Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Gin neuer französischer Krieg in Acht.

ersatz, um das Verlangen derselben, in Madagaskar Land erwerben lind besiedeln
zu dürfen, und schließlich um die Hauptfrage wegen des Protektorats über die
Insel. Die angebliche Vergewaltigung einzelner Franzosen durch die Hvva-
Regierung giebt keinen gegründeten Anlaß zur Klage, da Vergehen jener Fran¬
zosen gegen diese Regierung ihr vorausgegangen sind. Der nächste Punkt liegt
weniger klar; denn einerseits behauptet die malagassische Regierung, daß sie zu
keiner Zeit ihr Munizipalrecht aufgegeben habe, nach welchem Landerlverb niemals
stattfinden und gelten soll, andrerseits hat Frankreich sowohl wie England stets
darauf bestanden, das; ihre Unterthanen befugt sein sollen, Land zu kaufen und
zu besitzen. "In Betreff des französischen Protektorats endlich, sagte der eng¬
lische Minister, weiß ich bis jetzt voll keinem Vertrage, der Frankreich das Recht
gäbe, darauf zu bestehen." Der Vertrag mit den Sakalavas hat also auch in
den Augen Lord Granvilles keine Giltigkeit.

Man wird nun sehen, welche Wirkung diese Erklärung in Paris üben wird.
Vielleicht besinnt man sich, hält inne und vertagt seine Pläne auf bessere Zeiten.
Wahrscheinlicher aber ist das Gegenteil. Die Bereitwilligkeit der Franzosen,
den Vertrag Brazzas mit dem Negerkönig Makoto im Kvngvlnnde zu ratifiziren,
die Absendung eines zweiten .Kriegsschiffes nach Rossi Be, die Befehle, welche
der französische Admiral all der Küste von Cochinchinn erhalten hat, und die
Besetzung von Tonkin lassen es sehr zweifelhaft erscheinen, daß man die mit
der Eroberung von Tunesien eingeleitete Politik sobald aufgeben werde. Den
Engländern aber kann das nicht gleichgiltig sein. Sie haben Interesse am
Kanal von Mozambique, und sie haben ein vertragsmäßiges Recht, in Betreff
der Frage wegen Madagaskars gehört zu werden, bevor Frankreich dort ein¬
schreitet.

Und wir Deutschen? Uns kann die Angelegenheit auch nicht gleichgiltig
sein, aber in anderm Sinne. Wir können nur wünschen, daß die Strömung,
welche den französischen Ehrgeiz und Erwerbungstrieb an den Kongo, nach dem
Lande der Hovas und nach Hinterindien treibt, sich recht lange erhalte und
die Frauzosen befriedige. Wir näher wohnenden werden daun ruhiger sein
können.




Gin neuer französischer Krieg in Acht.

ersatz, um das Verlangen derselben, in Madagaskar Land erwerben lind besiedeln
zu dürfen, und schließlich um die Hauptfrage wegen des Protektorats über die
Insel. Die angebliche Vergewaltigung einzelner Franzosen durch die Hvva-
Regierung giebt keinen gegründeten Anlaß zur Klage, da Vergehen jener Fran¬
zosen gegen diese Regierung ihr vorausgegangen sind. Der nächste Punkt liegt
weniger klar; denn einerseits behauptet die malagassische Regierung, daß sie zu
keiner Zeit ihr Munizipalrecht aufgegeben habe, nach welchem Landerlverb niemals
stattfinden und gelten soll, andrerseits hat Frankreich sowohl wie England stets
darauf bestanden, das; ihre Unterthanen befugt sein sollen, Land zu kaufen und
zu besitzen. „In Betreff des französischen Protektorats endlich, sagte der eng¬
lische Minister, weiß ich bis jetzt voll keinem Vertrage, der Frankreich das Recht
gäbe, darauf zu bestehen." Der Vertrag mit den Sakalavas hat also auch in
den Augen Lord Granvilles keine Giltigkeit.

Man wird nun sehen, welche Wirkung diese Erklärung in Paris üben wird.
Vielleicht besinnt man sich, hält inne und vertagt seine Pläne auf bessere Zeiten.
Wahrscheinlicher aber ist das Gegenteil. Die Bereitwilligkeit der Franzosen,
den Vertrag Brazzas mit dem Negerkönig Makoto im Kvngvlnnde zu ratifiziren,
die Absendung eines zweiten .Kriegsschiffes nach Rossi Be, die Befehle, welche
der französische Admiral all der Küste von Cochinchinn erhalten hat, und die
Besetzung von Tonkin lassen es sehr zweifelhaft erscheinen, daß man die mit
der Eroberung von Tunesien eingeleitete Politik sobald aufgeben werde. Den
Engländern aber kann das nicht gleichgiltig sein. Sie haben Interesse am
Kanal von Mozambique, und sie haben ein vertragsmäßiges Recht, in Betreff
der Frage wegen Madagaskars gehört zu werden, bevor Frankreich dort ein¬
schreitet.

