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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Politische Briefe.

nicht dürfen. Er hat dem Reiche die Verwaltung überlassen, aber keineswegs
den Besitz. Aus Pflicht gegen seine eigne Aufgabe muß der preußische Staat
wenigstens einen Teil des in die Verwaltung des Reiches gegebenen Gutes zur
eignen Verwendung vom Reiche verlangen. Er muß, anstatt wie in dem ersten
Jahrzehnt des Reiches, darein zu willigen, daß er des Reiches Schuldner war,
verlangen, daß ihn das Reich als Gläubiger anerkenne. Das Reich muß die
Mntrikularbeiträge nicht mehr empfangen, sondern leisten.

Es ist vollkommen unbegreiflich, wie das jetzt führende Organ der national-
liberalen Partei in der Presse, der "Hannöversche Courier," sich in der Abend-
nummer vom 18. November wieder einmal folgende Ungeheuerlichkeit ans Berlin
schreiben lassen kann: "So hart es klingt, der Großstaat Preußen ist nicht in
der Lage, aus eigner Kraft seinen materiellen und Kulturaufgabcn zu genügen,
sondern er bedarf dazu der Unterstützung der deutschen Mittel- und Kleinstaaten."
Als ob der Ertrag aller indirekten Steuern, welche das Reich bereits erhebt
und jemals erheben kann, zu irgend einer Zeit mehr von den Kleinstaaten ge¬
speist werden würde als von den Bewohnern des preußischen Staates! Schon
zur Zeit des Zollvereins wußte man, daß der nach der Kopfzahl verteilte Gewinn
der Zollvertrüge den Kleinstaaten größere Einnahmen brachte, als der Anteil
ihrer Bürger an der Aufbringung des Gesamtertrages ausmachte. Und nun
soll sich das Verhältnis auf einmal so verändert haben, daß Preußen bei den
Kleinstaaten bettete. Was doch Parteitendenz, Verblendung, vor allem aber
Gedankenlosigkeit für Ansichten einflößen und zur Vertretung bringen kaun in
dem Organ einer Partei, die noch immer die erste Rolle bei der Sicherung und
Beförderung des nationalen Staates beansprucht! Will es denn diesen Köpfen
nicht eingehen, daß die einzelnen Staaten auf ihre eigne Kraft zur Erfüllung
ihrer "materiellem und Kulturaufgabcn" verweisen so viel heißt, als ihnen
gebieten, das Reich entbehrlich zu macheu und die nationale Wirtschaft zu
zerreißen?

Der Vorschlag der preußischen Staatsregierung, die vier untersten Stufen
der Klassensteuer sofort abzuschaffen und einstweilen, d. h. bis das Reich Hilfe
schafft, den Ausfall durch eine neue, unter die Kategorie der Gewerbesteuern
fallende, auf den Vertrieb der geistigen Getränke und der Tabakfabrikate gelegte
Steuer zu ersetzen, hat eben darum, weil er eine in den preußischen Staats¬
einnahmen zur Beseitigung einer schädlichen Besteuerung zu schaffende Lücke sofort
durch eine anderweitige Einnahme deckt, zunächst nichts zu thun mit den aus
ungedeckten Forderungen des preußischen Staatshaushalts entspringenden und
daher vor den andern an das Reich zu richtenden Forderungen. Die neue
Steuer ist eine direkte, weil einesteils ihr eine Gesamtschätzung des Brutto¬
ertrages der einzelnen Vertriebsgeschäste zu Grunde gelegt wird, und weil sie
andernteils, nämlich von den Geschäften, deren Bruttoertrag jährlich höchstens
?00v Mark erreicht, als feste Gebühr erhoben wird, eingeteilt in fünf Stufen


Politische Briefe.

nicht dürfen. Er hat dem Reiche die Verwaltung überlassen, aber keineswegs
den Besitz. Aus Pflicht gegen seine eigne Aufgabe muß der preußische Staat
wenigstens einen Teil des in die Verwaltung des Reiches gegebenen Gutes zur
eignen Verwendung vom Reiche verlangen. Er muß, anstatt wie in dem ersten
Jahrzehnt des Reiches, darein zu willigen, daß er des Reiches Schuldner war,
verlangen, daß ihn das Reich als Gläubiger anerkenne. Das Reich muß die
Mntrikularbeiträge nicht mehr empfangen, sondern leisten.

Es ist vollkommen unbegreiflich, wie das jetzt führende Organ der national-
liberalen Partei in der Presse, der „Hannöversche Courier," sich in der Abend-
nummer vom 18. November wieder einmal folgende Ungeheuerlichkeit ans Berlin
schreiben lassen kann: „So hart es klingt, der Großstaat Preußen ist nicht in
der Lage, aus eigner Kraft seinen materiellen und Kulturaufgabcn zu genügen,
sondern er bedarf dazu der Unterstützung der deutschen Mittel- und Kleinstaaten."
Als ob der Ertrag aller indirekten Steuern, welche das Reich bereits erhebt
und jemals erheben kann, zu irgend einer Zeit mehr von den Kleinstaaten ge¬
speist werden würde als von den Bewohnern des preußischen Staates! Schon
zur Zeit des Zollvereins wußte man, daß der nach der Kopfzahl verteilte Gewinn
der Zollvertrüge den Kleinstaaten größere Einnahmen brachte, als der Anteil
ihrer Bürger an der Aufbringung des Gesamtertrages ausmachte. Und nun
soll sich das Verhältnis auf einmal so verändert haben, daß Preußen bei den
Kleinstaaten bettete. Was doch Parteitendenz, Verblendung, vor allem aber
Gedankenlosigkeit für Ansichten einflößen und zur Vertretung bringen kaun in
dem Organ einer Partei, die noch immer die erste Rolle bei der Sicherung und
Beförderung des nationalen Staates beansprucht! Will es denn diesen Köpfen
nicht eingehen, daß die einzelnen Staaten auf ihre eigne Kraft zur Erfüllung
ihrer „materiellem und Kulturaufgabcn" verweisen so viel heißt, als ihnen
gebieten, das Reich entbehrlich zu macheu und die nationale Wirtschaft zu
zerreißen?

