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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Politische Briefe.

der Finanzvorlagen aus der Lage der Finanzen begründete und erläuterte. Der
Voranschlag der Staatseinnahmen gegen die Ausgaben für das kommende Finanz¬
jahr zeigt ein Defizit der Einnahmen von 31 Millionen 824 000 Mark auf.
Dieses Defizit soll für das nächste Jahr, wie schon für eine Anzahl voran¬
gehender Jahre, durch eine Anleihe beglichen werden. Aus diesem Wege darf
aber nicht fortgegangen werden, daher muß der preußische Staat sich an das
Reich wenden, ihm Hilfe zu leisten, nicht nur zur Beseitigung seines Defizits,
sondern auch zur Deckung neuer Ausgaben, denen er sich nicht entziehen kann.
Denn das Defizit ist ein dauerndes, weil es aus dem Mißverhältnis des vor¬
handenen und gesicherten Staatseinkommens zu den unumgänglichen Ausgaben
entspringt. Aber die bis jetzt in den Staatshaushalt aufgenommenen Ausgaben
decken noch keineswegs den Umfang der Forderungen, welche der Staat unver¬
züglich erheben muß, um der Aufgabe, die die Gegenwart ihm gebieterisch stellt,
gerecht zu werden. Die neuen, im Staatshaushaltsplan bisher nicht vorge¬
sehenen Ausgaben sollen durch besondere Gesetze begründet werden, welche den
Landtag zum Teil wohl schon in der gegenwärtigen Session beschäftigen dürften.
Es handelt sich um die Beschaffung neuer Einnahmen zunächst für die drei
Zwecke: 1. die Gemeinden und ihre Mitglieder von drückenden Auflagen zu
entlasten durch Abtretung bisheriger Staatssteuern; 2. einen Teil der bisher
den Gemeinden zur Versorgung obliegenden öffentliche Zwecke auf die allgemeine
Staatsverwaltung zu übernehmen; dabei handelt es sich namentlich um Über¬
nahme eines Teiles der Schullast behufs der Durchführung des unentgeltlichen
Unterrichtes in der Volksschule und jedenfalls auch behufs Verbesserung der
Lage der Lehrer; 3. die Besoldung der Beamten zu verbessern. Man kann an¬
nehmen, daß früher oder später auch ein Teil der Armenlast und Armenpflege,
wenn auch nicht die ganze Last und Pflege, auf die allgemeine Staatsver¬
waltung übergehen muß.

Die Staatsregierung beabsichtigt also, dem Landtage Vorlagen zu machen,
wodurch zunächst die drei erstgenannten Zwecke in besondern Gesetzen festge¬
stellt und der zur Durchführung derselben erforderliche Einnahmebedarf um¬
schrieben wird. Alsdann wird sich die Staatsregierung zur Deckung des Defizits
und zur Deckung der neuen, in den Staatshaushalt aufgenommenen Ausgaben
an das Reich wenden. Daß der preußische Staat nicht etwa als Bettler vor
das Reich tritt, der aus fremdem Gute Unterstützung heischt, sondern als Eigen¬
tümer, der von der Verwaltung seines Gutes den gerechten Ertrag fordert, das
wurde in dem vorangehenden Briefe deutlich und, wie wir meinen, unwiderleglich
nachgewiesen. Der preußische Staat hat dem Reiche seine indirekten Steuer¬
quellen abgetreten, einen Teil verfassungsmäßig, den größten Teil durch frei¬
willige Enthaltung, um dem Zwecke des Reiches, in welchem als vornehmster
Teil die Einheit der nationalen Wirtschaft enthalten ist, nicht zuwiderzuhan¬
deln. Aber verschenken hat der preußische Staat dies Gut nicht wollen und


Politische Briefe.

der Finanzvorlagen aus der Lage der Finanzen begründete und erläuterte. Der
Voranschlag der Staatseinnahmen gegen die Ausgaben für das kommende Finanz¬
jahr zeigt ein Defizit der Einnahmen von 31 Millionen 824 000 Mark auf.
Dieses Defizit soll für das nächste Jahr, wie schon für eine Anzahl voran¬
gehender Jahre, durch eine Anleihe beglichen werden. Aus diesem Wege darf
aber nicht fortgegangen werden, daher muß der preußische Staat sich an das
Reich wenden, ihm Hilfe zu leisten, nicht nur zur Beseitigung seines Defizits,
sondern auch zur Deckung neuer Ausgaben, denen er sich nicht entziehen kann.
Denn das Defizit ist ein dauerndes, weil es aus dem Mißverhältnis des vor¬
handenen und gesicherten Staatseinkommens zu den unumgänglichen Ausgaben
entspringt. Aber die bis jetzt in den Staatshaushalt aufgenommenen Ausgaben
decken noch keineswegs den Umfang der Forderungen, welche der Staat unver¬
züglich erheben muß, um der Aufgabe, die die Gegenwart ihm gebieterisch stellt,
gerecht zu werden. Die neuen, im Staatshaushaltsplan bisher nicht vorge¬
sehenen Ausgaben sollen durch besondere Gesetze begründet werden, welche den
Landtag zum Teil wohl schon in der gegenwärtigen Session beschäftigen dürften.
Es handelt sich um die Beschaffung neuer Einnahmen zunächst für die drei
Zwecke: 1. die Gemeinden und ihre Mitglieder von drückenden Auflagen zu
entlasten durch Abtretung bisheriger Staatssteuern; 2. einen Teil der bisher
den Gemeinden zur Versorgung obliegenden öffentliche Zwecke auf die allgemeine
Staatsverwaltung zu übernehmen; dabei handelt es sich namentlich um Über¬
nahme eines Teiles der Schullast behufs der Durchführung des unentgeltlichen
Unterrichtes in der Volksschule und jedenfalls auch behufs Verbesserung der
Lage der Lehrer; 3. die Besoldung der Beamten zu verbessern. Man kann an¬
nehmen, daß früher oder später auch ein Teil der Armenlast und Armenpflege,
wenn auch nicht die ganze Last und Pflege, auf die allgemeine Staatsver¬
waltung übergehen muß.

