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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Fremdwörterseuche.

Musterung des frembden Affenwercks" und andre wichtige Vorteile "zu Ruhm
und Wohlfnrth teutscher Nation."

Leibniz war bemüht, diese seine guten Absichten durch die Berliner Aka¬
demie der Wissenschaften, deren Stiftung im Jahre 1700 bekanntlich durch ihn
beeinflußt war, zu verwirkliche-,. Wir werden sogleich an das, was die Aka¬
demie in dieser Hinsicht geleistet und nicht geleistet hat, mit einigen Worten
erinnern, lassen aber zuvor noch einige ambre treffliche Männer reden.

Da ist zunächst ein Unbekannter, der sich nur v. .1. O. g. nennt und der
1737 zu Hildesheim eine "Ausführliche Abhandlung vom Ursprung und Auf¬
nahme der Deutschen Sprache u. s. w." herausgegeben hat.*) Darin sagt er:
"Mehr als zuviel ist bekant, wie die teutsche Sprache jhre eigene Wörter
verlieren, deutlos und unbekannt lassen, jhren herrlichen Reichtuhm verarmen
sehen, und jhre eigene reinliche Gestalt verfrömdet und verschandflekket leiden
muß, in dem nicht allein einem jeden nach Beliebnug, durch gestatteten Mis-
brauch freygelassen wird allerley Wörter aus allerley Sprachen hinein zulappen,
als ob kein zierliche Rede geschehen, noch einige Schrift abgefasset werden
könnte, Zier und Wohlstand sey dann von Fronten entlehnet, und unsere so
herrliche, Prächtige, Majestätische Sprache zur armen hungrigen Bettlerin ge¬
macht. "

Ihm folgt Johann Christoph Gottsched. Er schrieb eine "Vollständige
und Neuerläuterte Deutsche Sprachkunst u. s. w.," die zuerst 1748 zu Leipzig
und darnach noch wiederholt erschien.**) Dieser erklärt es für "eine unnöthige
Mengesucht einiger vormaligen Schriftsteller, daß sie sich unzählige fremde Wörter
angewöhnet, die man eben sowohl deutsch geben kann, wenn man nur in guten
deutschen Büchern ein wenig belesen ist." Er stellt als Grundsatz auf: "Wo
im Deutschen gute Worte vorhanden sind, da ist es lächerlich, sich der fremden
zu bedienen," lehnt sich gegen das "Ottergezücht" unnötiger Fremdlinge mit Ent¬
schiedenheit auf und macht zahlreiche Vorschläge zur Ersetzung der fremden durch
gute deutsche Wörter.

Der dritte ist Lessing, Gotthold Ephraim Lessing in eigner Person. Im
Februar 1769 gab er den vierzehnten seiner "Briefe, die neueste Literatur be¬
treffend" heraus, in welchem er von der "Sprache des Herrn Wieland," wie
sie die ersten Schriften des damals sechsundzwauzigjährigen Dichters zeigten,
handelt. Wielands Anlehnung an die Franzosen hatte ihn schon herausgefordert,
und uun fand er auch die Sprache unrein und schlecht. Er meint, Wieland
Hütte in der Schweiz, wo er sich damals aufhielt, uicht bloß den Geist und den
eigentümlichen Schwung unsrer Sprache verlernt; "er muß sogar -- fährt




*) Doch wohl derselbe v. .1. 6. L., der die "Rockenphilosophie" geschrieben? Dieser hieß,
D. Red. wie wir zufällig von sachkundiger Seite wissen. Johann Georg Schmidt.
Mir liegt die fiiufte Auflage von 1762 vor.
Die Fremdwörterseuche.

Musterung des frembden Affenwercks" und andre wichtige Vorteile „zu Ruhm
und Wohlfnrth teutscher Nation."

Leibniz war bemüht, diese seine guten Absichten durch die Berliner Aka¬
demie der Wissenschaften, deren Stiftung im Jahre 1700 bekanntlich durch ihn
beeinflußt war, zu verwirkliche-,. Wir werden sogleich an das, was die Aka¬
demie in dieser Hinsicht geleistet und nicht geleistet hat, mit einigen Worten
erinnern, lassen aber zuvor noch einige ambre treffliche Männer reden.

Da ist zunächst ein Unbekannter, der sich nur v. .1. O. g. nennt und der
1737 zu Hildesheim eine „Ausführliche Abhandlung vom Ursprung und Auf¬
nahme der Deutschen Sprache u. s. w." herausgegeben hat.*) Darin sagt er:
„Mehr als zuviel ist bekant, wie die teutsche Sprache jhre eigene Wörter
verlieren, deutlos und unbekannt lassen, jhren herrlichen Reichtuhm verarmen
sehen, und jhre eigene reinliche Gestalt verfrömdet und verschandflekket leiden
muß, in dem nicht allein einem jeden nach Beliebnug, durch gestatteten Mis-
brauch freygelassen wird allerley Wörter aus allerley Sprachen hinein zulappen,
als ob kein zierliche Rede geschehen, noch einige Schrift abgefasset werden
könnte, Zier und Wohlstand sey dann von Fronten entlehnet, und unsere so
herrliche, Prächtige, Majestätische Sprache zur armen hungrigen Bettlerin ge¬
macht. "

Ihm folgt Johann Christoph Gottsched. Er schrieb eine „Vollständige
und Neuerläuterte Deutsche Sprachkunst u. s. w.," die zuerst 1748 zu Leipzig
und darnach noch wiederholt erschien.**) Dieser erklärt es für „eine unnöthige
Mengesucht einiger vormaligen Schriftsteller, daß sie sich unzählige fremde Wörter
angewöhnet, die man eben sowohl deutsch geben kann, wenn man nur in guten
deutschen Büchern ein wenig belesen ist." Er stellt als Grundsatz auf: „Wo
im Deutschen gute Worte vorhanden sind, da ist es lächerlich, sich der fremden
zu bedienen," lehnt sich gegen das „Ottergezücht" unnötiger Fremdlinge mit Ent¬
schiedenheit auf und macht zahlreiche Vorschläge zur Ersetzung der fremden durch
gute deutsche Wörter.