Und wir Deutschen? Uns kann die Angelegenheit auch nicht gleichgiltig
sein, aber in anderm Sinne. Wir können nur wünschen, daß die Strömung,
welche den französischen Ehrgeiz und Erwerbungstrieb an den Kongo, nach dem
Lande der Hovas und nach Hinterindien treibt, sich recht lange erhalte und
die Frauzosen befriedige. Wir näher wohnenden werden daun ruhiger sein
können.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0532" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/194510"/>
          <fw type="header" place="top"> Gin neuer französischer Krieg in Acht.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1927" prev="#ID_1926"> ersatz, um das Verlangen derselben, in Madagaskar Land erwerben lind besiedeln<lb/>
zu dürfen, und schließlich um die Hauptfrage wegen des Protektorats über die<lb/>
Insel. Die angebliche Vergewaltigung einzelner Franzosen durch die Hvva-<lb/>
Regierung giebt keinen gegründeten Anlaß zur Klage, da Vergehen jener Fran¬<lb/>
zosen gegen diese Regierung ihr vorausgegangen sind. Der nächste Punkt liegt<lb/>
weniger klar; denn einerseits behauptet die malagassische Regierung, daß sie zu<lb/>
keiner Zeit ihr Munizipalrecht aufgegeben habe, nach welchem Landerlverb niemals<lb/>
stattfinden und gelten soll, andrerseits hat Frankreich sowohl wie England stets<lb/>
darauf bestanden, das; ihre Unterthanen befugt sein sollen, Land zu kaufen und<lb/>
zu besitzen. &#x201E;In Betreff des französischen Protektorats endlich, sagte der eng¬<lb/>
lische Minister, weiß ich bis jetzt voll keinem Vertrage, der Frankreich das Recht<lb/>
gäbe, darauf zu bestehen." Der Vertrag mit den Sakalavas hat also auch in<lb/>
den Augen Lord Granvilles keine Giltigkeit.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1928"> Man wird nun sehen, welche Wirkung diese Erklärung in Paris üben wird.<lb/>
Vielleicht besinnt man sich, hält inne und vertagt seine Pläne auf bessere Zeiten.<lb/>
Wahrscheinlicher aber ist das Gegenteil. Die Bereitwilligkeit der Franzosen,<lb/>
den Vertrag Brazzas mit dem Negerkönig Makoto im Kvngvlnnde zu ratifiziren,<lb/>
die Absendung eines zweiten .Kriegsschiffes nach Rossi Be, die Befehle, welche<lb/>
der französische Admiral all der Küste von Cochinchinn erhalten hat, und die<lb/>
Besetzung von Tonkin lassen es sehr zweifelhaft erscheinen, daß man die mit<lb/>
der Eroberung von Tunesien eingeleitete Politik sobald aufgeben werde. Den<lb/>
Engländern aber kann das nicht gleichgiltig sein. Sie haben Interesse am<lb/>
Kanal von Mozambique, und sie haben ein vertragsmäßiges Recht, in Betreff<lb/>
der Frage wegen Madagaskars gehört zu werden, bevor Frankreich dort ein¬<lb/>
schreitet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1929"> Und wir Deutschen? Uns kann die Angelegenheit auch nicht gleichgiltig<lb/>
sein, aber in anderm Sinne. Wir können nur wünschen, daß die Strömung,<lb/>
welche den französischen Ehrgeiz und Erwerbungstrieb an den Kongo, nach dem<lb/>
Lande der Hovas und nach Hinterindien treibt, sich recht lange erhalte und<lb/>
die Frauzosen befriedige. Wir näher wohnenden werden daun ruhiger sein<lb/>
können.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0532] Gin neuer französischer Krieg in Acht. ersatz, um das Verlangen derselben, in Madagaskar Land erwerben lind besiedeln zu dürfen, und schließlich um die Hauptfrage wegen des Protektorats über die Insel. Die angebliche Vergewaltigung einzelner Franzosen durch die Hvva- Regierung giebt keinen gegründeten Anlaß zur Klage, da Vergehen jener Fran¬ zosen gegen diese Regierung ihr vorausgegangen sind. Der nächste Punkt liegt weniger klar; denn einerseits behauptet die malagassische Regierung, daß sie zu keiner Zeit ihr Munizipalrecht aufgegeben habe, nach welchem Landerlverb niemals stattfinden und gelten soll, andrerseits hat Frankreich sowohl wie England stets darauf bestanden, das; ihre Unterthanen befugt sein sollen, Land zu kaufen und zu besitzen. „In Betreff des französischen Protektorats endlich, sagte der eng¬ lische Minister, weiß ich bis jetzt voll keinem Vertrage, der Frankreich das Recht gäbe, darauf zu bestehen." Der Vertrag mit den Sakalavas hat also auch in den Augen Lord Granvilles keine Giltigkeit. Man wird nun sehen, welche Wirkung diese Erklärung in Paris üben wird. Vielleicht besinnt man sich, hält inne und vertagt seine Pläne auf bessere Zeiten. Wahrscheinlicher aber ist das Gegenteil. Die Bereitwilligkeit der Franzosen, den Vertrag Brazzas mit dem Negerkönig Makoto im Kvngvlnnde zu ratifiziren, die Absendung eines zweiten .Kriegsschiffes nach Rossi Be, die Befehle, welche der französische Admiral all der Küste von Cochinchinn erhalten hat, und die Besetzung von Tonkin lassen es sehr zweifelhaft erscheinen, daß man die mit der Eroberung von Tunesien eingeleitete Politik sobald aufgeben werde. Den Engländern aber kann das nicht gleichgiltig sein. Sie haben Interesse am Kanal von Mozambique, und sie haben ein vertragsmäßiges Recht, in Betreff der Frage wegen Madagaskars gehört zu werden, bevor Frankreich dort ein¬ schreitet. Und wir Deutschen? Uns kann die Angelegenheit auch nicht gleichgiltig sein, aber in anderm Sinne. Wir können nur wünschen, daß die Strömung, welche den französischen Ehrgeiz und Erwerbungstrieb an den Kongo, nach dem Lande der Hovas und nach Hinterindien treibt, sich recht lange erhalte und die Frauzosen befriedige. Wir näher wohnenden werden daun ruhiger sein können.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/532
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/532>, abgerufen am 29.06.2024.