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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Freindwörterseuche.

zweigen, wenn auch nur vorübergehend, heranzuziehen, damit die unentbehrliche
Beziehung zum wirklichen Leben fest hergestellt und, was insbesondre die Fremd¬
wörter angeht, die Bürgschaft gewonnen werde, daß die von der Akademie vor¬
zuschlagenden deutschen Ausdrücke auch da, wo sie eingeführt und angewandt
werden sollen, Anerkennung finden. Ohne diese Beziehung könnte die Akademie
leicht auf ein rein theoretisches Gebiet sich eingeschränkt sehen, und es würde
andrerseits den Bestrebungen der Verwaltungen, Behörden und Berufsklassen
jener tiefere, wissenschaftliche Rückhalt und Boden abgehen, ohne den ein sicheres
Vorgehen nicht möglich ist.

Ich verzichte aus naheliegenden Gründen darauf, hier mehr von der Ein¬
richtung und der Arbeitsweise dieser Akademie zu sagen. Doch glaube ich, die¬
jenigen Grundsätze bezeichnen zu sollen, nach denen sie den Fremdwörtern gegen¬
über zu Verfahren haben würde. An der Spitze dieser Grundsätze steht der, den
ich schon oben aufgestellt habe: Kein Fremdwort für das, was deutsch
gut ausgedrückt werden kann. Auch das habe ich schon oben gesagt, daß
ich keine Übertreibung, keine blinde Reinigungsort will. Ich gehe sogar soweit
und sage: Man kann und darf vernünftigerweise nichts dagegen haben, daß mit
Maß, Umsicht und Geschmack ein Fremdwort, selbst ein entbehrliches, einmal
angewendet werde, denn auch das ist ja ein Vorzug unsrer Sprache, daß sie
das gestattet und kann; aber man wird aufs schärfste jenes jämmerliche Ver¬
mengen und Durchsetzen der Sprache mit fremden Fetzen verurteilen müssen,
also daß sie nicht mehr wie deutsch aussteht, sondern wie ein klägliches Not-
wälsch. Diese Ansichten sind immer von allen wahren und einsichtigen Freunden
unsrer Sprache festgehalten worden, und ich glaube, daß es am Orte sei, hier
die Äußerungen von einigen derselben einzuschalten. Ich wähle dazu Leibniz,
Gottsched und Goethe.

Leibniz spricht sich in seiner bereits oben angeführten "Ermahnung an die
Teutsche u. s. w." folgendermaßen aus: "Ich will keinem über ein fremd Worth,
so wohl zu Passe komt, den Proceß machen, aber das ungereimte unnöthige Ein¬
flicken ausländischer auch nicht einmahl verstandener, nicht zwar Worte, doch
Red-Urtheil, die ganz gleichsam zerfallende Sätze und Abtheilungen, die ganz
unschickliche Zusammenfügungen, die untaugliche Vernunfftsgründe, deren man
sich schämen müste, wem: man nnr etwas zurückdenken wollte: dies alles ist,
was nicht nur unsere Sprache verderben, sondern auch je mehr und mehr die
Gemüther anstecken wird." Und in seinen "Unvorgreislichen Gedanken u. s. w."
sagt er: "Hat es demnach die Meynung nicht, daß man in der Sprach zum
Puritaner werde, und mit einer abergläubischen Furcht ein fremdes aber be¬
quemes Wort als eine Tod-Sünde vermeide, dadurch aber sich selbst entkräfte,
und seiner Rede den Nachdruck nehme; denn solche allzu große Scheinreinigkeit
ist einer durchbrochenen Arbeit zu vergleichen, daran der Meister solange felice
und bessert, bis er sie endlich gar verschwächet." Endlich wendet er sich


Die Freindwörterseuche.

zweigen, wenn auch nur vorübergehend, heranzuziehen, damit die unentbehrliche
Beziehung zum wirklichen Leben fest hergestellt und, was insbesondre die Fremd¬
wörter angeht, die Bürgschaft gewonnen werde, daß die von der Akademie vor¬
zuschlagenden deutschen Ausdrücke auch da, wo sie eingeführt und angewandt
werden sollen, Anerkennung finden. Ohne diese Beziehung könnte die Akademie
leicht auf ein rein theoretisches Gebiet sich eingeschränkt sehen, und es würde
andrerseits den Bestrebungen der Verwaltungen, Behörden und Berufsklassen
jener tiefere, wissenschaftliche Rückhalt und Boden abgehen, ohne den ein sicheres
Vorgehen nicht möglich ist.

Ich verzichte aus naheliegenden Gründen darauf, hier mehr von der Ein¬
richtung und der Arbeitsweise dieser Akademie zu sagen. Doch glaube ich, die¬
jenigen Grundsätze bezeichnen zu sollen, nach denen sie den Fremdwörtern gegen¬
über zu Verfahren haben würde. An der Spitze dieser Grundsätze steht der, den
ich schon oben aufgestellt habe: Kein Fremdwort für das, was deutsch
gut ausgedrückt werden kann. Auch das habe ich schon oben gesagt, daß
ich keine Übertreibung, keine blinde Reinigungsort will. Ich gehe sogar soweit
und sage: Man kann und darf vernünftigerweise nichts dagegen haben, daß mit
Maß, Umsicht und Geschmack ein Fremdwort, selbst ein entbehrliches, einmal
angewendet werde, denn auch das ist ja ein Vorzug unsrer Sprache, daß sie
das gestattet und kann; aber man wird aufs schärfste jenes jämmerliche Ver¬
mengen und Durchsetzen der Sprache mit fremden Fetzen verurteilen müssen,
also daß sie nicht mehr wie deutsch aussteht, sondern wie ein klägliches Not-
wälsch. Diese Ansichten sind immer von allen wahren und einsichtigen Freunden
unsrer Sprache festgehalten worden, und ich glaube, daß es am Orte sei, hier
die Äußerungen von einigen derselben einzuschalten. Ich wähle dazu Leibniz,
Gottsched und Goethe.

