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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Fischerin von Malamcicco.

Wäre es wirklich Sünde, sich heimwärts zu sehnen und seines Vaters
Antlitz noch einmal schauen zu wollen? fragte Margherita. Es muß heraus,
ehrwürdiger Vater, was ich Euch alleu hier verschwiegen und heimlich mit mir
getragen habe. Die Meinen sind nicht in dem Sturme untergegangen, bei dem
mich Vater Marco rettete. Meine Mutter ist tot, sie starb, da ich ein sechs¬
jährig Kind war, und lange ehe ich meine Heimat verließ und verlor. Ich weiß
auch nicht, ob mein Vater daheim noch lebt, aber mein Herz spricht, daß er
noch am Leben sei und manchmal auch Sehnsucht nach seinem Kinde habe, trotz
des schweren Herzeleides, welches die Ungeratne ihm angethan!

Margherita hatte die ersten -Worte, hart mit sich kämpfend, fast tonlos ge¬
sprochen, ehe sie zu Ende kam, überwältigte sie verhaltne Sehnsucht und Reue,
und heiße, bittre Thräne" rannen über das bleiche Gesicht. Pater Girolamo
hatte sein Frühstück unwillkürlich weit von sich geschoben, war aufgestanden und
Margherita ganz nahe getreten. Auf seinen Zügen malte sich jetzt ein banges
Staunen, seiue Augen waren weit geöffnet, um die Lippen zuckte es von stra¬
fenden Worten, die gleichwohl nicht laut wurden und in einem schmerzlichen
Ausruf des Namens der jungen Frau untergingen. Dabei verleugnete sich die
Gutmütigkeit des greisen Priesters so wenig, daß er die Wankende sorglich auf
den Schemel niederdrückte, neben dem sie bisher gestanden hatte, und geduldig
abwartete, bis der erste Thränenstrom versiegt war. Margherita besann sich
nach einigen Augenblicken, wozu sie hier sei, und gewann die Sprache zurück.
Aber ihr Haupt blieb gesenkt, als wage sie nicht, dem Beichtvater in die Augen
zu sehen, und ihre Stimme klang so traurig gedämpft, daß Pater Girolamo
nicht auf seinen bequemen Sitz zurückkehrte, sondern sich über sie beugen mußte,
um sie zu verstehen.

Ihr werdet mich für eine Heuchlerin halten, Vater Girolamo, daß ich so
manches Jahr selbst Euch verschwiege" habe, was Ihr heute hören sollt. Auch
habe ich vielmals, wenn ich zu Euch kam oder Ihr einmal in unsrer Hütte
rastetet, mein Herz vor Euch erleichtern wollen. Und dann war mirs doch
wieder, als sei das Einzige, womit ich meinem armen Vater noch kindlichen
Gehorsam und kindlichen Dank erweisen könnte, daß ich stumm bliebe wie das
Grab. Mein Vater ist der Graf von Thann, dessen Banner auf mehr als
zwanzig großen Burgen im Buchenlande und am Thüringerwalde steht und der
reiches Land vom Landgrafen zu Eisenach und vom Abt zu Fulda zu Lehn
trägt. Ich war sein einziges Kind und verlor früh die Mutter, die mein
ritterlicher Vater aus dem großen Hause der Henneberger heimgeführt hatte
und der er so treu auch nach dem Tode ergeben blieb, daß keine zweite Gemahlin
in sein Haus zog, so lange ich als Kind in den Burgen zu Heringen und
Friedewald gespielt habe. Denn Ihr müßt wissen, Vater, daß ich in den tiefen
grünen Buchenwäldern an der Werra zwölfmal meinen Namenstag wiederkehren
sah, ehe mich eine unselige Zeit für immer von ihnen schied und mich hierher


Die Fischerin von Malamcicco.

Wäre es wirklich Sünde, sich heimwärts zu sehnen und seines Vaters
Antlitz noch einmal schauen zu wollen? fragte Margherita. Es muß heraus,
ehrwürdiger Vater, was ich Euch alleu hier verschwiegen und heimlich mit mir
getragen habe. Die Meinen sind nicht in dem Sturme untergegangen, bei dem
mich Vater Marco rettete. Meine Mutter ist tot, sie starb, da ich ein sechs¬
jährig Kind war, und lange ehe ich meine Heimat verließ und verlor. Ich weiß
auch nicht, ob mein Vater daheim noch lebt, aber mein Herz spricht, daß er
noch am Leben sei und manchmal auch Sehnsucht nach seinem Kinde habe, trotz
des schweren Herzeleides, welches die Ungeratne ihm angethan!

Margherita hatte die ersten -Worte, hart mit sich kämpfend, fast tonlos ge¬
sprochen, ehe sie zu Ende kam, überwältigte sie verhaltne Sehnsucht und Reue,
und heiße, bittre Thräne« rannen über das bleiche Gesicht. Pater Girolamo
hatte sein Frühstück unwillkürlich weit von sich geschoben, war aufgestanden und
Margherita ganz nahe getreten. Auf seinen Zügen malte sich jetzt ein banges
Staunen, seiue Augen waren weit geöffnet, um die Lippen zuckte es von stra¬
fenden Worten, die gleichwohl nicht laut wurden und in einem schmerzlichen
Ausruf des Namens der jungen Frau untergingen. Dabei verleugnete sich die
Gutmütigkeit des greisen Priesters so wenig, daß er die Wankende sorglich auf
den Schemel niederdrückte, neben dem sie bisher gestanden hatte, und geduldig
abwartete, bis der erste Thränenstrom versiegt war. Margherita besann sich
nach einigen Augenblicken, wozu sie hier sei, und gewann die Sprache zurück.
Aber ihr Haupt blieb gesenkt, als wage sie nicht, dem Beichtvater in die Augen
zu sehen, und ihre Stimme klang so traurig gedämpft, daß Pater Girolamo
nicht auf seinen bequemen Sitz zurückkehrte, sondern sich über sie beugen mußte,
um sie zu verstehen.

