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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Fischerin von Mcilamocco.

die Wellen endlich rauschten. Wenn wir ein paarmal des Jahres zu einer
Klosterkirche ritten, sah ich von meinem weißen Pferde umher, als könne sich
hinter jedem Baum ein Wunder nufthun, so traumhaft sehnsüchtig verlangte
mich etwas von der Welt zu sehen und zu erfahren. Kamen fahrende Leute
zur Burg und durften in der Halle singen lind sagen, so schlüpfte ich oft, ohne
daß meine Pflegerinnen es wußten, hinab, um etwas von ihren Liedern zu hören.
Dn wars, als ob sich die Wälder unter uns teilten und als ob ich endlos weit
hinausschauen könne. Wem, die Spielleute von deu weiten blauen Wassern und
dem schimmernden heilige,, Lande saugen, mit seinen Städten und stolzen
Schlössern, wenn sie die frommen Pilger mit dem roten Kreuz priesen, welche
durch dieselben Thale zögen, in denen der Erlöser lind die heilige Jungfrau
gewandelt, da faßte minds wild um, als ob ich das alles dereinst sehen und
leben müsse. Ich träumte mich weit, weit hinweg und barg mich doch noch am
gleichen Tage umso tiefer zwischen den grünen Büschen, die ich mir zur Laube
geflochten. Mir wars dann, als ob ich im Schatten gefangen säße, ich wollte
hinaus in den lichten Sonnenschein und dachte in meiner thörichten Sehnsucht
nicht daran, daß mir die Sonne einmal zu heiß werden könne. So reihten sich
Tage an Tage, der Sommer ward zum Winter und der Winter wieder zum
Sommer, ich wuchs heran und das unruhige Blut meines Großvaters, des
Grafen von Henneberg, der fünfmal zum heiligen Lande gefahren ist, regte sich
in mir. Und nun kam der letzte Frühling, den ich im guten Schutz des Hauses
Friedewald verlebte. Am Sonnabend vor dem heiligen Ostertage ritt mein Vater
mit allen ritterlichen Vasallen und jungen Knechten nordwärts zum großen Hof-
tage König Ottos in Goslar. Er rief mich zum Abschied in die untere Halle
der Burg, vor deren Thürstiegeu bereits die gerüsteten Rosse hielten, und ich
reichte ihm den Mund zum Kuß ohne Gedanken, daß es zum letztenmale sein
solle. Denn kindisch bang war mir immer zu Mute gewesen, wenn mein Vater
die Burg verließ, lind obschon ich ihn selten auf länger als eine Stunde sah,
fühlte ich mich doch nur ganz wohl, wenn ich ihn daheim wußte. Er sprach
zuletzt noch ein Wort, daß er bei seiner Rückkehr daran denken wolle, mich nach
Satzungen zu geleiten, und hinterließ mir damit eine dumpfe Furcht vor dem
kommenden Leben und viel Unruhe, die in dem stillen Hause wuchs, wie die
Tage länger und länger wurden. So schwer war mirs nie geworden, am Spinnrad
oder bei einer kunstreiche" Arbeit zu sitzen, als in jenem Mai. Und dazu schlug
zwischeu Ostern und Pfingsten wunderbare Kunde an das Ohr von uns Ein¬
samen. Wandernde Mönche, die vom Eichsfeld kamen, verkündeten in Schlössern
und Dörfern, daß der Herr ein großes Gnadenwerk gethan und die Schwachen
und Unmündigen erweckt habe. Ein Hirtenknabe vom Harz sei aufgestanden
und predige das Kreuz, und zarte Kiuder, Knaben und Mädchen, die plötzlich
Gottes Stärke in sich fühlten, hätten sich ihm zu Tausenden angeschlossen.
Der Allmächtige wolle nicht ferner, daß das heilige Grab und das heilige Land


Die Fischerin von Mcilamocco.

