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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Lischerin von M^lmnocco.

sah, gewaltsam zu sich hinzogen. Und als ich inne ward, daß Hedwig, die
Försterstochter von Heringen, die meine Gespielin war, sich schluchzend von
ihrer Mutter und ihren Basen losriß und sich das rote Kreuz auf die
Schulter heften ließ, da wallte es heiß über mich, vor den Augen ward es mir
dunkel, und ich wollte eben aus dem Sattel zur Erde gleiten, als mich Herr
Gero mit starker Hand festhielt. Er gab unsern Begleitern und Begleiterinnen
einen Wink und wollte mich rasch aus dem Getümmel entfernen -- ich wäre
ihm, wie ich heute glaube, wahrscheinlich gehorsam gefolgt. Aber vom Linden¬
hügel herab hatten der Hirt und der Mönch wie die altern Pilger den Vor¬
gang ersehen, mit einemmale riefen hundert Stimmen immer lauter, immer
gellender: Gebt Raum, gebt Raum für die Grafeutochter von Themm, die der
Geist Gottes treibt! Und wie nun unser Kaplan ernst die Näherdrängenden
zurückwies und den Rufern vom Hügel den Rücken kehrte, wie er mein Pferd
kräftig am Zügel faßte und unsern Knechten znherrschte, uns mit ihren Sper-
stangen eine Gasse zu schaffen, dn erhob sich im Lager der Pilger und im
gaffenden Volke ein wüstes Getümmel, von alleu Seiten löste es dem armen
geistlichen Herrn entgegen, daß kein Kreuzzugsgelübde durch Gewalt behindert
werden dürfe.

Vergebens schrie Herr Gero den Erbitterten zu, daß Papst Urbans Briefe
nicht von den Unmündigen gesprochen hätten, niemand hörte ihn oder achtete
seiner, mit einemmale drängte sich eine ganze Scharr zwischen sein und mein
Roß, trennte mich von meinen Frauen, hob und trug mich mehr aus dem
Sattel, als daß ich mich aus demselben schwang, und schob mich gegen den
Hügel hin, von dem mir der Mönch und Gottfried der Hirt winkten und der
letztere mir das rote Kreuz entgegenhielt. Vor meinen Augen flirrten die
Sonnenstrahlen und das Kreuz und alles umher, ich wußte nicht mehr, was
ich that. Ich stand plötzlich bei der steinernen Semle und uuter deu Linden,
ich schaute empor -- eine weiße Wolke zog hoch über die grünen Baumkronen
dahin. Mir aber wars, als wehe durch das Gezweig der Schleier der aller-
heiligsten Jungfrau auf mich herab, und ich kniete vor dem Marienbilde nieder
und ließ mir das rote Kreuz auf mein Gewand heften. Betäubendes Jubel¬
geschrei scholl rings umher, die Stimme Herrn Geros schlug ganz von fern noch
einmal mahnend an mein Ohr, gleich darauf hörte ich nichts mehr als die Ge¬
sänge der jugendlichen Pilger und den tausendfältigen Ruf des Volkes: Gott
will es, Gott will es! Ich vernahm viele Tage später von Hedwig, daß der
Kaplnn und alle die Meinen aus Burg Friedewald auf das Gebot des rauhen
Kriegsmannes gewaltsam hinweggetrieben worden waren, der mit den paar
hundert Waffentüchtigen die Leibwache Gottfrieds und das Geleit des Zuges
bildete. Mein Auge sah niemand von ihnen mehr, fremde Gesichter waren um
mich, fremde Stimmen priesen meinen Entschluß, mein Name war auf aller
Lippen, mein Beispiel lockte in der nächsten Stunde zahlreiche Knaben und


Die Lischerin von M^lmnocco.

sah, gewaltsam zu sich hinzogen. Und als ich inne ward, daß Hedwig, die
Försterstochter von Heringen, die meine Gespielin war, sich schluchzend von
ihrer Mutter und ihren Basen losriß und sich das rote Kreuz auf die
Schulter heften ließ, da wallte es heiß über mich, vor den Augen ward es mir
dunkel, und ich wollte eben aus dem Sattel zur Erde gleiten, als mich Herr
Gero mit starker Hand festhielt. Er gab unsern Begleitern und Begleiterinnen
einen Wink und wollte mich rasch aus dem Getümmel entfernen — ich wäre
ihm, wie ich heute glaube, wahrscheinlich gehorsam gefolgt. Aber vom Linden¬
hügel herab hatten der Hirt und der Mönch wie die altern Pilger den Vor¬
gang ersehen, mit einemmale riefen hundert Stimmen immer lauter, immer
gellender: Gebt Raum, gebt Raum für die Grafeutochter von Themm, die der
Geist Gottes treibt! Und wie nun unser Kaplan ernst die Näherdrängenden
zurückwies und den Rufern vom Hügel den Rücken kehrte, wie er mein Pferd
kräftig am Zügel faßte und unsern Knechten znherrschte, uns mit ihren Sper-
stangen eine Gasse zu schaffen, dn erhob sich im Lager der Pilger und im
gaffenden Volke ein wüstes Getümmel, von alleu Seiten löste es dem armen
geistlichen Herrn entgegen, daß kein Kreuzzugsgelübde durch Gewalt behindert
werden dürfe.

