Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Fremdwörterseuche.

Zuvor aber glaube ich dem Leser wie der guten Sache selbst die Erklä¬
rung schuldig zu sein, daß ich ungeachtet dieser Thatsachen, welche sich nicht
bestreikn lassen und welche nur allzu laut reden, keineswegs an der Möglich¬
keit eines aus einer freiwilligen Bewegung innerhalb der Nation hervorgehenden
Umschwunges verzweifle. Warum soll nicht eine Geistesströmung möglich sein,
welche jenen Schlamm wegspült? Warum soll nicht im deutschen Volke jener
edle Stolz auf unsre Sprache erwachen, den Grimm erhoffte, und der doch so
natürlich ist? Diese Möglichkeit wird man unter allen Umständen offen halten
müssen, und deshalb betrachte ich auch diese Aufsätze als eine Art von Mahn¬
ruf an alle national gesinnten Deutschen. Aber ich bleibe trotzdem dabei: ein
Erfolg ist, wie die Sachen heute liegen, von einer freiwilligen, allgemeinen Be¬
wegung nicht zu erwarten. Deshalb habe ich mein Augenmerk auf andre Mittel
und Wege gelenkt.

Ich rufe die Hilfe des Staates an, also des deutschen Reiches und seiner
Glieder. Von dort allein kann zur Zeit wirkliche Hilfe kommen. Meine Vor¬
schläge sind demnach folgende.

1. Von feiten der Verwaltung muß eine gründliche Reinigung der Ver¬
waltungssprache in allen Zweigen des Staats- und Gemeindelebens bewirkt
werden.

2. Ju der Schule schon muß der Nachwuchs in dem Gefühle erzogen
werden, daß die Sprachmengerei eine Schande sei, und die Lehrer aller Schulen
-- von der Volksschule bis zur Hochschule -- müssen angehalten und ermahnt
werden, die Unterrichtssprache selbst rein zu halten.

3. Es muß eine wissenschaftliche Behörde bestellt werden, welche der
Verwaltung zur Hand geht, auf die Schule Einfluß übt, die Sprache überhaupt
überwacht und in weiterer angemessener Weise für den guten Zweck thätig ist.

Ich will diese Punkte im einzelnen etwas näher durchgehen.

1. Die Verwaltungssprache. Wie es auf diesem Gebiete in Deutschland
steht, mag ich garnicht auseinandersetzen. Es ist wahrhaft traurig. Wir tragen
hier die Zeichen jahrhundertelanger Abhängigkeit von der Kultur des Aus¬
landes, ja selbst die Merkmale der Unterjochung und Knechtschaft noch breit und
deutlich an der Stirn- Mit umso größerer und wärmerer Frende begrüßt man
jede Heilung, jeden Versuch einer Heilung und Wiederherstellung. Der Herr
Staatssekretär Stephan ist hier zuerst mit Kraft, Kenntnis, Folgerichtigkeit und
vielem Glück in größerm Maßstabe vorgegangen. Er hat n"s von zahlreichen
Ungeheuern in der Postsprache befreit und an deren Stelle vernünftige und
schickliche deutsche Wörter eingeführt. Anerkennung und Dank sei ihm zu Teil,
auch wenn er nicht überall einen gleich glücklichen Griff gehabt hat, und wenn
ihm auch uoch manches zu thun übrig bleibt. Ich will hierbei nicht unterlassen,
auf einen lehrreichen Fall hinzuweisen. Für Couvert schlug er das Wort Brief¬
umschlag vor. Das ist ein hart klingendes, ziemlich schwerfälliges Wort, über


Die Fremdwörterseuche.

Zuvor aber glaube ich dem Leser wie der guten Sache selbst die Erklä¬
rung schuldig zu sein, daß ich ungeachtet dieser Thatsachen, welche sich nicht
bestreikn lassen und welche nur allzu laut reden, keineswegs an der Möglich¬
keit eines aus einer freiwilligen Bewegung innerhalb der Nation hervorgehenden
Umschwunges verzweifle. Warum soll nicht eine Geistesströmung möglich sein,
welche jenen Schlamm wegspült? Warum soll nicht im deutschen Volke jener
edle Stolz auf unsre Sprache erwachen, den Grimm erhoffte, und der doch so
natürlich ist? Diese Möglichkeit wird man unter allen Umständen offen halten
müssen, und deshalb betrachte ich auch diese Aufsätze als eine Art von Mahn¬
ruf an alle national gesinnten Deutschen. Aber ich bleibe trotzdem dabei: ein
Erfolg ist, wie die Sachen heute liegen, von einer freiwilligen, allgemeinen Be¬
wegung nicht zu erwarten. Deshalb habe ich mein Augenmerk auf andre Mittel
und Wege gelenkt.

Ich rufe die Hilfe des Staates an, also des deutschen Reiches und seiner
Glieder. Von dort allein kann zur Zeit wirkliche Hilfe kommen. Meine Vor¬
schläge sind demnach folgende.

