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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Herren Studirenden.

Nest jetzt beinahe hinweggefegt ist, ist jedenfalls ein Zeichen der unsre ganze
Zeit beherrschenden Gleichmnchersncht. Niemals aber verfährt diese Gleichmacher-
sncht "ribtrs-^onäo, sondern immer iiääknäo, indem sie gewisse Dinge solchen m¬
iegt, denen dieselben nach früheren Anschanungen nicht zukamen. Und so läuft
die Gleichmacherei in vielen Fallen nuf nichts andres hinaus als auf die "Ver-
frühung," die ja auch als ein bedenkliches Zeichen unsrer Zeit so vielfach beklagt
wird. Der Hut ist vou alter Zeit her die Kopfbedeckung des "Herrn" gewesen;
die Sitte, den Hut beim Gruße abzunehmen, ist ja ein Zeichen der Unterwürfigkeit
und Dienstfertigkeit. Gegenwärtig will aber alle Welt hoch hinaus. Der Student
genirt sich beinahe Student zu sein, er ist ein "Herr Studirender" -- in der
Presse, im Munde der Professoren, überall Hort er sich auch so nennen --,
jedenfalls ist er ein "Herr," und wenn er auch noch nicht euren roten Heller
zu seinem Unterhalte verdient, sondern lediglich ans des Vaters Tasche zehrt;
der Primaner und sekundärer aber sieht es, in der Universitätsstadt wenigstens,
gar zu gern, wenn mau auch ihn bereits für einen Studenten, also gleichfalls
für einen "Herrn Studirenden" hält, und wenn der Tertianer nur die nötigen
Centimeter hat, so versucht er's eben auch.

Aber ich bin über der Mützeufrage von den sich verabschiedenden Studenten-
gruppcn abgekommen. Wenn wir vor zwanzig Jahren uns auf der Straße
grüßten oder verabschiedeten, so geschah es mit dem damals üblichen "Morgen!"
oder "Prosit!", jedenfalls aber so, daß wir die Mütze dabei aus dem Kopfe
behielten und uns die Hand reichten. Das bei jeder Gelegenheit damals ver¬
wendete "Prosit!" war vielleicht nicht sehr geschmackvoll, aber sicher geschmack¬
voller als das heute zu jeder Tagesstunde aus Studentenmnnd zu hörende
"Mahlzeit!", welches vorauszusetzen scheint, daß die leibliche Ernährung die
Hauptsorge der heutigen Musensöhne ausmache, daß sie zu jeder Stunde des
Tages entweder eben gegessen haben oder eben essen wollen, eigentlich also unaus¬
gesetzt essen. Viel abgeschmackter aber noch als diese Grußformel ist die erstaunliche
Hochschätzung, ja Ehrfurcht, welche dabei junge Leute von achtzehn, zwanzig,
höchstens zweiundzwanzig Jahren vor einander an den Tag legen. In welcher
Weise wollen sie schließlich ihren Lehrern ihren Respekt bezeugen, wenn sie vor
einander selbst wie alte weißhaarige Herren in Amt und Würden auf offener
Straße herumdiencrn?

Es ist gewiß erfreulich, daß die deutsche Studentenschaft die Ausnahme¬
stellung, die sie noch vor gar nicht langer Zeit beanspruchte, uach und nach auf¬
gegeben und sich demi Ton und deu Formen der bürgerlichen Gesellschaft alige¬
schlossen hat. Ausschreitungen, wie sie ehemals an der Tages- und noch vielmehr
in, der Nachtvrdnung waren, bilden ja jetzt eine große Seltenheit. Dieser
Fortschritt söhnt uns sogar bis zu einem gewissen Grade mit dem Verlust der
grünen Mütze aus. Sehr zu wünschen wäre es aber doch, daß die akademische
Jugend in ihrem Bestreben, sich möglichst feiner Sitte zu befleißigen, nicht zu


Die Herren Studirenden.

Nest jetzt beinahe hinweggefegt ist, ist jedenfalls ein Zeichen der unsre ganze
Zeit beherrschenden Gleichmnchersncht. Niemals aber verfährt diese Gleichmacher-
sncht »ribtrs-^onäo, sondern immer iiääknäo, indem sie gewisse Dinge solchen m¬
iegt, denen dieselben nach früheren Anschanungen nicht zukamen. Und so läuft
die Gleichmacherei in vielen Fallen nuf nichts andres hinaus als auf die „Ver-
frühung," die ja auch als ein bedenkliches Zeichen unsrer Zeit so vielfach beklagt
wird. Der Hut ist vou alter Zeit her die Kopfbedeckung des „Herrn" gewesen;
die Sitte, den Hut beim Gruße abzunehmen, ist ja ein Zeichen der Unterwürfigkeit
und Dienstfertigkeit. Gegenwärtig will aber alle Welt hoch hinaus. Der Student
genirt sich beinahe Student zu sein, er ist ein „Herr Studirender" — in der
Presse, im Munde der Professoren, überall Hort er sich auch so nennen —,
jedenfalls ist er ein „Herr," und wenn er auch noch nicht euren roten Heller
zu seinem Unterhalte verdient, sondern lediglich ans des Vaters Tasche zehrt;
der Primaner und sekundärer aber sieht es, in der Universitätsstadt wenigstens,
gar zu gern, wenn mau auch ihn bereits für einen Studenten, also gleichfalls
für einen „Herrn Studirenden" hält, und wenn der Tertianer nur die nötigen
Centimeter hat, so versucht er's eben auch.

