Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Fremdwörterseuche.

welches die Zunge etwas stolpert und welches denn auch als von der öffent¬
lichen Meinung abgelehnt erachtet werden kann. Aber warum wühlte Herr
Stephan dieses Wort, da er doch in den Fremdwörterbüchern schon das viel
bessere und, wie mir scheint, ganz passende: Briefdecke fand? Wenn solch ein
vereinzelter Mißgriff am grünen Holze geschieht, was läßt sich erst am dürren
erwarten! Die Sache muß also in den allerbesten Händen liegen und mit der
weisesten Vorsicht behandelt werden. Deshalb muß deu Verwaltuugsmänuern
ein Beirat zur Seite gestellt werden, der namentlich wissenschaftlich, aber auch
praktisch") auf der Höhe der Aufgabe steht.

Ein weiterer, sehr anzuerkennender Schritt ist im Bereiche der Gerichts¬
sprache gethan worden, wo mit der Einführung der neuen deutscheu Gerichts¬
ordnung eine Meuge deutscher Ausdrücke an Stelle der ältern bösen Eindring¬
linge eingeführt worden sind. Auch hier ist man mit wenigen Ausnahmen
durchweg glücklich Verfahren, und auch dieses Vorgehen verdient Anerkennung
und Dank.

Aber das sind bis jetzt immer nur kleine Anfänge, vereinzelte Maßregeln,
die dem gewaltigen Heer der Fremdwörter auf allen sonstigen Zweigen der Ver¬
waltung gegenüber nicht viel verschlagen. Überall sind sie als Benennungen
von Sachen, Einrichtungen, Handlungen und Personen massenhaft gebräuchlich,
in allen Staaten, und auch das deutsche Reich hat bei der neuen Einrichtung
seiner Verwaltung hier fast wahllos alles gebräuchliche aufgenommen. Ganz
besonders widerwärtig ist aber die dienstliche und wissenschaftliche Sprache im
Heere. Daß deutsche Männer, in deren Tüchtigkeit das Wohl und Wehe des
Vaterlandes, das Geschick der Nation ruht, sich mit chargircu, debouchiren, de-
ployiren, detachireu und hundert andern iren, mit Lisiören, Teten, Queues, mit
Porte eppes, Laxittün ü'-n-int", Fouriers und mit tausendfältigen andern Misch¬
masch plagen müssen, ist wahrhaft grausam. Sind wir es denn nicht unserm
ruhmvollen Heere schuldig, es von dieser schimpflichen Plage zu erlösen?

Wenn auf alleu diesen Gebieten eine Reinigung der Sprache angestrebt
und allmählich durchgeführt würde, wenn Gesetze, Erlasse, Verordnungen und
Bekanntmachungen durchweg in gutem und anständigem Deutsch abgefaßt würden,
so müßte das von selbst zu der wünschenswertesten Nachfolge anregen. Die
Stadt- und sonstigen Gemeindebehörden würden bereitwillig sich anschließen, ja
selbst private Vereinigungen, Genossenschaften, Aktiengesellschaften, Vereine aller
Art würden nicht ausbleiben. "Ein großes Muster weckt Nacheiferung!" Nun
wohl, der Staat allein kann dieses große Muster hinstellen. Er allein hat die Macht



*) Der Herr Verfasser hat geschrieben werklich, was offenbar ein deutsches Wort für
Praktisch sein soll, wie er denn theoretisch durch wissenschaftlich wiedergiebt. Dieses werklich
aber würde sicherlich jeder Leser für einen komischen Druckfehler halten, und da wir trotz
aller Bemühungen keinen andern kurzen Ersatz für das Fremdwort gefunden haben, so haben
D. Red. wir in des Teufels nennen das praktisch in den Text gesetzt.
Die Fremdwörterseuche.

