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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Fischern, von Mcilamocco,

durch sündhafte Männer befreit würden, darum hauche er schwachen Kindern
seinen Odem ein. Auch in Frankreich sei ein junger Prophet erstanden und ein
andrer am Rhein, die Schaaren aber, welche der Geishirt vom Brockenfeld
führe, würden ihren Weg durch unsre Thäler nehmen!

Wie mir bei solcher Kunde das Herz schlug und das Blut wallte, Vater
Girolamo -- ich kanns noch heute nachfühlen! Vor dem Kaplan und dem
alten Hausmeister, vor meinen Frauen und allen Mädchen erzählten die Kntten-
brüder ihre Mär -- mir aber war, als hätten sie nur für mich geredet, und
ich mußte im Hause wie im Walde an die Kreuzpredigt des Hirtenknaben denken,
ich hörte sie im Traum an mein Ohr schallen und sehnte mich, sie im Wachen
zu vernehmen. Halbe Tage laug stand ich draußen ans dem hölzernen Ausbau
der Kemenate, der hoch über dem Waldthal hing, und sah über die Buchenhügel
gen Norden, von woher die Schaaren der jungen Pilger kommen mußten. Zogen
dann über den Frühlingshimmel die bunten Wolken südwärts, so schaute ich
ihnen nach und sah Schiffe mit Fahnen und Kreuzer, die durchs blaue Meer
nach dem heiligen Lande schwammen. Jeder Tag, der verstrich, ohne die Kinder-
krenzfahrer zu uns zu bringen, dünkte mich ein Verlorner, immer heftiger faßte
mich das Verlangen nach der Ferne, ich mußte früh und spät um das Wunder
denken, daß der Herr die Kinder berufen habe, und sann nach, ob der Ruf auch
an mich ergehen würde. Und so kam der Pfingstmorgen, an dem die pilgernden
Kinderschaaren durch das Thal des Flusses Werra wenige Stunden von unsrer
Burg Friedewald zogen und unter den alten Linden von Frauensee lagerten.
Da litt es mich nicht länger in Gemach und Haus, nicht länger in nnserm
Walde. Flehentlich drängte ich alle, welche zu meinem Schutze befohlen waren,
mit mir den wunderbaren Zug zu schauen, und unglückselig wiegte ich mich im
Sattel, als wir nach Frnuensee aufbrachen. Ich warf keinen Blick nach dem
Thore und den Mauern zurück, die jetzt so oft vor meinen Augen stehen und
die ich in schlaflosen Nächten durch das Dunkel unsrer Hütte sehe. Wir ritten
durch den thaufrischen Wald, und Herr Gero, der Kaplan, stimmte den Lob¬
gesang zu Ehren des heiligen Geistes um -- in meinem Herzen aber waren
weder Andacht noch Pfingstmorgenstille, nur Unruhe, Neugier und wilde Er¬
wartung dessen, was kommen würde! Ich lechzte nach dem Anblick der bunten
Schaaren und wußte doch, daß es mich schon jetzt trieb, mit ihnen zu ziehen!
So kamen wir nach den Lindenhügeln beim Muttergottesbilde von Frauensee
und teilten mit unserm reisigen Zuge die Menschenmassen, welche das Lager
der pilgernden Kinder umgaben. Die Bauern und Eigenleute aus dem ganzen
Gau waren herzugcströmt, wohl an zehntausend Männer und Frauen blickten
auf das wundersame Schauspiel. Viele hatten Lastwagen und Saumrossc,
Tragen und Korbe mit sich gebracht, um dem frommen jugendlichen Heere
Levensmittel zuzuführen. Die Reicheren spendeten Geld und Schmuckgegen-
stände, auch Waffen und Decken, Pferde und Maultiere wurden geschenkt, dicht


Die Fischern, von Mcilamocco,

durch sündhafte Männer befreit würden, darum hauche er schwachen Kindern
seinen Odem ein. Auch in Frankreich sei ein junger Prophet erstanden und ein
andrer am Rhein, die Schaaren aber, welche der Geishirt vom Brockenfeld
führe, würden ihren Weg durch unsre Thäler nehmen!

