warnt zugleich
vor Übertreibungen, indem er auf die Glieder der Fruchtbringenden Gesellschaft
hinweist, die ihrerseits dadurch lächerlich wurden, daß sie bisweilen auf eine
seltsame Art vorgingen, welche der deutschen Sprache nicht gemäß war. Und,
gleichsam als einen Trost, fügt er hinzu: "Wer es gut trifft, der wird uicht
ausgelachet werden."

Endlich Goethe, der zu deu höchsten und reinsten Quellen der Sprache
aufsteigt. "Die Muttersprache, sagt er, zugleich reinigen und bereichern ist das
Geschäft der besten Köpfe; Reinigung ohne Bereicherung erweist sich öfters geist¬
los: denn es ist nichts bequemer als von dem Inhalt absehen, und auf den
Ausdruck passen. Der geistreiche Mensch knetet seinen Wortstoff, ohne sich zu
bekümmern, aus was für Elementen er bestehe; der geistlose hat gut rein sprechen,
dn er nichts zu sagen hat. Wie sollte er fühlen, welches kümmerliche Surrogat
er an der Stelle eines bedeutenden Wortes gelten läßt, da ihm jenes Wort nie
lebendig war, weil er nichts dabei dachte. Es giebt gar viele Arten von Rei¬
nigung und Vereicheruug, die eigentlich alle zusammengreifen müssen, wenn die
Sprache lebendig wachsen soll. Poesie und leidenschaftliche Rede sind die ein¬
zigen Quellen, aus denen dieses Leben hervordringt, und sollten sie in ihrer
Heftigkeit auch etwas Bergschutt mitführen, er setzt sich zu Boden, und die reine
Welle fließt darüber her."


Die Fremdrvörterseuche.

auch gegen das übertriebene und uneinsichtige Vorgehen zur Beseitigung der
Fremdwörter mit folgenden tadelnden Worten: „Man hat aber gleich auf
einmahl den Lauf des Übels hemmen, und alle fremde auch sogar eingebürgerte
Worte ausharren wollen. Dawider sich die ganze Nation, Gelehrte und Un¬
gelehrte gestrandet, und das sonsten zum Theil gute Vorhaben fast zu Spott
gemacht, daß also auch dasjenige nicht erhalten worden, so wohl zu erlangen
gewesen, wenn man etwas gelinder verfahren wäre."

Gottsched, der in seiner „Sprachkunst" nicht minder kräftig als Leibniz
gegen die „ausländischen Brocken" eifert, redet doch zugleich derselben weisen
Vorsicht das Wort. Er sagt: „Indessen wollen wir deswegen alle die Grillen
einiger vormaliger Zesianer, und Pegnitzschäfer, anch Glieder der fruchtbringenden
Gesellschaft uicht billigen; die alles, was einigermaßen fremd war, aus dem
Deutschen ansmnrzcu wollten. Es ist nicht ganz möglich, sich in einer Sprache
aller ausländischen Redensarten zu enthalten." Er führt dann das Beispiel der
Griechen, Römer und Franzosen an, deren Sprachen eine Menge fremder Wörter
aufgenommen haben, aber er meint doch, daß man diesen fremden Wörtern, wie
es die genannten Völker gethan haben, auch im Deutschen „soviel möglich ist,
ein einheimisches Ansehen" geben solle. Also auch er legt, wie natürlich, den ge¬
ringern Wert auf deu Ursprung des Stammes als auf die Fremdartigkeit der
Form. Die Wörter solcher fremdartigen Form erscheinen ihm in die deutsche
Sprache eingemengt barbarisch, und er findet „es lächerlich, sich ihrer zu bedienen,
wo im Deutschen selbst gute Wörter vorhanden sind." Aber er warnt zugleich
vor Übertreibungen, indem er auf die Glieder der Fruchtbringenden Gesellschaft
hinweist, die ihrerseits dadurch lächerlich wurden, daß sie bisweilen auf eine
seltsame Art vorgingen, welche der deutschen Sprache nicht gemäß war. Und,
gleichsam als einen Trost, fügt er hinzu: „Wer es gut trifft, der wird uicht
ausgelachet werden."