1. Von feiten der Verwaltung muß eine gründliche Reinigung der Ver¬
waltungssprache in allen Zweigen des Staats- und Gemeindelebens bewirkt
werden.

2. Ju der Schule schon muß der Nachwuchs in dem Gefühle erzogen
werden, daß die Sprachmengerei eine Schande sei, und die Lehrer aller Schulen
— von der Volksschule bis zur Hochschule — müssen angehalten und ermahnt
werden, die Unterrichtssprache selbst rein zu halten.

3. Es muß eine wissenschaftliche Behörde bestellt werden, welche der
Verwaltung zur Hand geht, auf die Schule Einfluß übt, die Sprache überhaupt
überwacht und in weiterer angemessener Weise für den guten Zweck thätig ist.

Ich will diese Punkte im einzelnen etwas näher durchgehen.

1. Die Verwaltungssprache. Wie es auf diesem Gebiete in Deutschland
steht, mag ich garnicht auseinandersetzen. Es ist wahrhaft traurig. Wir tragen
hier die Zeichen jahrhundertelanger Abhängigkeit von der Kultur des Aus¬
landes, ja selbst die Merkmale der Unterjochung und Knechtschaft noch breit und
deutlich an der Stirn- Mit umso größerer und wärmerer Frende begrüßt man
jede Heilung, jeden Versuch einer Heilung und Wiederherstellung. Der Herr
Staatssekretär Stephan ist hier zuerst mit Kraft, Kenntnis, Folgerichtigkeit und
vielem Glück in größerm Maßstabe vorgegangen. Er hat n»s von zahlreichen
Ungeheuern in der Postsprache befreit und an deren Stelle vernünftige und
schickliche deutsche Wörter eingeführt. Anerkennung und Dank sei ihm zu Teil,
auch wenn er nicht überall einen gleich glücklichen Griff gehabt hat, und wenn
ihm auch uoch manches zu thun übrig bleibt. Ich will hierbei nicht unterlassen,
auf einen lehrreichen Fall hinzuweisen. Für Couvert schlug er das Wort Brief¬
umschlag vor. Das ist ein hart klingendes, ziemlich schwerfälliges Wort, über