Wie mir bei solcher Kunde das Herz schlug und das Blut wallte, Vater
Girolamo — ich kanns noch heute nachfühlen! Vor dem Kaplan und dem
alten Hausmeister, vor meinen Frauen und allen Mädchen erzählten die Kntten-
brüder ihre Mär — mir aber war, als hätten sie nur für mich geredet, und
ich mußte im Hause wie im Walde an die Kreuzpredigt des Hirtenknaben denken,
ich hörte sie im Traum an mein Ohr schallen und sehnte mich, sie im Wachen
zu vernehmen. Halbe Tage laug stand ich draußen ans dem hölzernen Ausbau
der Kemenate, der hoch über dem Waldthal hing, und sah über die Buchenhügel
gen Norden, von woher die Schaaren der jungen Pilger kommen mußten. Zogen
dann über den Frühlingshimmel die bunten Wolken südwärts, so schaute ich
ihnen nach und sah Schiffe mit Fahnen und Kreuzer, die durchs blaue Meer
nach dem heiligen Lande schwammen. Jeder Tag, der verstrich, ohne die Kinder-
krenzfahrer zu uns zu bringen, dünkte mich ein Verlorner, immer heftiger faßte
mich das Verlangen nach der Ferne, ich mußte früh und spät um das Wunder
denken, daß der Herr die Kinder berufen habe, und sann nach, ob der Ruf auch
an mich ergehen würde. Und so kam der Pfingstmorgen, an dem die pilgernden
Kinderschaaren durch das Thal des Flusses Werra wenige Stunden von unsrer
Burg Friedewald zogen und unter den alten Linden von Frauensee lagerten.
Da litt es mich nicht länger in Gemach und Haus, nicht länger in nnserm
Walde. Flehentlich drängte ich alle, welche zu meinem Schutze befohlen waren,
mit mir den wunderbaren Zug zu schauen, und unglückselig wiegte ich mich im
Sattel, als wir nach Frnuensee aufbrachen. Ich warf keinen Blick nach dem
Thore und den Mauern zurück, die jetzt so oft vor meinen Augen stehen und
die ich in schlaflosen Nächten durch das Dunkel unsrer Hütte sehe. Wir ritten
durch den thaufrischen Wald, und Herr Gero, der Kaplan, stimmte den Lob¬
gesang zu Ehren des heiligen Geistes um — in meinem Herzen aber waren
weder Andacht noch Pfingstmorgenstille, nur Unruhe, Neugier und wilde Er¬
wartung dessen, was kommen würde! Ich lechzte nach dem Anblick der bunten
Schaaren und wußte doch, daß es mich schon jetzt trieb, mit ihnen zu ziehen!
So kamen wir nach den Lindenhügeln beim Muttergottesbilde von Frauensee
und teilten mit unserm reisigen Zuge die Menschenmassen, welche das Lager
der pilgernden Kinder umgaben. Die Bauern und Eigenleute aus dem ganzen
Gau waren herzugcströmt, wohl an zehntausend Männer und Frauen blickten
auf das wundersame Schauspiel. Viele hatten Lastwagen und Saumrossc,
Tragen und Korbe mit sich gebracht, um dem frommen jugendlichen Heere
Levensmittel zuzuführen. Die Reicheren spendeten Geld und Schmuckgegen-
stände, auch Waffen und Decken, Pferde und Maultiere wurden geschenkt, dicht


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[0514] Die Fischern, von Mcilamocco, durch sündhafte Männer befreit würden, darum hauche er schwachen Kindern seinen Odem ein. Auch in Frankreich sei ein junger Prophet erstanden und ein andrer am Rhein, die Schaaren aber, welche der Geishirt vom Brockenfeld führe, würden ihren Weg durch unsre Thäler nehmen! Wie mir bei solcher Kunde das Herz schlug und das Blut wallte, Vater Girolamo — ich kanns noch heute nachfühlen! Vor dem Kaplan und dem alten Hausmeister, vor meinen Frauen und allen Mädchen erzählten die Kntten- brüder ihre Mär — mir aber war, als hätten sie nur für mich geredet, und ich mußte im Hause wie im Walde an die Kreuzpredigt des Hirtenknaben denken, ich hörte sie im Traum an mein Ohr schallen und sehnte mich, sie im Wachen zu vernehmen. Halbe Tage laug stand ich draußen ans dem hölzernen Ausbau der Kemenate, der hoch über dem Waldthal hing, und sah über die Buchenhügel gen Norden, von woher die Schaaren der jungen Pilger kommen mußten. Zogen dann über den Frühlingshimmel die bunten Wolken südwärts, so schaute ich ihnen nach und sah Schiffe mit Fahnen und Kreuzer, die durchs blaue Meer nach dem heiligen Lande schwammen. Jeder Tag, der verstrich, ohne die Kinder- krenzfahrer zu uns zu bringen, dünkte mich ein Verlorner, immer heftiger faßte mich das Verlangen nach der Ferne, ich mußte früh und spät um das Wunder denken, daß der Herr die Kinder berufen habe, und sann nach, ob der Ruf auch an mich ergehen würde. Und so kam der Pfingstmorgen, an dem die pilgernden Kinderschaaren durch das Thal des Flusses Werra wenige Stunden von unsrer Burg Friedewald zogen und unter den alten Linden von Frauensee lagerten. Da litt es mich nicht länger in Gemach und Haus, nicht länger in nnserm Walde. Flehentlich drängte ich alle, welche zu meinem Schutze befohlen waren, mit mir den wunderbaren Zug zu schauen, und unglückselig wiegte ich mich im Sattel, als wir nach Frnuensee aufbrachen. Ich warf keinen Blick nach dem Thore und den Mauern zurück, die jetzt so oft vor meinen Augen stehen und die ich in schlaflosen Nächten durch das Dunkel unsrer Hütte sehe. Wir ritten durch den thaufrischen Wald, und Herr Gero, der Kaplan, stimmte den Lob¬ gesang zu Ehren des heiligen Geistes um — in meinem Herzen aber waren weder Andacht noch Pfingstmorgenstille, nur Unruhe, Neugier und wilde Er¬ wartung dessen, was kommen würde! Ich lechzte nach dem Anblick der bunten Schaaren und wußte doch, daß es mich schon jetzt trieb, mit ihnen zu ziehen! So kamen wir nach den Lindenhügeln beim Muttergottesbilde von Frauensee und teilten mit unserm reisigen Zuge die Menschenmassen, welche das Lager der pilgernden Kinder umgaben. Die Bauern und Eigenleute aus dem ganzen Gau waren herzugcströmt, wohl an zehntausend Männer und Frauen blickten auf das wundersame Schauspiel. Viele hatten Lastwagen und Saumrossc, Tragen und Korbe mit sich gebracht, um dem frommen jugendlichen Heere Levensmittel zuzuführen. Die Reicheren spendeten Geld und Schmuckgegen- stände, auch Waffen und Decken, Pferde und Maultiere wurden geschenkt, dicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/514>, abgerufen am 29.06.2024.