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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Gin neuer französischer Krieg in Zieht.

Missionären kräftig unterstiitzt wurde. Wenn Frankreich jetzt den Besitz des
Nordwestens von Madagaskar verlangt und ein Protektorat über die ganze Insel
erstrebt, so kann es sich kaum auf gute Gründe stützen. Der Vertrag, den es
1840 mit den aufständischen Sakalavas abgeschlossen hat, gilt nicht mehr, als
ein Vertrag gelten würde, den es mit den Sezessionisten in den Vereinigten
Staaten vereinbart Hütte, und wenn ein französischer König des siebzehnten
Jahrhunderts ganz Madagaskar seinen Besitzungen einverleibt hat, so ist das
eine Proklamation, die an die Ernennung vou Bischöfen in Mre,1bu8 erinnert,
desgleichen an die Nürnberger, die keinen henkten, bevor sie ihn gefangen hatten.
Erst erobern, venu haben. Das Erobern wird aber keine leichte und jedenfalls
eine kostspielige Sache sein, und schließlich hätte doch auch England ein Wort mit
zu sprechen. Wie man dort darüber denkt, geht aus folgendem Vorfall hervor,
der vor etwa acht Tagen stattfand.

In voriger Woche machte eine Deputation dem Lord Granville im Aus¬
wärtigen Amte zu London ihre Aufwartung, um ihm den Wunsch ans Herz
zu legen, daß England seinen Einfluß anwende, um den Streit zwischen Frank¬
reich und Madagaskar zu gütlichem Austrage zu bringen, und die Antwort
lautete ermutigend. Sie gab der Deputation, welche die Ansicht eines nicht ge¬
ringen Teils des Parlaments vertrat, wenigstens die Gewißheit, daß der
Minister des Auswärtigen nichts zu thun gewillt ist, was auf der einen oder
der andern Seite die Erbitterung zu steigern geeignet wäre. Er wünscht ins¬
besondre "die freundschaftlichsten und herzlichsten Gefühle dem nächsten großen
Nachbar gegenüber zu bewahren." Andrerseits aber ist der Minister nicht ge¬
neigt, vor einer Darlegung des Standes der Dinge zurückzuschrecken, welche an
sich schon als eine Art Beeinflussung betrachtet werden kann, und als solche
wurde seine kurze, aber inhaltreiche Auseinandersetzung der in Rede stehenden
Thatsachen in der That von der Deputation aufgenommen und in die Öffentlich¬
keit gebracht. Er erinnerte die Herren zunächst daran, daß England 1817 mit
dem Könige Radama einen Vertrag wegen Abstellung des Sklavenhandels ab¬
geschlossen, dann daran, daß Lord Palmerston 1860 zwar das Recht der Fran¬
zosen auf die Insel Rossi Be anerkannt hat, daß England und Frankreich aber
vier Jahre später übereingekommen sind, in Madagaskar keinerlei Schritte zu
thun, bevor sie sich nicht miteinander beraten haben. Die Verabredung ist später
ratifizirt wordeu, und erst neuerdings, wo in Paris der Eifer zur Erwerbung
großen Kolonialbesitzes wieder erwachte, sind ernste Meinungsverschiedenheiten
zu Tage getreten. Dieselben wurden hervorgerufen durch allerlei an sich nicht
viel bedeutende Vorfülle in Madagaskar, welche die französischen Beamten zu
wichtigen Ereignissen machten, zum Teil aber auch durch die Eifersucht der
Protestantischen Missionäre, die am Hofe in Talare Aripo viel gelten. Lord
Granville fuhr fort, indem er bemerkte, daß es sich vorzüglich um drei streitige
Punkte handle: um die Ansprüche von Franzosen uns Genugthuung und Schaden-


Gin neuer französischer Krieg in Zieht.

Missionären kräftig unterstiitzt wurde. Wenn Frankreich jetzt den Besitz des
Nordwestens von Madagaskar verlangt und ein Protektorat über die ganze Insel
erstrebt, so kann es sich kaum auf gute Gründe stützen. Der Vertrag, den es
1840 mit den aufständischen Sakalavas abgeschlossen hat, gilt nicht mehr, als
ein Vertrag gelten würde, den es mit den Sezessionisten in den Vereinigten
Staaten vereinbart Hütte, und wenn ein französischer König des siebzehnten
Jahrhunderts ganz Madagaskar seinen Besitzungen einverleibt hat, so ist das
eine Proklamation, die an die Ernennung vou Bischöfen in Mre,1bu8 erinnert,
desgleichen an die Nürnberger, die keinen henkten, bevor sie ihn gefangen hatten.
Erst erobern, venu haben. Das Erobern wird aber keine leichte und jedenfalls
eine kostspielige Sache sein, und schließlich hätte doch auch England ein Wort mit
zu sprechen. Wie man dort darüber denkt, geht aus folgendem Vorfall hervor,
der vor etwa acht Tagen stattfand.