Ihr werdet mich für eine Heuchlerin halten, Vater Girolamo, daß ich so
manches Jahr selbst Euch verschwiege» habe, was Ihr heute hören sollt. Auch
habe ich vielmals, wenn ich zu Euch kam oder Ihr einmal in unsrer Hütte
rastetet, mein Herz vor Euch erleichtern wollen. Und dann war mirs doch
wieder, als sei das Einzige, womit ich meinem armen Vater noch kindlichen
Gehorsam und kindlichen Dank erweisen könnte, daß ich stumm bliebe wie das
Grab. Mein Vater ist der Graf von Thann, dessen Banner auf mehr als
zwanzig großen Burgen im Buchenlande und am Thüringerwalde steht und der
reiches Land vom Landgrafen zu Eisenach und vom Abt zu Fulda zu Lehn
trägt. Ich war sein einziges Kind und verlor früh die Mutter, die mein
ritterlicher Vater aus dem großen Hause der Henneberger heimgeführt hatte
und der er so treu auch nach dem Tode ergeben blieb, daß keine zweite Gemahlin
in sein Haus zog, so lange ich als Kind in den Burgen zu Heringen und
Friedewald gespielt habe. Denn Ihr müßt wissen, Vater, daß ich in den tiefen
grünen Buchenwäldern an der Werra zwölfmal meinen Namenstag wiederkehren
sah, ehe mich eine unselige Zeit für immer von ihnen schied und mich hierher


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[0511] Die Fischerin von Malamcicco. Wäre es wirklich Sünde, sich heimwärts zu sehnen und seines Vaters Antlitz noch einmal schauen zu wollen? fragte Margherita. Es muß heraus, ehrwürdiger Vater, was ich Euch alleu hier verschwiegen und heimlich mit mir getragen habe. Die Meinen sind nicht in dem Sturme untergegangen, bei dem mich Vater Marco rettete. Meine Mutter ist tot, sie starb, da ich ein sechs¬ jährig Kind war, und lange ehe ich meine Heimat verließ und verlor. Ich weiß auch nicht, ob mein Vater daheim noch lebt, aber mein Herz spricht, daß er noch am Leben sei und manchmal auch Sehnsucht nach seinem Kinde habe, trotz des schweren Herzeleides, welches die Ungeratne ihm angethan! Margherita hatte die ersten -Worte, hart mit sich kämpfend, fast tonlos ge¬ sprochen, ehe sie zu Ende kam, überwältigte sie verhaltne Sehnsucht und Reue, und heiße, bittre Thräne« rannen über das bleiche Gesicht. Pater Girolamo hatte sein Frühstück unwillkürlich weit von sich geschoben, war aufgestanden und Margherita ganz nahe getreten. Auf seinen Zügen malte sich jetzt ein banges Staunen, seiue Augen waren weit geöffnet, um die Lippen zuckte es von stra¬ fenden Worten, die gleichwohl nicht laut wurden und in einem schmerzlichen Ausruf des Namens der jungen Frau untergingen. Dabei verleugnete sich die Gutmütigkeit des greisen Priesters so wenig, daß er die Wankende sorglich auf den Schemel niederdrückte, neben dem sie bisher gestanden hatte, und geduldig abwartete, bis der erste Thränenstrom versiegt war. Margherita besann sich nach einigen Augenblicken, wozu sie hier sei, und gewann die Sprache zurück. Aber ihr Haupt blieb gesenkt, als wage sie nicht, dem Beichtvater in die Augen zu sehen, und ihre Stimme klang so traurig gedämpft, daß Pater Girolamo nicht auf seinen bequemen Sitz zurückkehrte, sondern sich über sie beugen mußte, um sie zu verstehen. Ihr werdet mich für eine Heuchlerin halten, Vater Girolamo, daß ich so manches Jahr selbst Euch verschwiege» habe, was Ihr heute hören sollt. Auch habe ich vielmals, wenn ich zu Euch kam oder Ihr einmal in unsrer Hütte rastetet, mein Herz vor Euch erleichtern wollen. Und dann war mirs doch wieder, als sei das Einzige, womit ich meinem armen Vater noch kindlichen Gehorsam und kindlichen Dank erweisen könnte, daß ich stumm bliebe wie das Grab. Mein Vater ist der Graf von Thann, dessen Banner auf mehr als zwanzig großen Burgen im Buchenlande und am Thüringerwalde steht und der reiches Land vom Landgrafen zu Eisenach und vom Abt zu Fulda zu Lehn trägt. Ich war sein einziges Kind und verlor früh die Mutter, die mein ritterlicher Vater aus dem großen Hause der Henneberger heimgeführt hatte und der er so treu auch nach dem Tode ergeben blieb, daß keine zweite Gemahlin in sein Haus zog, so lange ich als Kind in den Burgen zu Heringen und Friedewald gespielt habe. Denn Ihr müßt wissen, Vater, daß ich in den tiefen grünen Buchenwäldern an der Werra zwölfmal meinen Namenstag wiederkehren sah, ehe mich eine unselige Zeit für immer von ihnen schied und mich hierher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/511>, abgerufen am 29.06.2024.