welches die Zunge etwas stolpert und welches denn auch als von der öffent¬
lichen Meinung abgelehnt erachtet werden kann. Aber warum wühlte Herr
Stephan dieses Wort, da er doch in den Fremdwörterbüchern schon das viel
bessere und, wie mir scheint, ganz passende: Briefdecke fand? Wenn solch ein
vereinzelter Mißgriff am grünen Holze geschieht, was läßt sich erst am dürren
erwarten! Die Sache muß also in den allerbesten Händen liegen und mit der
weisesten Vorsicht behandelt werden. Deshalb muß deu Verwaltuugsmänuern
ein Beirat zur Seite gestellt werden, der namentlich wissenschaftlich, aber auch
praktisch") auf der Höhe der Aufgabe steht.

Ein weiterer, sehr anzuerkennender Schritt ist im Bereiche der Gerichts¬
sprache gethan worden, wo mit der Einführung der neuen deutscheu Gerichts¬
ordnung eine Meuge deutscher Ausdrücke an Stelle der ältern bösen Eindring¬
linge eingeführt worden sind. Auch hier ist man mit wenigen Ausnahmen
durchweg glücklich Verfahren, und auch dieses Vorgehen verdient Anerkennung
und Dank.

Aber das sind bis jetzt immer nur kleine Anfänge, vereinzelte Maßregeln,
die dem gewaltigen Heer der Fremdwörter auf allen sonstigen Zweigen der Ver¬
waltung gegenüber nicht viel verschlagen. Überall sind sie als Benennungen
von Sachen, Einrichtungen, Handlungen und Personen massenhaft gebräuchlich,
in allen Staaten, und auch das deutsche Reich hat bei der neuen Einrichtung
seiner Verwaltung hier fast wahllos alles gebräuchliche aufgenommen. Ganz
besonders widerwärtig ist aber die dienstliche und wissenschaftliche Sprache im
Heere. Daß deutsche Männer, in deren Tüchtigkeit das Wohl und Wehe des
Vaterlandes, das Geschick der Nation ruht, sich mit chargircu, debouchiren, de-
ployiren, detachireu und hundert andern iren, mit Lisiören, Teten, Queues, mit
Porte eppes, Laxittün ü'-n-int«, Fouriers und mit tausendfältigen andern Misch¬
masch plagen müssen, ist wahrhaft grausam. Sind wir es denn nicht unserm
ruhmvollen Heere schuldig, es von dieser schimpflichen Plage zu erlösen?

Wenn auf alleu diesen Gebieten eine Reinigung der Sprache angestrebt
und allmählich durchgeführt würde, wenn Gesetze, Erlasse, Verordnungen und
Bekanntmachungen durchweg in gutem und anständigem Deutsch abgefaßt würden,
so müßte das von selbst zu der wünschenswertesten Nachfolge anregen. Die
Stadt- und sonstigen Gemeindebehörden würden bereitwillig sich anschließen, ja
selbst private Vereinigungen, Genossenschaften, Aktiengesellschaften, Vereine aller
Art würden nicht ausbleiben. „Ein großes Muster weckt Nacheiferung!" Nun
wohl, der Staat allein kann dieses große Muster hinstellen. Er allein hat die Macht