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0535" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/194513"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Fremdwörterseuche.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1935"> Zuvor aber glaube ich dem Leser wie der guten Sache selbst die Erklä¬<lb/>
rung schuldig zu sein, daß ich ungeachtet dieser Thatsachen, welche sich nicht<lb/>
bestreikn lassen und welche nur allzu laut reden, keineswegs an der Möglich¬<lb/>
keit eines aus einer freiwilligen Bewegung innerhalb der Nation hervorgehenden<lb/>
Umschwunges verzweifle. Warum soll nicht eine Geistesströmung möglich sein,<lb/>
welche jenen Schlamm wegspült? Warum soll nicht im deutschen Volke jener<lb/>
edle Stolz auf unsre Sprache erwachen, den Grimm erhoffte, und der doch so<lb/>
natürlich ist? Diese Möglichkeit wird man unter allen Umständen offen halten<lb/>
müssen, und deshalb betrachte ich auch diese Aufsätze als eine Art von Mahn¬<lb/>
ruf an alle national gesinnten Deutschen. Aber ich bleibe trotzdem dabei: ein<lb/>
Erfolg ist, wie die Sachen heute liegen, von einer freiwilligen, allgemeinen Be¬<lb/>
wegung nicht zu erwarten. Deshalb habe ich mein Augenmerk auf andre Mittel<lb/>
und Wege gelenkt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1936"> Ich rufe die Hilfe des Staates an, also des deutschen Reiches und seiner<lb/>
Glieder. Von dort allein kann zur Zeit wirkliche Hilfe kommen. Meine Vor¬<lb/>
schläge sind demnach folgende.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1937"> 1. Von feiten der Verwaltung muß eine gründliche Reinigung der Ver¬<lb/>
waltungssprache in allen Zweigen des Staats- und Gemeindelebens bewirkt<lb/>
werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1938"> 2. Ju der Schule schon muß der Nachwuchs in dem Gefühle erzogen<lb/>
werden, daß die Sprachmengerei eine Schande sei, und die Lehrer aller Schulen<lb/>
&#x2014; von der Volksschule bis zur Hochschule &#x2014; müssen angehalten und ermahnt<lb/>
werden, die Unterrichtssprache selbst rein zu halten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1939"> 3. Es muß eine wissenschaftliche Behörde bestellt werden, welche der<lb/>
Verwaltung zur Hand geht, auf die Schule Einfluß übt, die Sprache überhaupt<lb/>
überwacht und in weiterer angemessener Weise für den guten Zweck thätig ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1940"> Ich will diese Punkte im einzelnen etwas näher durchgehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1941" next="#ID_1942"> 1. Die Verwaltungssprache. Wie es auf diesem Gebiete in Deutschland<lb/>
steht, mag ich garnicht auseinandersetzen. Es ist wahrhaft traurig. Wir tragen<lb/>
hier die Zeichen jahrhundertelanger Abhängigkeit von der Kultur des Aus¬<lb/>
landes, ja selbst die Merkmale der Unterjochung und Knechtschaft noch breit und<lb/>
deutlich an der Stirn- Mit umso größerer und wärmerer Frende begrüßt man<lb/>
jede Heilung, jeden Versuch einer Heilung und Wiederherstellung. Der Herr<lb/>
Staatssekretär Stephan ist hier zuerst mit Kraft, Kenntnis, Folgerichtigkeit und<lb/>
vielem Glück in größerm Maßstabe vorgegangen. Er hat n»s von zahlreichen<lb/>
Ungeheuern in der Postsprache befreit und an deren Stelle vernünftige und<lb/>
schickliche deutsche Wörter eingeführt. Anerkennung und Dank sei ihm zu Teil,<lb/>
auch wenn er nicht überall einen gleich glücklichen Griff gehabt hat, und wenn<lb/>
ihm auch uoch manches zu thun übrig bleibt. Ich will hierbei nicht unterlassen,<lb/>
auf einen lehrreichen Fall hinzuweisen. Für Couvert schlug er das Wort Brief¬<lb/>
umschlag vor.  Das ist ein hart klingendes, ziemlich schwerfälliges Wort, über</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0535] Die Fremdwörterseuche. Zuvor aber glaube ich dem Leser wie der guten Sache selbst die Erklä¬ rung schuldig zu sein, daß ich ungeachtet dieser Thatsachen, welche sich nicht bestreikn lassen und welche nur allzu laut reden, keineswegs an der Möglich¬ keit eines aus einer freiwilligen Bewegung innerhalb der Nation hervorgehenden Umschwunges verzweifle. Warum soll nicht eine Geistesströmung möglich sein, welche jenen Schlamm wegspült? Warum soll nicht im deutschen Volke jener edle Stolz auf unsre Sprache erwachen, den Grimm erhoffte, und der doch so natürlich ist? Diese Möglichkeit wird man unter allen Umständen offen halten müssen, und deshalb betrachte ich auch diese Aufsätze als eine Art von Mahn¬ ruf an alle national gesinnten Deutschen. Aber ich bleibe trotzdem dabei: ein Erfolg ist, wie die Sachen heute liegen, von einer freiwilligen, allgemeinen Be¬ wegung nicht zu erwarten. Deshalb habe ich mein Augenmerk auf andre Mittel und Wege gelenkt. Ich rufe die Hilfe des Staates an, also des deutschen Reiches und seiner Glieder. Von dort allein kann zur Zeit wirkliche Hilfe kommen. Meine Vor¬ schläge sind demnach folgende. 1. Von feiten der Verwaltung muß eine gründliche Reinigung der Ver¬ waltungssprache in allen Zweigen des Staats- und Gemeindelebens bewirkt werden. 2. Ju der Schule schon muß der Nachwuchs in dem Gefühle erzogen werden, daß die Sprachmengerei eine Schande sei, und die Lehrer aller Schulen — von der Volksschule bis zur Hochschule — müssen angehalten und ermahnt werden, die Unterrichtssprache selbst rein zu halten. 3. Es muß eine wissenschaftliche Behörde bestellt werden, welche der Verwaltung zur Hand geht, auf die Schule Einfluß übt, die Sprache überhaupt überwacht und in weiterer angemessener Weise für den guten Zweck thätig ist. Ich will diese Punkte im einzelnen etwas näher durchgehen. 1. Die Verwaltungssprache. Wie es auf diesem Gebiete in Deutschland steht, mag ich garnicht auseinandersetzen. Es ist wahrhaft traurig. Wir tragen hier die Zeichen jahrhundertelanger Abhängigkeit von der Kultur des Aus¬ landes, ja selbst die Merkmale der Unterjochung und Knechtschaft noch breit und deutlich an der Stirn- Mit umso größerer und wärmerer Frende begrüßt man jede Heilung, jeden Versuch einer Heilung und Wiederherstellung. Der Herr Staatssekretär Stephan ist hier zuerst mit Kraft, Kenntnis, Folgerichtigkeit und vielem Glück in größerm Maßstabe vorgegangen. Er hat n»s von zahlreichen Ungeheuern in der Postsprache befreit und an deren Stelle vernünftige und schickliche deutsche Wörter eingeführt. Anerkennung und Dank sei ihm zu Teil, auch wenn er nicht überall einen gleich glücklichen Griff gehabt hat, und wenn ihm auch uoch manches zu thun übrig bleibt. Ich will hierbei nicht unterlassen, auf einen lehrreichen Fall hinzuweisen. Für Couvert schlug er das Wort Brief¬ umschlag vor. Das ist ein hart klingendes, ziemlich schwerfälliges Wort, über

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/535
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/535>, abgerufen am 29.06.2024.