Die Staatsregierung beabsichtigt also, dem Landtage Vorlagen zu machen,
wodurch zunächst die drei erstgenannten Zwecke in besondern Gesetzen festge¬
stellt und der zur Durchführung derselben erforderliche Einnahmebedarf um¬
schrieben wird. Alsdann wird sich die Staatsregierung zur Deckung des Defizits
und zur Deckung der neuen, in den Staatshaushalt aufgenommenen Ausgaben
an das Reich wenden. Daß der preußische Staat nicht etwa als Bettler vor
das Reich tritt, der aus fremdem Gute Unterstützung heischt, sondern als Eigen¬
tümer, der von der Verwaltung seines Gutes den gerechten Ertrag fordert, das
wurde in dem vorangehenden Briefe deutlich und, wie wir meinen, unwiderleglich
nachgewiesen. Der preußische Staat hat dem Reiche seine indirekten Steuer¬
quellen abgetreten, einen Teil verfassungsmäßig, den größten Teil durch frei¬
willige Enthaltung, um dem Zwecke des Reiches, in welchem als vornehmster
Teil die Einheit der nationalen Wirtschaft enthalten ist, nicht zuwiderzuhan¬
deln. Aber verschenken hat der preußische Staat dies Gut nicht wollen und


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[0506] Politische Briefe. der Finanzvorlagen aus der Lage der Finanzen begründete und erläuterte. Der Voranschlag der Staatseinnahmen gegen die Ausgaben für das kommende Finanz¬ jahr zeigt ein Defizit der Einnahmen von 31 Millionen 824 000 Mark auf. Dieses Defizit soll für das nächste Jahr, wie schon für eine Anzahl voran¬ gehender Jahre, durch eine Anleihe beglichen werden. Aus diesem Wege darf aber nicht fortgegangen werden, daher muß der preußische Staat sich an das Reich wenden, ihm Hilfe zu leisten, nicht nur zur Beseitigung seines Defizits, sondern auch zur Deckung neuer Ausgaben, denen er sich nicht entziehen kann. Denn das Defizit ist ein dauerndes, weil es aus dem Mißverhältnis des vor¬ handenen und gesicherten Staatseinkommens zu den unumgänglichen Ausgaben entspringt. Aber die bis jetzt in den Staatshaushalt aufgenommenen Ausgaben decken noch keineswegs den Umfang der Forderungen, welche der Staat unver¬ züglich erheben muß, um der Aufgabe, die die Gegenwart ihm gebieterisch stellt, gerecht zu werden. Die neuen, im Staatshaushaltsplan bisher nicht vorge¬ sehenen Ausgaben sollen durch besondere Gesetze begründet werden, welche den Landtag zum Teil wohl schon in der gegenwärtigen Session beschäftigen dürften. Es handelt sich um die Beschaffung neuer Einnahmen zunächst für die drei Zwecke: 1. die Gemeinden und ihre Mitglieder von drückenden Auflagen zu entlasten durch Abtretung bisheriger Staatssteuern; 2. einen Teil der bisher den Gemeinden zur Versorgung obliegenden öffentliche Zwecke auf die allgemeine Staatsverwaltung zu übernehmen; dabei handelt es sich namentlich um Über¬ nahme eines Teiles der Schullast behufs der Durchführung des unentgeltlichen Unterrichtes in der Volksschule und jedenfalls auch behufs Verbesserung der Lage der Lehrer; 3. die Besoldung der Beamten zu verbessern. Man kann an¬ nehmen, daß früher oder später auch ein Teil der Armenlast und Armenpflege, wenn auch nicht die ganze Last und Pflege, auf die allgemeine Staatsver¬ waltung übergehen muß. Die Staatsregierung beabsichtigt also, dem Landtage Vorlagen zu machen, wodurch zunächst die drei erstgenannten Zwecke in besondern Gesetzen festge¬ stellt und der zur Durchführung derselben erforderliche Einnahmebedarf um¬ schrieben wird. Alsdann wird sich die Staatsregierung zur Deckung des Defizits und zur Deckung der neuen, in den Staatshaushalt aufgenommenen Ausgaben an das Reich wenden. Daß der preußische Staat nicht etwa als Bettler vor das Reich tritt, der aus fremdem Gute Unterstützung heischt, sondern als Eigen¬ tümer, der von der Verwaltung seines Gutes den gerechten Ertrag fordert, das wurde in dem vorangehenden Briefe deutlich und, wie wir meinen, unwiderleglich nachgewiesen. Der preußische Staat hat dem Reiche seine indirekten Steuer¬ quellen abgetreten, einen Teil verfassungsmäßig, den größten Teil durch frei¬ willige Enthaltung, um dem Zwecke des Reiches, in welchem als vornehmster Teil die Einheit der nationalen Wirtschaft enthalten ist, nicht zuwiderzuhan¬ deln. Aber verschenken hat der preußische Staat dies Gut nicht wollen und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/506>, abgerufen am 29.06.2024.