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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Fischerin von Malamocco.

Mädchen aus der Menge in den todbringenden Lagerkreis. Verzückt und vom
nie erlebten berauscht, schritt ich mit Hedwig und an der Seite des Hirtenknaben
dnrch die Reihen der Tausende, mit denen ich ziehen sollte, keine Reue, nur eine
leise Furcht, daß ich noch gehalten werden könne, beschlich mich. Ich fand
keine Rast in dem Zelte, das man mir dicht neben den Hütten der Führer
anwies, Speise und Trank, die nur in verschwenderischer Fülle aufgetragen
wurden, als wäre ich die Königin dieses Kinderheeres, erquickten mich nicht. Noch
an: Nachmittag des Pfiugsttages begann ich zum Aufbruch zu drängen, und
so sehr folgten aller Augen der Grafentochter, die das Kreuz genommen, daß
auch das, was ich nur mit leiser Stimme zu äußern wagte, weithin gehört
ward. Meine eigne Unruhe ergriff bald ganze Schaaren, durch das Gewühl
des seltsamen Lagers schwirrte ein Verlangen nach baldigem Weitcrzug, aus
jedem Haufen klang es: Jerusalem -- Jerusalem! als könne das ferne, hehre
Ziel hente oder morgen noch erreicht werden. Die Führer des Zuges traten
schließlich bei der Mariensäule zusammen und standen lauge in eifriger Be¬
ratung, ich hörte mehr als einmal anch meinen Namen aus den verworrenen
Reden hervorkliugeu und habe viel später erfahren, daß die Befürchtung, es
möge von Friedewald aus versucht werdeu, mich zurückzuführen und an der
thörichten Kreuzfahrt zu hindern, ein Hauptgrund gewesen sei, daß noch am
Nachmittag das Lager abgebrochen und vor Somienuntergaug der Weiterzug
angetreten ward. Er war anfänglich noch von Massen jauchzenden, heilrufeudeu
Volkes umgeben, die sich nach wenigen Stunden auf allen Dorfstraßen und
Waldwegen zerstreuten und verloren, sodaß zuletzt nichts mehr zurückblieb als
der fahrende Schwarm, der dem jugendlichen Pilgerheere überhaupt folgte. Wie
der Abend hereinbrach und die roten Wolken über dem Buchenwald glühten,
fiel es mir bei, daß nun meine lange Sehnsucht gestillt sei und ich den Wolken
nachzöge, und doch wachte keine Freude, soudern ein dumpfes Bangen in meinem
Herzen auf. Wie mir damals, so muß dein zu Mute sein, der in schwachem
Boot auf der Meerflut treibt, die Wogen tragen ihn immer weiter von der
heimischen Küste hinweg, er weiß nicht, ob er je wieder Land erreichen wird
und muß doch vorwärts schauen, vorwärts und nicht zurück!

Laßt mich schweigen, Vater Girolamo, von dem Leben, das für mich mit
der ersten nächtigen Rast nud der Dämmerung des andern Tages begann.
Unser Zug ging über den Thüringerwnld, durch das gesegnete Franken und
Baiern und endlich durch die wilden Alpen von Rhätien. Noch wochenlang
strömten uns, wo Gottfried der Hirt das Lager aufschlagen ließ und wo wir
einen Tag rasteten, immer neue begeisterte Kinderschaaren, Knaben und Mädchen,
zu, die gleich mir vou Herd und Heimat hinweggerissen wurden. Überall zogen
Gottfrieds Verkündigungen und die Predigten der Mönche, die um den jugend¬
lichen Führer dieses Heeres waren, tausende hinter sich drein, täglich mehrte
sich unser Zug so, daß wir die Hunderte nicht vermißten, die von Furcht oder


Grenzboten IV. 1382. 6ü
Die Fischerin von Malamocco.

Mädchen aus der Menge in den todbringenden Lagerkreis. Verzückt und vom
nie erlebten berauscht, schritt ich mit Hedwig und an der Seite des Hirtenknaben
dnrch die Reihen der Tausende, mit denen ich ziehen sollte, keine Reue, nur eine
leise Furcht, daß ich noch gehalten werden könne, beschlich mich. Ich fand
keine Rast in dem Zelte, das man mir dicht neben den Hütten der Führer
anwies, Speise und Trank, die nur in verschwenderischer Fülle aufgetragen
wurden, als wäre ich die Königin dieses Kinderheeres, erquickten mich nicht. Noch
an: Nachmittag des Pfiugsttages begann ich zum Aufbruch zu drängen, und
so sehr folgten aller Augen der Grafentochter, die das Kreuz genommen, daß
auch das, was ich nur mit leiser Stimme zu äußern wagte, weithin gehört
ward. Meine eigne Unruhe ergriff bald ganze Schaaren, durch das Gewühl
des seltsamen Lagers schwirrte ein Verlangen nach baldigem Weitcrzug, aus
jedem Haufen klang es: Jerusalem — Jerusalem! als könne das ferne, hehre
Ziel hente oder morgen noch erreicht werden. Die Führer des Zuges traten
schließlich bei der Mariensäule zusammen und standen lauge in eifriger Be¬
ratung, ich hörte mehr als einmal anch meinen Namen aus den verworrenen
Reden hervorkliugeu und habe viel später erfahren, daß die Befürchtung, es
möge von Friedewald aus versucht werdeu, mich zurückzuführen und an der
thörichten Kreuzfahrt zu hindern, ein Hauptgrund gewesen sei, daß noch am
Nachmittag das Lager abgebrochen und vor Somienuntergaug der Weiterzug
angetreten ward. Er war anfänglich noch von Massen jauchzenden, heilrufeudeu
Volkes umgeben, die sich nach wenigen Stunden auf allen Dorfstraßen und
Waldwegen zerstreuten und verloren, sodaß zuletzt nichts mehr zurückblieb als
der fahrende Schwarm, der dem jugendlichen Pilgerheere überhaupt folgte. Wie
der Abend hereinbrach und die roten Wolken über dem Buchenwald glühten,
fiel es mir bei, daß nun meine lange Sehnsucht gestillt sei und ich den Wolken
nachzöge, und doch wachte keine Freude, soudern ein dumpfes Bangen in meinem
Herzen auf. Wie mir damals, so muß dein zu Mute sein, der in schwachem
Boot auf der Meerflut treibt, die Wogen tragen ihn immer weiter von der
heimischen Küste hinweg, er weiß nicht, ob er je wieder Land erreichen wird
und muß doch vorwärts schauen, vorwärts und nicht zurück!

Laßt mich schweigen, Vater Girolamo, von dem Leben, das für mich mit
der ersten nächtigen Rast nud der Dämmerung des andern Tages begann.
Unser Zug ging über den Thüringerwnld, durch das gesegnete Franken und
Baiern und endlich durch die wilden Alpen von Rhätien. Noch wochenlang
strömten uns, wo Gottfried der Hirt das Lager aufschlagen ließ und wo wir
einen Tag rasteten, immer neue begeisterte Kinderschaaren, Knaben und Mädchen,
zu, die gleich mir vou Herd und Heimat hinweggerissen wurden. Überall zogen
Gottfrieds Verkündigungen und die Predigten der Mönche, die um den jugend¬
lichen Führer dieses Heeres waren, tausende hinter sich drein, täglich mehrte
sich unser Zug so, daß wir die Hunderte nicht vermißten, die von Furcht oder


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/517>, abgerufen am 29.06.2024.