*) Der Herr Verfasser hat geschrieben werklich, was offenbar ein deutsches Wort für
Praktisch sein soll, wie er denn theoretisch durch wissenschaftlich wiedergiebt. Dieses werklich
aber würde sicherlich jeder Leser für einen komischen Druckfehler halten, und da wir trotz
aller Bemühungen keinen andern kurzen Ersatz für das Fremdwort gefunden haben, so haben
D. Red. wir in des Teufels nennen das praktisch in den Text gesetzt.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0536" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/194514"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Fremdwörterseuche.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1942" prev="#ID_1941"> welches die Zunge etwas stolpert und welches denn auch als von der öffent¬<lb/>
lichen Meinung abgelehnt erachtet werden kann. Aber warum wühlte Herr<lb/>
Stephan dieses Wort, da er doch in den Fremdwörterbüchern schon das viel<lb/>
bessere und, wie mir scheint, ganz passende: Briefdecke fand? Wenn solch ein<lb/>
vereinzelter Mißgriff am grünen Holze geschieht, was läßt sich erst am dürren<lb/>
erwarten! Die Sache muß also in den allerbesten Händen liegen und mit der<lb/>
weisesten Vorsicht behandelt werden. Deshalb muß deu Verwaltuugsmänuern<lb/>
ein Beirat zur Seite gestellt werden, der namentlich wissenschaftlich, aber auch<lb/>
praktisch") auf der Höhe der Aufgabe steht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1943"> Ein weiterer, sehr anzuerkennender Schritt ist im Bereiche der Gerichts¬<lb/>
sprache gethan worden, wo mit der Einführung der neuen deutscheu Gerichts¬<lb/>
ordnung eine Meuge deutscher Ausdrücke an Stelle der ältern bösen Eindring¬<lb/>
linge eingeführt worden sind. Auch hier ist man mit wenigen Ausnahmen<lb/>
durchweg glücklich Verfahren, und auch dieses Vorgehen verdient Anerkennung<lb/>
und Dank.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1944"> Aber das sind bis jetzt immer nur kleine Anfänge, vereinzelte Maßregeln,<lb/>
die dem gewaltigen Heer der Fremdwörter auf allen sonstigen Zweigen der Ver¬<lb/>
waltung gegenüber nicht viel verschlagen. Überall sind sie als Benennungen<lb/>
von Sachen, Einrichtungen, Handlungen und Personen massenhaft gebräuchlich,<lb/>
in allen Staaten, und auch das deutsche Reich hat bei der neuen Einrichtung<lb/>
seiner Verwaltung hier fast wahllos alles gebräuchliche aufgenommen. Ganz<lb/>
besonders widerwärtig ist aber die dienstliche und wissenschaftliche Sprache im<lb/>
Heere. Daß deutsche Männer, in deren Tüchtigkeit das Wohl und Wehe des<lb/>
Vaterlandes, das Geschick der Nation ruht, sich mit chargircu, debouchiren, de-<lb/>
ployiren, detachireu und hundert andern iren, mit Lisiören, Teten, Queues, mit<lb/>
Porte eppes, Laxittün ü'-n-int«, Fouriers und mit tausendfältigen andern Misch¬<lb/>
masch plagen müssen, ist wahrhaft grausam. Sind wir es denn nicht unserm<lb/>
ruhmvollen Heere schuldig, es von dieser schimpflichen Plage zu erlösen?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1945" next="#ID_1946"> Wenn auf alleu diesen Gebieten eine Reinigung der Sprache angestrebt<lb/>
und allmählich durchgeführt würde, wenn Gesetze, Erlasse, Verordnungen und<lb/>
Bekanntmachungen durchweg in gutem und anständigem Deutsch abgefaßt würden,<lb/>
so müßte das von selbst zu der wünschenswertesten Nachfolge anregen. Die<lb/>
Stadt- und sonstigen Gemeindebehörden würden bereitwillig sich anschließen, ja<lb/>
selbst private Vereinigungen, Genossenschaften, Aktiengesellschaften, Vereine aller<lb/>
Art würden nicht ausbleiben. &#x201E;Ein großes Muster weckt Nacheiferung!" Nun<lb/>
wohl, der Staat allein kann dieses große Muster hinstellen. Er allein hat die Macht</p><lb/>