Der dritte ist Lessing, Gotthold Ephraim Lessing in eigner Person. Im
Februar 1769 gab er den vierzehnten seiner „Briefe, die neueste Literatur be¬
treffend" heraus, in welchem er von der „Sprache des Herrn Wieland," wie
sie die ersten Schriften des damals sechsundzwauzigjährigen Dichters zeigten,
handelt. Wielands Anlehnung an die Franzosen hatte ihn schon herausgefordert,
und uun fand er auch die Sprache unrein und schlecht. Er meint, Wieland
Hütte in der Schweiz, wo er sich damals aufhielt, uicht bloß den Geist und den
eigentümlichen Schwung unsrer Sprache verlernt; „er muß sogar — fährt




*) Doch wohl derselbe v. .1. 6. L., der die „Rockenphilosophie" geschrieben? Dieser hieß,
D. Red. wie wir zufällig von sachkundiger Seite wissen. Johann Georg Schmidt.
Mir liegt die fiiufte Auflage von 1762 vor.
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[0491] Die Fremdwörterseuche. Musterung des frembden Affenwercks" und andre wichtige Vorteile „zu Ruhm und Wohlfnrth teutscher Nation." Leibniz war bemüht, diese seine guten Absichten durch die Berliner Aka¬ demie der Wissenschaften, deren Stiftung im Jahre 1700 bekanntlich durch ihn beeinflußt war, zu verwirkliche-,. Wir werden sogleich an das, was die Aka¬ demie in dieser Hinsicht geleistet und nicht geleistet hat, mit einigen Worten erinnern, lassen aber zuvor noch einige ambre treffliche Männer reden. Da ist zunächst ein Unbekannter, der sich nur v. .1. O. g. nennt und der 1737 zu Hildesheim eine „Ausführliche Abhandlung vom Ursprung und Auf¬ nahme der Deutschen Sprache u. s. w." herausgegeben hat.*) Darin sagt er: „Mehr als zuviel ist bekant, wie die teutsche Sprache jhre eigene Wörter verlieren, deutlos und unbekannt lassen, jhren herrlichen Reichtuhm verarmen sehen, und jhre eigene reinliche Gestalt verfrömdet und verschandflekket leiden muß, in dem nicht allein einem jeden nach Beliebnug, durch gestatteten Mis- brauch freygelassen wird allerley Wörter aus allerley Sprachen hinein zulappen, als ob kein zierliche Rede geschehen, noch einige Schrift abgefasset werden könnte, Zier und Wohlstand sey dann von Fronten entlehnet, und unsere so herrliche, Prächtige, Majestätische Sprache zur armen hungrigen Bettlerin ge¬ macht. " Ihm folgt Johann Christoph Gottsched. Er schrieb eine „Vollständige und Neuerläuterte Deutsche Sprachkunst u. s. w.," die zuerst 1748 zu Leipzig und darnach noch wiederholt erschien.**) Dieser erklärt es für „eine unnöthige Mengesucht einiger vormaligen Schriftsteller, daß sie sich unzählige fremde Wörter angewöhnet, die man eben sowohl deutsch geben kann, wenn man nur in guten deutschen Büchern ein wenig belesen ist." Er stellt als Grundsatz auf: „Wo im Deutschen gute Worte vorhanden sind, da ist es lächerlich, sich der fremden zu bedienen," lehnt sich gegen das „Ottergezücht" unnötiger Fremdlinge mit Ent¬ schiedenheit auf und macht zahlreiche Vorschläge zur Ersetzung der fremden durch gute deutsche Wörter. Der dritte ist Lessing, Gotthold Ephraim Lessing in eigner Person. Im Februar 1769 gab er den vierzehnten seiner „Briefe, die neueste Literatur be¬ treffend" heraus, in welchem er von der „Sprache des Herrn Wieland," wie sie die ersten Schriften des damals sechsundzwauzigjährigen Dichters zeigten, handelt. Wielands Anlehnung an die Franzosen hatte ihn schon herausgefordert, und uun fand er auch die Sprache unrein und schlecht. Er meint, Wieland Hütte in der Schweiz, wo er sich damals aufhielt, uicht bloß den Geist und den eigentümlichen Schwung unsrer Sprache verlernt; „er muß sogar — fährt *) Doch wohl derselbe v. .1. 6. L., der die „Rockenphilosophie" geschrieben? Dieser hieß, D. Red. wie wir zufällig von sachkundiger Seite wissen. Johann Georg Schmidt. Mir liegt die fiiufte Auflage von 1762 vor.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/491>, abgerufen am 29.06.2024.