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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Fischerin von Malanwcco.

neben dem Lager aber trieben fahrende Spielleute, Springer und Tänzer ihr
Wesen und ward ein Markt von Eßwaaren, Kleidern und Tand gehalten --
es war ein wildes Durcheinauderwvgeu und ein sinnverwirrender Lärm! Ich
nahm das alles nur undeutlich wahr, denn ich blickte vorwärts, um den Hirten¬
propheten und die gotterfüllten Knaben zu sehen, die an der Spitze der Kinder-
schaaren standen, der Kaplan, der neben mir ritt und sich fleißig umschaute,
schüttelte ein paarmal ernst den Kopf, er schien unzufrieden und besorgt über
alles, was er sah, Hunderte von jugendlichen Stimmen riefen uns von den
Hügeln her entgegen: Gott will es, Gott will es! Herr Gero aber prüfte
scharf die Gesichter, von denen die meisten fieberheiß und doch ermüdet aussahen,
und sagte einmal ums andre ganz vernehmlich: Gott kann es so nicht wollen!
Mich überkam fast ein Grauen vor dem frommen Manne, ich war wie berauscht
von dem Anblick der jungen Kreuzpilger, und meine ganze Seele erfüllte der
Wunsch, mitten unter ihnen zu sein. Ich drängte mein Pferd dichter an die
Seile nud Baumstangen, mit denen sie das Lager von den Schwärmen der
Neugierigen und Lauschenden abgegrenzt hatten, und sah bei helllodernden Feuern
Hunderte rasten, während andre Hunderte sich in die Nähe der Muttergottes¬
säule drängten, auf deren steinernen Stufen der Geishirt stand, welcher die
Schaar vom Harz bis in unsre Thäler geführt hatte. Er war ein Knabe von
fünfzehn Jahren mit blassem, beinahe erdfahlen Gesicht, mit großen hellblauen
Augen, die starr aus ihren Höhlen hervorsahen, mit schlicht hernbhüngendein
blondem Haar, die Gestalt hager und knochig, wie sie bei uns zu Lande oft zu
finden ist. Hätten wir ihn zu andrer Zeit bei seiner Ziegenherde angetroffen,
würden wir wohl kaum nach ihm hingesehen haben. Aber hier, wie er hoch
über allen stand, den Arm um die Säule geschlungen, das wunderthätige Bild
zu seineni Haupt, und wie den blassen Lippen dumpfe Worte entklangen, die wie
Feuerflvcken in die Seele sielen, wie er Alt und Jung zürnend mahnte, daß
das Grab des Heilands nicht länger in unheiligen Händen bleiben dürfe und
Gott durch die Schwachen ein großes Wunder vollbringen wolle, da erschien
er den Aufschauenden lind Lauschenden als ein Gerechter des Herrn. Mir schlug
das Herz wie nie zuvor, ich lechzte nach deu rauhen Worten, die ich in der
fremde" Mundart des Knaben mir halb verstand und bei denen ich doch von
Leid und Sehnsucht und brennendem Eiser, etwas zu thun, erschauerte. Aus
der Meuge traten viele hervor, um aus der Hand des Barfüßers, der neben
Gottfried, dem Hirtenknaben stand, das rote Kreuz zu nehmen und sich zum
Zuge zu geloben. Es waren Kinder und Erwachsene in bunten Gemisch, denn
schon folgten zahlreiche Männer den pilgernden Kinderschaaren, in denen nur
die wenigsten Waffel, tragen konnten. Das alles, Vater Girolamo, habe ich
erst später in leidvollen Tagen wahrgenommen und begriffen, an jenem Pfingst-
morgen zu Frauensee fühlte ich nur, wie mich der Hirt und der Mönch und
die Kinderschaaren mit dem Kreuz, unter denen ich viele Mädchen meines Alters


Die Fischerin von Malanwcco.

neben dem Lager aber trieben fahrende Spielleute, Springer und Tänzer ihr
Wesen und ward ein Markt von Eßwaaren, Kleidern und Tand gehalten —
es war ein wildes Durcheinauderwvgeu und ein sinnverwirrender Lärm! Ich
nahm das alles nur undeutlich wahr, denn ich blickte vorwärts, um den Hirten¬
propheten und die gotterfüllten Knaben zu sehen, die an der Spitze der Kinder-
schaaren standen, der Kaplan, der neben mir ritt und sich fleißig umschaute,
schüttelte ein paarmal ernst den Kopf, er schien unzufrieden und besorgt über
alles, was er sah, Hunderte von jugendlichen Stimmen riefen uns von den
Hügeln her entgegen: Gott will es, Gott will es! Herr Gero aber prüfte
scharf die Gesichter, von denen die meisten fieberheiß und doch ermüdet aussahen,
und sagte einmal ums andre ganz vernehmlich: Gott kann es so nicht wollen!
Mich überkam fast ein Grauen vor dem frommen Manne, ich war wie berauscht
von dem Anblick der jungen Kreuzpilger, und meine ganze Seele erfüllte der
Wunsch, mitten unter ihnen zu sein. Ich drängte mein Pferd dichter an die
Seile nud Baumstangen, mit denen sie das Lager von den Schwärmen der
Neugierigen und Lauschenden abgegrenzt hatten, und sah bei helllodernden Feuern
Hunderte rasten, während andre Hunderte sich in die Nähe der Muttergottes¬
säule drängten, auf deren steinernen Stufen der Geishirt stand, welcher die
Schaar vom Harz bis in unsre Thäler geführt hatte. Er war ein Knabe von
fünfzehn Jahren mit blassem, beinahe erdfahlen Gesicht, mit großen hellblauen
Augen, die starr aus ihren Höhlen hervorsahen, mit schlicht hernbhüngendein
blondem Haar, die Gestalt hager und knochig, wie sie bei uns zu Lande oft zu
finden ist. Hätten wir ihn zu andrer Zeit bei seiner Ziegenherde angetroffen,
würden wir wohl kaum nach ihm hingesehen haben. Aber hier, wie er hoch
über allen stand, den Arm um die Säule geschlungen, das wunderthätige Bild
zu seineni Haupt, und wie den blassen Lippen dumpfe Worte entklangen, die wie
Feuerflvcken in die Seele sielen, wie er Alt und Jung zürnend mahnte, daß
das Grab des Heilands nicht länger in unheiligen Händen bleiben dürfe und
Gott durch die Schwachen ein großes Wunder vollbringen wolle, da erschien
er den Aufschauenden lind Lauschenden als ein Gerechter des Herrn. Mir schlug
das Herz wie nie zuvor, ich lechzte nach deu rauhen Worten, die ich in der
fremde» Mundart des Knaben mir halb verstand und bei denen ich doch von
Leid und Sehnsucht und brennendem Eiser, etwas zu thun, erschauerte. Aus
der Meuge traten viele hervor, um aus der Hand des Barfüßers, der neben
Gottfried, dem Hirtenknaben stand, das rote Kreuz zu nehmen und sich zum
Zuge zu geloben. Es waren Kinder und Erwachsene in bunten Gemisch, denn
schon folgten zahlreiche Männer den pilgernden Kinderschaaren, in denen nur
die wenigsten Waffel, tragen konnten. Das alles, Vater Girolamo, habe ich
erst später in leidvollen Tagen wahrgenommen und begriffen, an jenem Pfingst-
morgen zu Frauensee fühlte ich nur, wie mich der Hirt und der Mönch und
die Kinderschaaren mit dem Kreuz, unter denen ich viele Mädchen meines Alters


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/515>, abgerufen am 28.09.2024.