Endlich Goethe, der zu deu höchsten und reinsten Quellen der Sprache
aufsteigt. „Die Muttersprache, sagt er, zugleich reinigen und bereichern ist das
Geschäft der besten Köpfe; Reinigung ohne Bereicherung erweist sich öfters geist¬
los: denn es ist nichts bequemer als von dem Inhalt absehen, und auf den
Ausdruck passen. Der geistreiche Mensch knetet seinen Wortstoff, ohne sich zu
bekümmern, aus was für Elementen er bestehe; der geistlose hat gut rein sprechen,
dn er nichts zu sagen hat. Wie sollte er fühlen, welches kümmerliche Surrogat
er an der Stelle eines bedeutenden Wortes gelten läßt, da ihm jenes Wort nie
lebendig war, weil er nichts dabei dachte. Es giebt gar viele Arten von Rei¬
nigung und Vereicheruug, die eigentlich alle zusammengreifen müssen, wenn die
Sprache lebendig wachsen soll. Poesie und leidenschaftliche Rede sind die ein¬
zigen Quellen, aus denen dieses Leben hervordringt, und sollten sie in ihrer
Heftigkeit auch etwas Bergschutt mitführen, er setzt sich zu Boden, und die reine
Welle fließt darüber her."


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[0540] Die Fremdrvörterseuche. auch gegen das übertriebene und uneinsichtige Vorgehen zur Beseitigung der Fremdwörter mit folgenden tadelnden Worten: „Man hat aber gleich auf einmahl den Lauf des Übels hemmen, und alle fremde auch sogar eingebürgerte Worte ausharren wollen. Dawider sich die ganze Nation, Gelehrte und Un¬ gelehrte gestrandet, und das sonsten zum Theil gute Vorhaben fast zu Spott gemacht, daß also auch dasjenige nicht erhalten worden, so wohl zu erlangen gewesen, wenn man etwas gelinder verfahren wäre." Gottsched, der in seiner „Sprachkunst" nicht minder kräftig als Leibniz gegen die „ausländischen Brocken" eifert, redet doch zugleich derselben weisen Vorsicht das Wort. Er sagt: „Indessen wollen wir deswegen alle die Grillen einiger vormaliger Zesianer, und Pegnitzschäfer, anch Glieder der fruchtbringenden Gesellschaft uicht billigen; die alles, was einigermaßen fremd war, aus dem Deutschen ansmnrzcu wollten. Es ist nicht ganz möglich, sich in einer Sprache aller ausländischen Redensarten zu enthalten." Er führt dann das Beispiel der Griechen, Römer und Franzosen an, deren Sprachen eine Menge fremder Wörter aufgenommen haben, aber er meint doch, daß man diesen fremden Wörtern, wie es die genannten Völker gethan haben, auch im Deutschen „soviel möglich ist, ein einheimisches Ansehen" geben solle. Also auch er legt, wie natürlich, den ge¬ ringern Wert auf deu Ursprung des Stammes als auf die Fremdartigkeit der Form. Die Wörter solcher fremdartigen Form erscheinen ihm in die deutsche Sprache eingemengt barbarisch, und er findet „es lächerlich, sich ihrer zu bedienen, wo im Deutschen selbst gute Wörter vorhanden sind." Aber er warnt zugleich vor Übertreibungen, indem er auf die Glieder der Fruchtbringenden Gesellschaft hinweist, die ihrerseits dadurch lächerlich wurden, daß sie bisweilen auf eine seltsame Art vorgingen, welche der deutschen Sprache nicht gemäß war. Und, gleichsam als einen Trost, fügt er hinzu: „Wer es gut trifft, der wird uicht ausgelachet werden." Endlich Goethe, der zu deu höchsten und reinsten Quellen der Sprache aufsteigt. „Die Muttersprache, sagt er, zugleich reinigen und bereichern ist das Geschäft der besten Köpfe; Reinigung ohne Bereicherung erweist sich öfters geist¬ los: denn es ist nichts bequemer als von dem Inhalt absehen, und auf den Ausdruck passen. Der geistreiche Mensch knetet seinen Wortstoff, ohne sich zu bekümmern, aus was für Elementen er bestehe; der geistlose hat gut rein sprechen, dn er nichts zu sagen hat. Wie sollte er fühlen, welches kümmerliche Surrogat er an der Stelle eines bedeutenden Wortes gelten läßt, da ihm jenes Wort nie lebendig war, weil er nichts dabei dachte. Es giebt gar viele Arten von Rei¬ nigung und Vereicheruug, die eigentlich alle zusammengreifen müssen, wenn die Sprache lebendig wachsen soll. Poesie und leidenschaftliche Rede sind die ein¬ zigen Quellen, aus denen dieses Leben hervordringt, und sollten sie in ihrer Heftigkeit auch etwas Bergschutt mitführen, er setzt sich zu Boden, und die reine Welle fließt darüber her."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/540>, abgerufen am 29.06.2024.