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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Herren Studirenden,

den Straßenecken in vornehm übergeneigter Haltung, wie alte Geheimräte auf
dem Parquet, tauschen zum Abschied noch einige verbindliche Redensarten aus
und trennen sich dann mit wiederholten ehrfurchtsvollen Verbeugungen und
indem sie bis tief auf die Erde herab den Hut ziehen. Unwillkürlich greift
man im Vorübergehen nach dem seinigen, in der Meinung, daß eine Versammlung
hochgestellter Männer der Stadt hier soeben im Begriff sei, sich aufzulösen, bis
man die rotbäckiger, milchhaarigen Gesichter sieht.

Als ich vor ein paar Jahren diese Beobachtung zum erstenmale machte,
war ich mir nicht sofort klar darüber, ob ich Studenten oder Kaufmannsdiener
vor mir hätte. Beide sind ja schon seit längerer Zeit äußerlich nicht mehr von
einander zu unterscheiden. Vor zwanzig Jahren trug noch die ganze akademische
Jugend in Leipzig Mützen, die Verbindungsstudenten ihre bunten, alle übrigen,
die sogenannten "Finken," grüne Mützen. Die Witwe Saft in Auerbachs Hofe
fertigte sie in einer sehr hübschen und kleidsamen Form. Nur ganz vereinzelte
Hüte waren unter der Mützcnschaar sichtbar, wenn sich in den Freiviertelstunden
die Studentenschaft in den Universitätshöfen erging. Man blickte diese wenigen
Hutträger mit ganz besondern Empfindungen an, Empfindungen der Achtung,
des Neides, des Bedauerns, je nachdem, denn der Hut war ja ein Zeichen, daß
der betreffende "im Examen stand." Nur reife Männer trugen damals den
Hut, und wenn der Student ihn aufsetzte, so zog er damit gleichsam eine Schranke
zwischen sich und der sorglosen Schaar, für die das Examen noch in weiter
Ferne lag, und sagte: Seht her, ich stehe an der Schwelle, die zum Philisterium
führt. Koäi"z rnini, org.8 tibi.

Heutzutage trügt die gesamte Studentenschaft Hüte. Nur die kleine Anzahl
der Verbindungsstudenten und die Mitglieder einzelner akademischen Vereine, wie
der Universitüts-Gesangvereine, haben noch an der farbigen Mütze festgehalten.
Doch scheint es, als trügen auch sie sie regelmäßig nur bei offiziellen Ge¬
legenheiten und reservirten sich daneben den Hut für alle Fälle, wo sie "in
Zivil" erscheinen wollen. Und -- merkwürdig genug -- von der Universität
ist der Hut bereits ins Gymnasium, ja bis in die untersten Klassen des Gym¬
nasiums hinabgedrungen, wenigstens in der Universitätsstadt. Wer zufällig
vorübergegangen ist, wenn mittags das "doppelt geöffnete Haus" des Gymnasiums
seine Schaaren entläßt, der wird gesehen haben, daß nicht nur in den obern
Klassen, sondern selbst unter den kleinen Bürschchen aus Tertia und Quarta
der Hut die Majorität erlangt hat; der Primaner trägt schon längst keine Mütze
mehr, nur den Sextaner erfüllt sie noch mit Stolz.

Diese Hut- und Mützenfrage scheint keine tiefere Bedeutung zu haben, sie
scheint eine reine Modefrage zu sein. Bei näherm Zusehen ist sie aber doch
etwas mehr als das. Die Studenten- und Schülermütze hat die verschiedensten
Moden durchgemacht, sie selbst aber war keine Mode, sondern eine Tracht, und
zwar der letzte Rest der ehemaligen studentischen Tracht. Daß auch dieser letzte


Die Herren Studirenden,

den Straßenecken in vornehm übergeneigter Haltung, wie alte Geheimräte auf
dem Parquet, tauschen zum Abschied noch einige verbindliche Redensarten aus
und trennen sich dann mit wiederholten ehrfurchtsvollen Verbeugungen und
indem sie bis tief auf die Erde herab den Hut ziehen. Unwillkürlich greift
man im Vorübergehen nach dem seinigen, in der Meinung, daß eine Versammlung
hochgestellter Männer der Stadt hier soeben im Begriff sei, sich aufzulösen, bis
man die rotbäckiger, milchhaarigen Gesichter sieht.

Als ich vor ein paar Jahren diese Beobachtung zum erstenmale machte,
war ich mir nicht sofort klar darüber, ob ich Studenten oder Kaufmannsdiener
vor mir hätte. Beide sind ja schon seit längerer Zeit äußerlich nicht mehr von
einander zu unterscheiden. Vor zwanzig Jahren trug noch die ganze akademische
Jugend in Leipzig Mützen, die Verbindungsstudenten ihre bunten, alle übrigen,
die sogenannten „Finken," grüne Mützen. Die Witwe Saft in Auerbachs Hofe
fertigte sie in einer sehr hübschen und kleidsamen Form. Nur ganz vereinzelte
Hüte waren unter der Mützcnschaar sichtbar, wenn sich in den Freiviertelstunden
die Studentenschaft in den Universitätshöfen erging. Man blickte diese wenigen
Hutträger mit ganz besondern Empfindungen an, Empfindungen der Achtung,
des Neides, des Bedauerns, je nachdem, denn der Hut war ja ein Zeichen, daß
der betreffende „im Examen stand." Nur reife Männer trugen damals den
Hut, und wenn der Student ihn aufsetzte, so zog er damit gleichsam eine Schranke
zwischen sich und der sorglosen Schaar, für die das Examen noch in weiter
Ferne lag, und sagte: Seht her, ich stehe an der Schwelle, die zum Philisterium
führt. Koäi«z rnini, org.8 tibi.