Leibniz spricht sich in seiner bereits oben angeführten „Ermahnung an die
Teutsche u. s. w." folgendermaßen aus: „Ich will keinem über ein fremd Worth,
so wohl zu Passe komt, den Proceß machen, aber das ungereimte unnöthige Ein¬
flicken ausländischer auch nicht einmahl verstandener, nicht zwar Worte, doch
Red-Urtheil, die ganz gleichsam zerfallende Sätze und Abtheilungen, die ganz
unschickliche Zusammenfügungen, die untaugliche Vernunfftsgründe, deren man
sich schämen müste, wem: man nnr etwas zurückdenken wollte: dies alles ist,
was nicht nur unsere Sprache verderben, sondern auch je mehr und mehr die
Gemüther anstecken wird." Und in seinen „Unvorgreislichen Gedanken u. s. w."
sagt er: „Hat es demnach die Meynung nicht, daß man in der Sprach zum
Puritaner werde, und mit einer abergläubischen Furcht ein fremdes aber be¬
quemes Wort als eine Tod-Sünde vermeide, dadurch aber sich selbst entkräfte,
und seiner Rede den Nachdruck nehme; denn solche allzu große Scheinreinigkeit
ist einer durchbrochenen Arbeit zu vergleichen, daran der Meister solange felice
und bessert, bis er sie endlich gar verschwächet." Endlich wendet er sich


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[0539] Die Freindwörterseuche. zweigen, wenn auch nur vorübergehend, heranzuziehen, damit die unentbehrliche Beziehung zum wirklichen Leben fest hergestellt und, was insbesondre die Fremd¬ wörter angeht, die Bürgschaft gewonnen werde, daß die von der Akademie vor¬ zuschlagenden deutschen Ausdrücke auch da, wo sie eingeführt und angewandt werden sollen, Anerkennung finden. Ohne diese Beziehung könnte die Akademie leicht auf ein rein theoretisches Gebiet sich eingeschränkt sehen, und es würde andrerseits den Bestrebungen der Verwaltungen, Behörden und Berufsklassen jener tiefere, wissenschaftliche Rückhalt und Boden abgehen, ohne den ein sicheres Vorgehen nicht möglich ist. Ich verzichte aus naheliegenden Gründen darauf, hier mehr von der Ein¬ richtung und der Arbeitsweise dieser Akademie zu sagen. Doch glaube ich, die¬ jenigen Grundsätze bezeichnen zu sollen, nach denen sie den Fremdwörtern gegen¬ über zu Verfahren haben würde. An der Spitze dieser Grundsätze steht der, den ich schon oben aufgestellt habe: Kein Fremdwort für das, was deutsch gut ausgedrückt werden kann. Auch das habe ich schon oben gesagt, daß ich keine Übertreibung, keine blinde Reinigungsort will. Ich gehe sogar soweit und sage: Man kann und darf vernünftigerweise nichts dagegen haben, daß mit Maß, Umsicht und Geschmack ein Fremdwort, selbst ein entbehrliches, einmal angewendet werde, denn auch das ist ja ein Vorzug unsrer Sprache, daß sie das gestattet und kann; aber man wird aufs schärfste jenes jämmerliche Ver¬ mengen und Durchsetzen der Sprache mit fremden Fetzen verurteilen müssen, also daß sie nicht mehr wie deutsch aussteht, sondern wie ein klägliches Not- wälsch. Diese Ansichten sind immer von allen wahren und einsichtigen Freunden unsrer Sprache festgehalten worden, und ich glaube, daß es am Orte sei, hier die Äußerungen von einigen derselben einzuschalten. Ich wähle dazu Leibniz, Gottsched und Goethe. Leibniz spricht sich in seiner bereits oben angeführten „Ermahnung an die Teutsche u. s. w." folgendermaßen aus: „Ich will keinem über ein fremd Worth, so wohl zu Passe komt, den Proceß machen, aber das ungereimte unnöthige Ein¬ flicken ausländischer auch nicht einmahl verstandener, nicht zwar Worte, doch Red-Urtheil, die ganz gleichsam zerfallende Sätze und Abtheilungen, die ganz unschickliche Zusammenfügungen, die untaugliche Vernunfftsgründe, deren man sich schämen müste, wem: man nnr etwas zurückdenken wollte: dies alles ist, was nicht nur unsere Sprache verderben, sondern auch je mehr und mehr die Gemüther anstecken wird." Und in seinen „Unvorgreislichen Gedanken u. s. w." sagt er: „Hat es demnach die Meynung nicht, daß man in der Sprach zum Puritaner werde, und mit einer abergläubischen Furcht ein fremdes aber be¬ quemes Wort als eine Tod-Sünde vermeide, dadurch aber sich selbst entkräfte, und seiner Rede den Nachdruck nehme; denn solche allzu große Scheinreinigkeit ist einer durchbrochenen Arbeit zu vergleichen, daran der Meister solange felice und bessert, bis er sie endlich gar verschwächet." Endlich wendet er sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/539>, abgerufen am 29.06.2024.