Der Vorschlag der preußischen Staatsregierung, die vier untersten Stufen
der Klassensteuer sofort abzuschaffen und einstweilen, d. h. bis das Reich Hilfe
schafft, den Ausfall durch eine neue, unter die Kategorie der Gewerbesteuern
fallende, auf den Vertrieb der geistigen Getränke und der Tabakfabrikate gelegte
Steuer zu ersetzen, hat eben darum, weil er eine in den preußischen Staats¬
einnahmen zur Beseitigung einer schädlichen Besteuerung zu schaffende Lücke sofort
durch eine anderweitige Einnahme deckt, zunächst nichts zu thun mit den aus
ungedeckten Forderungen des preußischen Staatshaushalts entspringenden und
daher vor den andern an das Reich zu richtenden Forderungen. Die neue
Steuer ist eine direkte, weil einesteils ihr eine Gesamtschätzung des Brutto¬
ertrages der einzelnen Vertriebsgeschäste zu Grunde gelegt wird, und weil sie
andernteils, nämlich von den Geschäften, deren Bruttoertrag jährlich höchstens
?00v Mark erreicht, als feste Gebühr erhoben wird, eingeteilt in fünf Stufen


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[0507] Politische Briefe. nicht dürfen. Er hat dem Reiche die Verwaltung überlassen, aber keineswegs den Besitz. Aus Pflicht gegen seine eigne Aufgabe muß der preußische Staat wenigstens einen Teil des in die Verwaltung des Reiches gegebenen Gutes zur eignen Verwendung vom Reiche verlangen. Er muß, anstatt wie in dem ersten Jahrzehnt des Reiches, darein zu willigen, daß er des Reiches Schuldner war, verlangen, daß ihn das Reich als Gläubiger anerkenne. Das Reich muß die Mntrikularbeiträge nicht mehr empfangen, sondern leisten. Es ist vollkommen unbegreiflich, wie das jetzt führende Organ der national- liberalen Partei in der Presse, der „Hannöversche Courier," sich in der Abend- nummer vom 18. November wieder einmal folgende Ungeheuerlichkeit ans Berlin schreiben lassen kann: „So hart es klingt, der Großstaat Preußen ist nicht in der Lage, aus eigner Kraft seinen materiellen und Kulturaufgabcn zu genügen, sondern er bedarf dazu der Unterstützung der deutschen Mittel- und Kleinstaaten." Als ob der Ertrag aller indirekten Steuern, welche das Reich bereits erhebt und jemals erheben kann, zu irgend einer Zeit mehr von den Kleinstaaten ge¬ speist werden würde als von den Bewohnern des preußischen Staates! Schon zur Zeit des Zollvereins wußte man, daß der nach der Kopfzahl verteilte Gewinn der Zollvertrüge den Kleinstaaten größere Einnahmen brachte, als der Anteil ihrer Bürger an der Aufbringung des Gesamtertrages ausmachte. Und nun soll sich das Verhältnis auf einmal so verändert haben, daß Preußen bei den Kleinstaaten bettete. Was doch Parteitendenz, Verblendung, vor allem aber Gedankenlosigkeit für Ansichten einflößen und zur Vertretung bringen kaun in dem Organ einer Partei, die noch immer die erste Rolle bei der Sicherung und Beförderung des nationalen Staates beansprucht! Will es denn diesen Köpfen nicht eingehen, daß die einzelnen Staaten auf ihre eigne Kraft zur Erfüllung ihrer „materiellem und Kulturaufgabcn" verweisen so viel heißt, als ihnen gebieten, das Reich entbehrlich zu macheu und die nationale Wirtschaft zu zerreißen? Der Vorschlag der preußischen Staatsregierung, die vier untersten Stufen der Klassensteuer sofort abzuschaffen und einstweilen, d. h. bis das Reich Hilfe schafft, den Ausfall durch eine neue, unter die Kategorie der Gewerbesteuern fallende, auf den Vertrieb der geistigen Getränke und der Tabakfabrikate gelegte Steuer zu ersetzen, hat eben darum, weil er eine in den preußischen Staats¬ einnahmen zur Beseitigung einer schädlichen Besteuerung zu schaffende Lücke sofort durch eine anderweitige Einnahme deckt, zunächst nichts zu thun mit den aus ungedeckten Forderungen des preußischen Staatshaushalts entspringenden und daher vor den andern an das Reich zu richtenden Forderungen. Die neue Steuer ist eine direkte, weil einesteils ihr eine Gesamtschätzung des Brutto¬ ertrages der einzelnen Vertriebsgeschäste zu Grunde gelegt wird, und weil sie andernteils, nämlich von den Geschäften, deren Bruttoertrag jährlich höchstens ?00v Mark erreicht, als feste Gebühr erhoben wird, eingeteilt in fünf Stufen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/507>, abgerufen am 29.06.2024.