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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Fischen" von lllalamocco.

seinem beqnenceu Rohrsessel und that der Kommenden einen Schritt entgegen,
indem er das Zeichen des Kreuzes über sie machte und mit besorgtem Tone anhob:

Was treibt dich heute zu mir, meine Tochter? Der Tag ist drückend heiß,
und dein Rückweg wird nicht lieblich sein.

Nein, Herr! antwortete Margheritn schlicht. Aber ich wußte nicht, wie
ich den Tag ohne Euern Beistand überwinden sollte, ich mußte zu Euch, damit
ich nicht verginge in thörichter Sehnsucht und sündlicher Angst!

Wie verstehe ich deine Worte, Margherita? fragte Pater Girolamo. Hast
dn Streit bekommen mit deinem Gatten oder mit deinem Vater Marco? Ich
habe dich treu gewarnt, meine Tochter, und dir empfohlen, schweigsam und unter¬
würfig zu sein, wie es deine Lage fordert und wie es auch Gottes Gebot ist --
hättest du das vergessen?

Nein, mein Vater, ich habe es treu bewahrt, entgegnete Margherita ruhig.
Streit gab es uicht, und die harten, bittern Worte, die Tonlos Vater mir täglich
zu Teil werden läßt, suche ich zu tragen, obschon mir ist, als würde ich bald
einmal unter der Last niedersinken. Ich bin gekommen, Euern Rat zu erbitten
und Euch mein Herz zu offnen. Ich weiß jedoch nicht, wie ich das thun muß,
ob Ihr meint, es sei eine Beichte oder ob ich hier zu Euch sprechen darf.

Zuerst sollst du dich setzen, Margherita, und eine Schale von dieser Milch
nehmen, rief Pater Girolamo. Dann sollst du wissen, daß nur das gebeichtet
werdeu muß, von dem du selbst fühlst, daß es eine Sünde sei. Was du mir
sonst vertrauen willst, darfst du hier sagen, und ich will dir Rat geben, sogut
ich vermag!

Meine Ihr, daß es eine Sünde sei, wenn ein Mensch Tag und Nacht sinnt,
ob er ohne Erbarmen bleiben muß, was er jetzt ist, und ob er nie zurückge¬
winnen kann, was er einstmals verloren hat? fragte Margherita mit einem eigen¬
tümlich zitternden Klang in ihrer Stimme. Sie sah dabei den Pfarrer so flehent¬
lich an, daß Girolamo ernstlich besorgt ward und sich im Stillen fragte, ob die
Fischersfrau nicht irre spreche. Doch fiel ihm gleich darauf ein, daß er über
Margherita nichts näheres wisse, als daß der alte Marco die Schiffbrüchige
einst am Strande nnfgenommen habe, und daß sie jetzt das Weib Mareantonios
sei. Er erriet, daß sich die erregte Frage auf die Vergangenheit des jungen
Weibes beziehen müsse, und entgegnete ernster als vorhin:

Auch das Grübeln über verwichenes Leid, welches der Herr über uns ver¬
hängt hat, kann zur Sünde werden, Margherita! Ich habe mir schon sagen
lassen, daß du oft an das ferne Land denkst, aus dem du auf der Kreuzfahrt
hierher gekommen und um die Deinen klagst, die, wen" Gott ihren Seelen gnädig
war, schon eingegangen sind zur ewigen Herrlichkeit. Wenn du dnrau zweifelst,
so bete fleißig für sie, aber laß um deines Mannes willen unnütze Wehklage und
müssige Träume.


Die Fischen» von lllalamocco.

seinem beqnenceu Rohrsessel und that der Kommenden einen Schritt entgegen,
indem er das Zeichen des Kreuzes über sie machte und mit besorgtem Tone anhob:

Was treibt dich heute zu mir, meine Tochter? Der Tag ist drückend heiß,
und dein Rückweg wird nicht lieblich sein.

Nein, Herr! antwortete Margheritn schlicht. Aber ich wußte nicht, wie
ich den Tag ohne Euern Beistand überwinden sollte, ich mußte zu Euch, damit
ich nicht verginge in thörichter Sehnsucht und sündlicher Angst!

Wie verstehe ich deine Worte, Margherita? fragte Pater Girolamo. Hast
dn Streit bekommen mit deinem Gatten oder mit deinem Vater Marco? Ich
habe dich treu gewarnt, meine Tochter, und dir empfohlen, schweigsam und unter¬
würfig zu sein, wie es deine Lage fordert und wie es auch Gottes Gebot ist —
hättest du das vergessen?

Nein, mein Vater, ich habe es treu bewahrt, entgegnete Margherita ruhig.
Streit gab es uicht, und die harten, bittern Worte, die Tonlos Vater mir täglich
zu Teil werden läßt, suche ich zu tragen, obschon mir ist, als würde ich bald
einmal unter der Last niedersinken. Ich bin gekommen, Euern Rat zu erbitten
und Euch mein Herz zu offnen. Ich weiß jedoch nicht, wie ich das thun muß,
ob Ihr meint, es sei eine Beichte oder ob ich hier zu Euch sprechen darf.

Zuerst sollst du dich setzen, Margherita, und eine Schale von dieser Milch
nehmen, rief Pater Girolamo. Dann sollst du wissen, daß nur das gebeichtet
werdeu muß, von dem du selbst fühlst, daß es eine Sünde sei. Was du mir
sonst vertrauen willst, darfst du hier sagen, und ich will dir Rat geben, sogut
ich vermag!

Meine Ihr, daß es eine Sünde sei, wenn ein Mensch Tag und Nacht sinnt,
ob er ohne Erbarmen bleiben muß, was er jetzt ist, und ob er nie zurückge¬
winnen kann, was er einstmals verloren hat? fragte Margherita mit einem eigen¬
tümlich zitternden Klang in ihrer Stimme. Sie sah dabei den Pfarrer so flehent¬
lich an, daß Girolamo ernstlich besorgt ward und sich im Stillen fragte, ob die
Fischersfrau nicht irre spreche. Doch fiel ihm gleich darauf ein, daß er über
Margherita nichts näheres wisse, als daß der alte Marco die Schiffbrüchige
einst am Strande nnfgenommen habe, und daß sie jetzt das Weib Mareantonios
sei. Er erriet, daß sich die erregte Frage auf die Vergangenheit des jungen
Weibes beziehen müsse, und entgegnete ernster als vorhin:

Auch das Grübeln über verwichenes Leid, welches der Herr über uns ver¬
hängt hat, kann zur Sünde werden, Margherita! Ich habe mir schon sagen
lassen, daß du oft an das ferne Land denkst, aus dem du auf der Kreuzfahrt
hierher gekommen und um die Deinen klagst, die, wen« Gott ihren Seelen gnädig
war, schon eingegangen sind zur ewigen Herrlichkeit. Wenn du dnrau zweifelst,
so bete fleißig für sie, aber laß um deines Mannes willen unnütze Wehklage und
müssige Träume.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/510>, abgerufen am 29.06.2024.