Heutzutage trügt die gesamte Studentenschaft Hüte. Nur die kleine Anzahl
der Verbindungsstudenten und die Mitglieder einzelner akademischen Vereine, wie
der Universitüts-Gesangvereine, haben noch an der farbigen Mütze festgehalten.
Doch scheint es, als trügen auch sie sie regelmäßig nur bei offiziellen Ge¬
legenheiten und reservirten sich daneben den Hut für alle Fälle, wo sie „in
Zivil" erscheinen wollen. Und — merkwürdig genug — von der Universität
ist der Hut bereits ins Gymnasium, ja bis in die untersten Klassen des Gym¬
nasiums hinabgedrungen, wenigstens in der Universitätsstadt. Wer zufällig
vorübergegangen ist, wenn mittags das „doppelt geöffnete Haus" des Gymnasiums
seine Schaaren entläßt, der wird gesehen haben, daß nicht nur in den obern
Klassen, sondern selbst unter den kleinen Bürschchen aus Tertia und Quarta
der Hut die Majorität erlangt hat; der Primaner trägt schon längst keine Mütze
mehr, nur den Sextaner erfüllt sie noch mit Stolz.

Diese Hut- und Mützenfrage scheint keine tiefere Bedeutung zu haben, sie
scheint eine reine Modefrage zu sein. Bei näherm Zusehen ist sie aber doch
etwas mehr als das. Die Studenten- und Schülermütze hat die verschiedensten
Moden durchgemacht, sie selbst aber war keine Mode, sondern eine Tracht, und
zwar der letzte Rest der ehemaligen studentischen Tracht. Daß auch dieser letzte


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[0503] Die Herren Studirenden, den Straßenecken in vornehm übergeneigter Haltung, wie alte Geheimräte auf dem Parquet, tauschen zum Abschied noch einige verbindliche Redensarten aus und trennen sich dann mit wiederholten ehrfurchtsvollen Verbeugungen und indem sie bis tief auf die Erde herab den Hut ziehen. Unwillkürlich greift man im Vorübergehen nach dem seinigen, in der Meinung, daß eine Versammlung hochgestellter Männer der Stadt hier soeben im Begriff sei, sich aufzulösen, bis man die rotbäckiger, milchhaarigen Gesichter sieht. Als ich vor ein paar Jahren diese Beobachtung zum erstenmale machte, war ich mir nicht sofort klar darüber, ob ich Studenten oder Kaufmannsdiener vor mir hätte. Beide sind ja schon seit längerer Zeit äußerlich nicht mehr von einander zu unterscheiden. Vor zwanzig Jahren trug noch die ganze akademische Jugend in Leipzig Mützen, die Verbindungsstudenten ihre bunten, alle übrigen, die sogenannten „Finken," grüne Mützen. Die Witwe Saft in Auerbachs Hofe fertigte sie in einer sehr hübschen und kleidsamen Form. Nur ganz vereinzelte Hüte waren unter der Mützcnschaar sichtbar, wenn sich in den Freiviertelstunden die Studentenschaft in den Universitätshöfen erging. Man blickte diese wenigen Hutträger mit ganz besondern Empfindungen an, Empfindungen der Achtung, des Neides, des Bedauerns, je nachdem, denn der Hut war ja ein Zeichen, daß der betreffende „im Examen stand." Nur reife Männer trugen damals den Hut, und wenn der Student ihn aufsetzte, so zog er damit gleichsam eine Schranke zwischen sich und der sorglosen Schaar, für die das Examen noch in weiter Ferne lag, und sagte: Seht her, ich stehe an der Schwelle, die zum Philisterium führt. Koäi«z rnini, org.8 tibi. Heutzutage trügt die gesamte Studentenschaft Hüte. Nur die kleine Anzahl der Verbindungsstudenten und die Mitglieder einzelner akademischen Vereine, wie der Universitüts-Gesangvereine, haben noch an der farbigen Mütze festgehalten. Doch scheint es, als trügen auch sie sie regelmäßig nur bei offiziellen Ge¬ legenheiten und reservirten sich daneben den Hut für alle Fälle, wo sie „in Zivil" erscheinen wollen. Und — merkwürdig genug — von der Universität ist der Hut bereits ins Gymnasium, ja bis in die untersten Klassen des Gym¬ nasiums hinabgedrungen, wenigstens in der Universitätsstadt. Wer zufällig vorübergegangen ist, wenn mittags das „doppelt geöffnete Haus" des Gymnasiums seine Schaaren entläßt, der wird gesehen haben, daß nicht nur in den obern Klassen, sondern selbst unter den kleinen Bürschchen aus Tertia und Quarta der Hut die Majorität erlangt hat; der Primaner trägt schon längst keine Mütze mehr, nur den Sextaner erfüllt sie noch mit Stolz. Diese Hut- und Mützenfrage scheint keine tiefere Bedeutung zu haben, sie scheint eine reine Modefrage zu sein. Bei näherm Zusehen ist sie aber doch etwas mehr als das. Die Studenten- und Schülermütze hat die verschiedensten Moden durchgemacht, sie selbst aber war keine Mode, sondern eine Tracht, und zwar der letzte Rest der ehemaligen studentischen Tracht. Daß auch dieser letzte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/503>, abgerufen am 29.06.2024.