In voriger Woche machte eine Deputation dem Lord Granville im Aus¬
wärtigen Amte zu London ihre Aufwartung, um ihm den Wunsch ans Herz
zu legen, daß England seinen Einfluß anwende, um den Streit zwischen Frank¬
reich und Madagaskar zu gütlichem Austrage zu bringen, und die Antwort
lautete ermutigend. Sie gab der Deputation, welche die Ansicht eines nicht ge¬
ringen Teils des Parlaments vertrat, wenigstens die Gewißheit, daß der
Minister des Auswärtigen nichts zu thun gewillt ist, was auf der einen oder
der andern Seite die Erbitterung zu steigern geeignet wäre. Er wünscht ins¬
besondre „die freundschaftlichsten und herzlichsten Gefühle dem nächsten großen
Nachbar gegenüber zu bewahren." Andrerseits aber ist der Minister nicht ge¬
neigt, vor einer Darlegung des Standes der Dinge zurückzuschrecken, welche an
sich schon als eine Art Beeinflussung betrachtet werden kann, und als solche
wurde seine kurze, aber inhaltreiche Auseinandersetzung der in Rede stehenden
Thatsachen in der That von der Deputation aufgenommen und in die Öffentlich¬
keit gebracht. Er erinnerte die Herren zunächst daran, daß England 1817 mit
dem Könige Radama einen Vertrag wegen Abstellung des Sklavenhandels ab¬
geschlossen, dann daran, daß Lord Palmerston 1860 zwar das Recht der Fran¬
zosen auf die Insel Rossi Be anerkannt hat, daß England und Frankreich aber
vier Jahre später übereingekommen sind, in Madagaskar keinerlei Schritte zu
thun, bevor sie sich nicht miteinander beraten haben. Die Verabredung ist später
ratifizirt wordeu, und erst neuerdings, wo in Paris der Eifer zur Erwerbung
großen Kolonialbesitzes wieder erwachte, sind ernste Meinungsverschiedenheiten
zu Tage getreten. Dieselben wurden hervorgerufen durch allerlei an sich nicht
viel bedeutende Vorfülle in Madagaskar, welche die französischen Beamten zu
wichtigen Ereignissen machten, zum Teil aber auch durch die Eifersucht der
Protestantischen Missionäre, die am Hofe in Talare Aripo viel gelten. Lord
Granville fuhr fort, indem er bemerkte, daß es sich vorzüglich um drei streitige
Punkte handle: um die Ansprüche von Franzosen uns Genugthuung und Schaden-


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[0531] Gin neuer französischer Krieg in Zieht. Missionären kräftig unterstiitzt wurde. Wenn Frankreich jetzt den Besitz des Nordwestens von Madagaskar verlangt und ein Protektorat über die ganze Insel erstrebt, so kann es sich kaum auf gute Gründe stützen. Der Vertrag, den es 1840 mit den aufständischen Sakalavas abgeschlossen hat, gilt nicht mehr, als ein Vertrag gelten würde, den es mit den Sezessionisten in den Vereinigten Staaten vereinbart Hütte, und wenn ein französischer König des siebzehnten Jahrhunderts ganz Madagaskar seinen Besitzungen einverleibt hat, so ist das eine Proklamation, die an die Ernennung vou Bischöfen in Mre,1bu8 erinnert, desgleichen an die Nürnberger, die keinen henkten, bevor sie ihn gefangen hatten. Erst erobern, venu haben. Das Erobern wird aber keine leichte und jedenfalls eine kostspielige Sache sein, und schließlich hätte doch auch England ein Wort mit zu sprechen. Wie man dort darüber denkt, geht aus folgendem Vorfall hervor, der vor etwa acht Tagen stattfand. In voriger Woche machte eine Deputation dem Lord Granville im Aus¬ wärtigen Amte zu London ihre Aufwartung, um ihm den Wunsch ans Herz zu legen, daß England seinen Einfluß anwende, um den Streit zwischen Frank¬ reich und Madagaskar zu gütlichem Austrage zu bringen, und die Antwort lautete ermutigend. Sie gab der Deputation, welche die Ansicht eines nicht ge¬ ringen Teils des Parlaments vertrat, wenigstens die Gewißheit, daß der Minister des Auswärtigen nichts zu thun gewillt ist, was auf der einen oder der andern Seite die Erbitterung zu steigern geeignet wäre. Er wünscht ins¬ besondre „die freundschaftlichsten und herzlichsten Gefühle dem nächsten großen Nachbar gegenüber zu bewahren." Andrerseits aber ist der Minister nicht ge¬ neigt, vor einer Darlegung des Standes der Dinge zurückzuschrecken, welche an sich schon als eine Art Beeinflussung betrachtet werden kann, und als solche wurde seine kurze, aber inhaltreiche Auseinandersetzung der in Rede stehenden Thatsachen in der That von der Deputation aufgenommen und in die Öffentlich¬ keit gebracht. Er erinnerte die Herren zunächst daran, daß England 1817 mit dem Könige Radama einen Vertrag wegen Abstellung des Sklavenhandels ab¬ geschlossen, dann daran, daß Lord Palmerston 1860 zwar das Recht der Fran¬ zosen auf die Insel Rossi Be anerkannt hat, daß England und Frankreich aber vier Jahre später übereingekommen sind, in Madagaskar keinerlei Schritte zu thun, bevor sie sich nicht miteinander beraten haben. Die Verabredung ist später ratifizirt wordeu, und erst neuerdings, wo in Paris der Eifer zur Erwerbung großen Kolonialbesitzes wieder erwachte, sind ernste Meinungsverschiedenheiten zu Tage getreten. Dieselben wurden hervorgerufen durch allerlei an sich nicht viel bedeutende Vorfülle in Madagaskar, welche die französischen Beamten zu wichtigen Ereignissen machten, zum Teil aber auch durch die Eifersucht der Protestantischen Missionäre, die am Hofe in Talare Aripo viel gelten. Lord Granville fuhr fort, indem er bemerkte, daß es sich vorzüglich um drei streitige Punkte handle: um die Ansprüche von Franzosen uns Genugthuung und Schaden-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/531>, abgerufen am 29.06.2024.