die Wellen endlich rauschten. Wenn wir ein paarmal des Jahres zu einer
Klosterkirche ritten, sah ich von meinem weißen Pferde umher, als könne sich
hinter jedem Baum ein Wunder nufthun, so traumhaft sehnsüchtig verlangte
mich etwas von der Welt zu sehen und zu erfahren. Kamen fahrende Leute
zur Burg und durften in der Halle singen lind sagen, so schlüpfte ich oft, ohne
daß meine Pflegerinnen es wußten, hinab, um etwas von ihren Liedern zu hören.
Dn wars, als ob sich die Wälder unter uns teilten und als ob ich endlos weit
hinausschauen könne. Wem, die Spielleute von deu weiten blauen Wassern und
dem schimmernden heilige,, Lande saugen, mit seinen Städten und stolzen
Schlössern, wenn sie die frommen Pilger mit dem roten Kreuz priesen, welche
durch dieselben Thale zögen, in denen der Erlöser lind die heilige Jungfrau
gewandelt, da faßte minds wild um, als ob ich das alles dereinst sehen und
leben müsse. Ich träumte mich weit, weit hinweg und barg mich doch noch am
gleichen Tage umso tiefer zwischen den grünen Büschen, die ich mir zur Laube
geflochten. Mir wars dann, als ob ich im Schatten gefangen säße, ich wollte
hinaus in den lichten Sonnenschein und dachte in meiner thörichten Sehnsucht
nicht daran, daß mir die Sonne einmal zu heiß werden könne. So reihten sich
Tage an Tage, der Sommer ward zum Winter und der Winter wieder zum
Sommer, ich wuchs heran und das unruhige Blut meines Großvaters, des
Grafen von Henneberg, der fünfmal zum heiligen Lande gefahren ist, regte sich
in mir. Und nun kam der letzte Frühling, den ich im guten Schutz des Hauses
Friedewald verlebte. Am Sonnabend vor dem heiligen Ostertage ritt mein Vater
mit allen ritterlichen Vasallen und jungen Knechten nordwärts zum großen Hof-
tage König Ottos in Goslar. Er rief mich zum Abschied in die untere Halle
der Burg, vor deren Thürstiegeu bereits die gerüsteten Rosse hielten, und ich
reichte ihm den Mund zum Kuß ohne Gedanken, daß es zum letztenmale sein
solle. Denn kindisch bang war mir immer zu Mute gewesen, wenn mein Vater
die Burg verließ, lind obschon ich ihn selten auf länger als eine Stunde sah,
fühlte ich mich doch nur ganz wohl, wenn ich ihn daheim wußte. Er sprach
zuletzt noch ein Wort, daß er bei seiner Rückkehr daran denken wolle, mich nach
Satzungen zu geleiten, und hinterließ mir damit eine dumpfe Furcht vor dem
kommenden Leben und viel Unruhe, die in dem stillen Hause wuchs, wie die
Tage länger und länger wurden. So schwer war mirs nie geworden, am Spinnrad
oder bei einer kunstreiche» Arbeit zu sitzen, als in jenem Mai. Und dazu schlug
zwischeu Ostern und Pfingsten wunderbare Kunde an das Ohr von uns Ein¬
samen. Wandernde Mönche, die vom Eichsfeld kamen, verkündeten in Schlössern
und Dörfern, daß der Herr ein großes Gnadenwerk gethan und die Schwachen
und Unmündigen erweckt habe. Ein Hirtenknabe vom Harz sei aufgestanden
und predige das Kreuz, und zarte Kiuder, Knaben und Mädchen, die plötzlich
Gottes Stärke in sich fühlten, hätten sich ihm zu Tausenden angeschlossen.
Der Allmächtige wolle nicht ferner, daß das heilige Grab und das heilige Land


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[0513] Die Fischerin von Mcilamocco. die Wellen endlich rauschten. Wenn wir ein paarmal des Jahres zu einer Klosterkirche ritten, sah ich von meinem weißen Pferde umher, als könne sich hinter jedem Baum ein Wunder nufthun, so traumhaft sehnsüchtig verlangte mich etwas von der Welt zu sehen und zu erfahren. Kamen fahrende Leute zur Burg und durften in der Halle singen lind sagen, so schlüpfte ich oft, ohne daß meine Pflegerinnen es wußten, hinab, um etwas von ihren Liedern zu hören. Dn wars, als ob sich die Wälder unter uns teilten und als ob ich endlos weit hinausschauen könne. Wem, die Spielleute von deu weiten blauen Wassern und dem schimmernden heilige,, Lande saugen, mit seinen Städten und stolzen Schlössern, wenn sie die frommen Pilger mit dem roten Kreuz priesen, welche durch dieselben Thale zögen, in denen der Erlöser lind die heilige Jungfrau gewandelt, da faßte minds wild um, als ob ich das alles dereinst sehen und leben müsse. Ich träumte mich weit, weit hinweg und barg mich doch noch am gleichen Tage umso tiefer zwischen den grünen Büschen, die ich mir zur Laube geflochten. Mir wars dann, als ob ich im Schatten gefangen säße, ich wollte hinaus in den lichten Sonnenschein und dachte in meiner thörichten Sehnsucht nicht daran, daß mir die Sonne einmal zu heiß werden könne. So reihten sich Tage an Tage, der Sommer ward zum Winter und der Winter wieder zum Sommer, ich wuchs heran und das unruhige Blut meines Großvaters, des Grafen von Henneberg, der fünfmal zum heiligen Lande gefahren ist, regte sich in mir. Und nun kam der letzte Frühling, den ich im guten Schutz des Hauses Friedewald verlebte. Am Sonnabend vor dem heiligen Ostertage ritt mein Vater mit allen ritterlichen Vasallen und jungen Knechten nordwärts zum großen Hof- tage König Ottos in Goslar. Er rief mich zum Abschied in die untere Halle der Burg, vor deren Thürstiegeu bereits die gerüsteten Rosse hielten, und ich reichte ihm den Mund zum Kuß ohne Gedanken, daß es zum letztenmale sein solle. Denn kindisch bang war mir immer zu Mute gewesen, wenn mein Vater die Burg verließ, lind obschon ich ihn selten auf länger als eine Stunde sah, fühlte ich mich doch nur ganz wohl, wenn ich ihn daheim wußte. Er sprach zuletzt noch ein Wort, daß er bei seiner Rückkehr daran denken wolle, mich nach Satzungen zu geleiten, und hinterließ mir damit eine dumpfe Furcht vor dem kommenden Leben und viel Unruhe, die in dem stillen Hause wuchs, wie die Tage länger und länger wurden. So schwer war mirs nie geworden, am Spinnrad oder bei einer kunstreiche» Arbeit zu sitzen, als in jenem Mai. Und dazu schlug zwischeu Ostern und Pfingsten wunderbare Kunde an das Ohr von uns Ein¬ samen. Wandernde Mönche, die vom Eichsfeld kamen, verkündeten in Schlössern und Dörfern, daß der Herr ein großes Gnadenwerk gethan und die Schwachen und Unmündigen erweckt habe. Ein Hirtenknabe vom Harz sei aufgestanden und predige das Kreuz, und zarte Kiuder, Knaben und Mädchen, die plötzlich Gottes Stärke in sich fühlten, hätten sich ihm zu Tausenden angeschlossen. Der Allmächtige wolle nicht ferner, daß das heilige Grab und das heilige Land

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/513>, abgerufen am 29.06.2024.