          <note xml:id="FID_62" place="foot"> *) Der Herr Verfasser hat geschrieben werklich, was offenbar ein deutsches Wort für<lb/>
Praktisch sein soll, wie er denn theoretisch durch wissenschaftlich wiedergiebt. Dieses werklich<lb/>
aber würde sicherlich jeder Leser für einen komischen Druckfehler halten, und da wir trotz<lb/>
aller Bemühungen keinen andern kurzen Ersatz für das Fremdwort gefunden haben, so haben<lb/><note type="byline"> D. Red.</note> wir in des Teufels nennen das praktisch in den Text gesetzt. </note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0536] Die Fremdwörterseuche. welches die Zunge etwas stolpert und welches denn auch als von der öffent¬ lichen Meinung abgelehnt erachtet werden kann. Aber warum wühlte Herr Stephan dieses Wort, da er doch in den Fremdwörterbüchern schon das viel bessere und, wie mir scheint, ganz passende: Briefdecke fand? Wenn solch ein vereinzelter Mißgriff am grünen Holze geschieht, was läßt sich erst am dürren erwarten! Die Sache muß also in den allerbesten Händen liegen und mit der weisesten Vorsicht behandelt werden. Deshalb muß deu Verwaltuugsmänuern ein Beirat zur Seite gestellt werden, der namentlich wissenschaftlich, aber auch praktisch") auf der Höhe der Aufgabe steht. Ein weiterer, sehr anzuerkennender Schritt ist im Bereiche der Gerichts¬ sprache gethan worden, wo mit der Einführung der neuen deutscheu Gerichts¬ ordnung eine Meuge deutscher Ausdrücke an Stelle der ältern bösen Eindring¬ linge eingeführt worden sind. Auch hier ist man mit wenigen Ausnahmen durchweg glücklich Verfahren, und auch dieses Vorgehen verdient Anerkennung und Dank. Aber das sind bis jetzt immer nur kleine Anfänge, vereinzelte Maßregeln, die dem gewaltigen Heer der Fremdwörter auf allen sonstigen Zweigen der Ver¬ waltung gegenüber nicht viel verschlagen. Überall sind sie als Benennungen von Sachen, Einrichtungen, Handlungen und Personen massenhaft gebräuchlich, in allen Staaten, und auch das deutsche Reich hat bei der neuen Einrichtung seiner Verwaltung hier fast wahllos alles gebräuchliche aufgenommen. Ganz besonders widerwärtig ist aber die dienstliche und wissenschaftliche Sprache im Heere. Daß deutsche Männer, in deren Tüchtigkeit das Wohl und Wehe des Vaterlandes, das Geschick der Nation ruht, sich mit chargircu, debouchiren, de- ployiren, detachireu und hundert andern iren, mit Lisiören, Teten, Queues, mit Porte eppes, Laxittün ü'-n-int«, Fouriers und mit tausendfältigen andern Misch¬ masch plagen müssen, ist wahrhaft grausam. Sind wir es denn nicht unserm ruhmvollen Heere schuldig, es von dieser schimpflichen Plage zu erlösen? Wenn auf alleu diesen Gebieten eine Reinigung der Sprache angestrebt und allmählich durchgeführt würde, wenn Gesetze, Erlasse, Verordnungen und Bekanntmachungen durchweg in gutem und anständigem Deutsch abgefaßt würden, so müßte das von selbst zu der wünschenswertesten Nachfolge anregen. Die Stadt- und sonstigen Gemeindebehörden würden bereitwillig sich anschließen, ja selbst private Vereinigungen, Genossenschaften, Aktiengesellschaften, Vereine aller Art würden nicht ausbleiben. „Ein großes Muster weckt Nacheiferung!" Nun wohl, der Staat allein kann dieses große Muster hinstellen. Er allein hat die Macht *) Der Herr Verfasser hat geschrieben werklich, was offenbar ein deutsches Wort für Praktisch sein soll, wie er denn theoretisch durch wissenschaftlich wiedergiebt. Dieses werklich aber würde sicherlich jeder Leser für einen komischen Druckfehler halten, und da wir trotz aller Bemühungen keinen andern kurzen Ersatz für das Fremdwort gefunden haben, so haben D. Red. wir in des Teufels nennen das praktisch in den Text gesetzt.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/536
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/536>, abgerufen am 29.06.2024.