Vergebens schrie Herr Gero den Erbitterten zu, daß Papst Urbans Briefe
nicht von den Unmündigen gesprochen hätten, niemand hörte ihn oder achtete
seiner, mit einemmale drängte sich eine ganze Scharr zwischen sein und mein
Roß, trennte mich von meinen Frauen, hob und trug mich mehr aus dem
Sattel, als daß ich mich aus demselben schwang, und schob mich gegen den
Hügel hin, von dem mir der Mönch und Gottfried der Hirt winkten und der
letztere mir das rote Kreuz entgegenhielt. Vor meinen Augen flirrten die
Sonnenstrahlen und das Kreuz und alles umher, ich wußte nicht mehr, was
ich that. Ich stand plötzlich bei der steinernen Semle und uuter deu Linden,
ich schaute empor — eine weiße Wolke zog hoch über die grünen Baumkronen
dahin. Mir aber wars, als wehe durch das Gezweig der Schleier der aller-
heiligsten Jungfrau auf mich herab, und ich kniete vor dem Marienbilde nieder
und ließ mir das rote Kreuz auf mein Gewand heften. Betäubendes Jubel¬
geschrei scholl rings umher, die Stimme Herrn Geros schlug ganz von fern noch
einmal mahnend an mein Ohr, gleich darauf hörte ich nichts mehr als die Ge¬
sänge der jugendlichen Pilger und den tausendfältigen Ruf des Volkes: Gott
will es, Gott will es! Ich vernahm viele Tage später von Hedwig, daß der
Kaplnn und alle die Meinen aus Burg Friedewald auf das Gebot des rauhen
Kriegsmannes gewaltsam hinweggetrieben worden waren, der mit den paar
hundert Waffentüchtigen die Leibwache Gottfrieds und das Geleit des Zuges
bildete. Mein Auge sah niemand von ihnen mehr, fremde Gesichter waren um
mich, fremde Stimmen priesen meinen Entschluß, mein Name war auf aller
Lippen, mein Beispiel lockte in der nächsten Stunde zahlreiche Knaben und


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[0516] Die Lischerin von M^lmnocco. sah, gewaltsam zu sich hinzogen. Und als ich inne ward, daß Hedwig, die Försterstochter von Heringen, die meine Gespielin war, sich schluchzend von ihrer Mutter und ihren Basen losriß und sich das rote Kreuz auf die Schulter heften ließ, da wallte es heiß über mich, vor den Augen ward es mir dunkel, und ich wollte eben aus dem Sattel zur Erde gleiten, als mich Herr Gero mit starker Hand festhielt. Er gab unsern Begleitern und Begleiterinnen einen Wink und wollte mich rasch aus dem Getümmel entfernen — ich wäre ihm, wie ich heute glaube, wahrscheinlich gehorsam gefolgt. Aber vom Linden¬ hügel herab hatten der Hirt und der Mönch wie die altern Pilger den Vor¬ gang ersehen, mit einemmale riefen hundert Stimmen immer lauter, immer gellender: Gebt Raum, gebt Raum für die Grafeutochter von Themm, die der Geist Gottes treibt! Und wie nun unser Kaplan ernst die Näherdrängenden zurückwies und den Rufern vom Hügel den Rücken kehrte, wie er mein Pferd kräftig am Zügel faßte und unsern Knechten znherrschte, uns mit ihren Sper- stangen eine Gasse zu schaffen, dn erhob sich im Lager der Pilger und im gaffenden Volke ein wüstes Getümmel, von alleu Seiten löste es dem armen geistlichen Herrn entgegen, daß kein Kreuzzugsgelübde durch Gewalt behindert werden dürfe. Vergebens schrie Herr Gero den Erbitterten zu, daß Papst Urbans Briefe nicht von den Unmündigen gesprochen hätten, niemand hörte ihn oder achtete seiner, mit einemmale drängte sich eine ganze Scharr zwischen sein und mein Roß, trennte mich von meinen Frauen, hob und trug mich mehr aus dem Sattel, als daß ich mich aus demselben schwang, und schob mich gegen den Hügel hin, von dem mir der Mönch und Gottfried der Hirt winkten und der letztere mir das rote Kreuz entgegenhielt. Vor meinen Augen flirrten die Sonnenstrahlen und das Kreuz und alles umher, ich wußte nicht mehr, was ich that. Ich stand plötzlich bei der steinernen Semle und uuter deu Linden, ich schaute empor — eine weiße Wolke zog hoch über die grünen Baumkronen dahin. Mir aber wars, als wehe durch das Gezweig der Schleier der aller- heiligsten Jungfrau auf mich herab, und ich kniete vor dem Marienbilde nieder und ließ mir das rote Kreuz auf mein Gewand heften. Betäubendes Jubel¬ geschrei scholl rings umher, die Stimme Herrn Geros schlug ganz von fern noch einmal mahnend an mein Ohr, gleich darauf hörte ich nichts mehr als die Ge¬ sänge der jugendlichen Pilger und den tausendfältigen Ruf des Volkes: Gott will es, Gott will es! Ich vernahm viele Tage später von Hedwig, daß der Kaplnn und alle die Meinen aus Burg Friedewald auf das Gebot des rauhen Kriegsmannes gewaltsam hinweggetrieben worden waren, der mit den paar hundert Waffentüchtigen die Leibwache Gottfrieds und das Geleit des Zuges bildete. Mein Auge sah niemand von ihnen mehr, fremde Gesichter waren um mich, fremde Stimmen priesen meinen Entschluß, mein Name war auf aller Lippen, mein Beispiel lockte in der nächsten Stunde zahlreiche Knaben und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/516>, abgerufen am 28.09.2024.