Aber ich bin über der Mützeufrage von den sich verabschiedenden Studenten-
gruppcn abgekommen. Wenn wir vor zwanzig Jahren uns auf der Straße
grüßten oder verabschiedeten, so geschah es mit dem damals üblichen „Morgen!"
oder „Prosit!", jedenfalls aber so, daß wir die Mütze dabei aus dem Kopfe
behielten und uns die Hand reichten. Das bei jeder Gelegenheit damals ver¬
wendete „Prosit!" war vielleicht nicht sehr geschmackvoll, aber sicher geschmack¬
voller als das heute zu jeder Tagesstunde aus Studentenmnnd zu hörende
„Mahlzeit!", welches vorauszusetzen scheint, daß die leibliche Ernährung die
Hauptsorge der heutigen Musensöhne ausmache, daß sie zu jeder Stunde des
Tages entweder eben gegessen haben oder eben essen wollen, eigentlich also unaus¬
gesetzt essen. Viel abgeschmackter aber noch als diese Grußformel ist die erstaunliche
Hochschätzung, ja Ehrfurcht, welche dabei junge Leute von achtzehn, zwanzig,
höchstens zweiundzwanzig Jahren vor einander an den Tag legen. In welcher
Weise wollen sie schließlich ihren Lehrern ihren Respekt bezeugen, wenn sie vor
einander selbst wie alte weißhaarige Herren in Amt und Würden auf offener
Straße herumdiencrn?

Es ist gewiß erfreulich, daß die deutsche Studentenschaft die Ausnahme¬
stellung, die sie noch vor gar nicht langer Zeit beanspruchte, uach und nach auf¬
gegeben und sich demi Ton und deu Formen der bürgerlichen Gesellschaft alige¬
schlossen hat. Ausschreitungen, wie sie ehemals an der Tages- und noch vielmehr
in, der Nachtvrdnung waren, bilden ja jetzt eine große Seltenheit. Dieser
Fortschritt söhnt uns sogar bis zu einem gewissen Grade mit dem Verlust der
grünen Mütze aus. Sehr zu wünschen wäre es aber doch, daß die akademische
Jugend in ihrem Bestreben, sich möglichst feiner Sitte zu befleißigen, nicht zu


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[0504] Die Herren Studirenden. Nest jetzt beinahe hinweggefegt ist, ist jedenfalls ein Zeichen der unsre ganze Zeit beherrschenden Gleichmnchersncht. Niemals aber verfährt diese Gleichmacher- sncht »ribtrs-^onäo, sondern immer iiääknäo, indem sie gewisse Dinge solchen m¬ iegt, denen dieselben nach früheren Anschanungen nicht zukamen. Und so läuft die Gleichmacherei in vielen Fallen nuf nichts andres hinaus als auf die „Ver- frühung," die ja auch als ein bedenkliches Zeichen unsrer Zeit so vielfach beklagt wird. Der Hut ist vou alter Zeit her die Kopfbedeckung des „Herrn" gewesen; die Sitte, den Hut beim Gruße abzunehmen, ist ja ein Zeichen der Unterwürfigkeit und Dienstfertigkeit. Gegenwärtig will aber alle Welt hoch hinaus. Der Student genirt sich beinahe Student zu sein, er ist ein „Herr Studirender" — in der Presse, im Munde der Professoren, überall Hort er sich auch so nennen —, jedenfalls ist er ein „Herr," und wenn er auch noch nicht euren roten Heller zu seinem Unterhalte verdient, sondern lediglich ans des Vaters Tasche zehrt; der Primaner und sekundärer aber sieht es, in der Universitätsstadt wenigstens, gar zu gern, wenn mau auch ihn bereits für einen Studenten, also gleichfalls für einen „Herrn Studirenden" hält, und wenn der Tertianer nur die nötigen Centimeter hat, so versucht er's eben auch. Aber ich bin über der Mützeufrage von den sich verabschiedenden Studenten- gruppcn abgekommen. Wenn wir vor zwanzig Jahren uns auf der Straße grüßten oder verabschiedeten, so geschah es mit dem damals üblichen „Morgen!" oder „Prosit!", jedenfalls aber so, daß wir die Mütze dabei aus dem Kopfe behielten und uns die Hand reichten. Das bei jeder Gelegenheit damals ver¬ wendete „Prosit!" war vielleicht nicht sehr geschmackvoll, aber sicher geschmack¬ voller als das heute zu jeder Tagesstunde aus Studentenmnnd zu hörende „Mahlzeit!", welches vorauszusetzen scheint, daß die leibliche Ernährung die Hauptsorge der heutigen Musensöhne ausmache, daß sie zu jeder Stunde des Tages entweder eben gegessen haben oder eben essen wollen, eigentlich also unaus¬ gesetzt essen. Viel abgeschmackter aber noch als diese Grußformel ist die erstaunliche Hochschätzung, ja Ehrfurcht, welche dabei junge Leute von achtzehn, zwanzig, höchstens zweiundzwanzig Jahren vor einander an den Tag legen. In welcher Weise wollen sie schließlich ihren Lehrern ihren Respekt bezeugen, wenn sie vor einander selbst wie alte weißhaarige Herren in Amt und Würden auf offener Straße herumdiencrn? Es ist gewiß erfreulich, daß die deutsche Studentenschaft die Ausnahme¬ stellung, die sie noch vor gar nicht langer Zeit beanspruchte, uach und nach auf¬ gegeben und sich demi Ton und deu Formen der bürgerlichen Gesellschaft alige¬ schlossen hat. Ausschreitungen, wie sie ehemals an der Tages- und noch vielmehr in, der Nachtvrdnung waren, bilden ja jetzt eine große Seltenheit. Dieser Fortschritt söhnt uns sogar bis zu einem gewissen Grade mit dem Verlust der grünen Mütze aus. Sehr zu wünschen wäre es aber doch, daß die akademische Jugend in ihrem Bestreben, sich möglichst feiner Sitte zu befleißigen, nicht zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/504>, abgerufen am 28.09.2024.