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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Fremdwörterseuche.

Lessing wörtlich fort -- eine beträchtliche Anzahl von Worten vergessen haben.
Denn alle Augenblicke läßt er seinen Leser über ein französisches Wort stolpern,
der sich kaum besinnen kann, ob er einen jetzigen Schriftsteller oder einen aus
dein galanten Zeitalter Christian Welses liest. Licenz, Visiren, Education,
Disciplin, Moderation, Eleganz, Aemulation, Jalousie, Corruption, Dexterität
-- und noch hundert solche Worte, die alle nicht das geringste mehr sagen, als
die deutschen, erwecken auch dem einen Ekel, der nichts weniger als ein Purist
ist. Linge sagt Herr Wieland sogar" -- für Leinen oder Wüsche nämlich. Wie
viele von denen, die heute Lessing immer im Munde führen, schreiben ein
Deutsch, das dem großen Manne denselben Ekel erwecken müßte. Mochten sie
doch Lessing weniger im Munde führen und mehr im Herzen tragen!

Endlich Klopstock, der gewaltige Dichter, der sich um unsre Sprache un¬
sterbliche Verdienste errungen hat. Klopstock eifert in seiner 1774 veröffentlichten
"Deutschen Gelehrtenrepublik" gegen das Fremde und die fremden Wörter und
ist der Meinung, daß derjenige, der stets "ausländische Worte ohne Bedürfniß
in die Sprache mischt, deu Hund tragen" solle, als ein Zeichen schmählichen
Hohnes -- ein Seitenstück zu den faulen Eiern des alten, trefflichen Schottelins.

Ich komme nun auf die Wirksamkeit der Berliner Akademie der Wissen¬
schaften zurück. In ihrer Stiftungsurkunde wurde der Akademie die Aufgabe
gestellt, das, "was zur Erhaltung der teutschen Sprache in ihrer anständigen
Reinigkeit, anch zur Ehre und Zierde der teutschen Nation gereichet, absonder¬
lich mit zu besorgen." Aber Friedrich der Große, der bald nach seinem Re¬
gierungsantritt im Jahre 1744 der Akademie neue Satzungen gab, empfahl ihr
zwar mit Nachdruck die Pflege der deutsche" Sprache, doch wurde gleichzeitig
die französische Sprache für ihre eignen Abhandlungen eingeführt, und damit
die deutsche Sprache wieder herabgesetzt und ausgeschlossen. Erst etwa fünfzig
Jahre später, 1792, erinnerte sich der verdienstvolle Minister Graf von Herz¬
berg, welcher Kurator der Akademie war, der dieser Anstalt schon in die Wiege
gelegten hochwichtigen Aufgabe. Er vereinigte die deutschen Mitglieder der
Akademie "zur Ausführung des großen Planes, den der unsterbliche Leibnitz
schon bei Errichtung der Akademie zu Aufnug des Jahrhunderts bezweckte, uüm-
lich auf die Vervollkommnung der deutscheu Sprache hinzuarbeiten." Es wurde
ein eigner Ausschuß bestellt, und die Akademie schrieb darnach fünf Preisfragen
aus, die sich auf die Reinigung der deutscheu Sprache vou deu eingedrungenen
Fremdwörtern beziehen. Die hierdurch veranlaßte Abhandlung Joachim Heinrich
Ccimpes, "Grundsätze, Regeln und Gränzen der Verdeutschung," ist erweitert und
mit einem Wörterverzeichnisse versehen als "Wörterbuch zur Erklärung und Ver¬
deutschung der unsrer Sprache aufgedrungenen fremden Ausdrücke" erschienen 1801
zu Vrauuschweig. Den zweiten Preis hatte August Kinderliug erhalten, dessen
Abhcuidluug "Über die Reinigkeit der Deutschen Sprache u. s. w." bereits 1795
zu Berlin herausgegeben wurde. Ich will auf diese verdienstlichen Vemühuugen


Die Fremdwörterseuche.

Lessing wörtlich fort — eine beträchtliche Anzahl von Worten vergessen haben.
Denn alle Augenblicke läßt er seinen Leser über ein französisches Wort stolpern,
der sich kaum besinnen kann, ob er einen jetzigen Schriftsteller oder einen aus
dein galanten Zeitalter Christian Welses liest. Licenz, Visiren, Education,
Disciplin, Moderation, Eleganz, Aemulation, Jalousie, Corruption, Dexterität
— und noch hundert solche Worte, die alle nicht das geringste mehr sagen, als
die deutschen, erwecken auch dem einen Ekel, der nichts weniger als ein Purist
ist. Linge sagt Herr Wieland sogar" — für Leinen oder Wüsche nämlich. Wie
viele von denen, die heute Lessing immer im Munde führen, schreiben ein
Deutsch, das dem großen Manne denselben Ekel erwecken müßte. Mochten sie
doch Lessing weniger im Munde führen und mehr im Herzen tragen!

Endlich Klopstock, der gewaltige Dichter, der sich um unsre Sprache un¬
sterbliche Verdienste errungen hat. Klopstock eifert in seiner 1774 veröffentlichten
„Deutschen Gelehrtenrepublik" gegen das Fremde und die fremden Wörter und
ist der Meinung, daß derjenige, der stets „ausländische Worte ohne Bedürfniß
in die Sprache mischt, deu Hund tragen" solle, als ein Zeichen schmählichen
Hohnes — ein Seitenstück zu den faulen Eiern des alten, trefflichen Schottelins.

Ich komme nun auf die Wirksamkeit der Berliner Akademie der Wissen¬
schaften zurück. In ihrer Stiftungsurkunde wurde der Akademie die Aufgabe
gestellt, das, „was zur Erhaltung der teutschen Sprache in ihrer anständigen
Reinigkeit, anch zur Ehre und Zierde der teutschen Nation gereichet, absonder¬
lich mit zu besorgen." Aber Friedrich der Große, der bald nach seinem Re¬
gierungsantritt im Jahre 1744 der Akademie neue Satzungen gab, empfahl ihr
zwar mit Nachdruck die Pflege der deutsche» Sprache, doch wurde gleichzeitig
die französische Sprache für ihre eignen Abhandlungen eingeführt, und damit
die deutsche Sprache wieder herabgesetzt und ausgeschlossen. Erst etwa fünfzig
Jahre später, 1792, erinnerte sich der verdienstvolle Minister Graf von Herz¬
berg, welcher Kurator der Akademie war, der dieser Anstalt schon in die Wiege
gelegten hochwichtigen Aufgabe. Er vereinigte die deutschen Mitglieder der
Akademie „zur Ausführung des großen Planes, den der unsterbliche Leibnitz
schon bei Errichtung der Akademie zu Aufnug des Jahrhunderts bezweckte, uüm-
lich auf die Vervollkommnung der deutscheu Sprache hinzuarbeiten." Es wurde
ein eigner Ausschuß bestellt, und die Akademie schrieb darnach fünf Preisfragen
aus, die sich auf die Reinigung der deutscheu Sprache vou deu eingedrungenen
Fremdwörtern beziehen. Die hierdurch veranlaßte Abhandlung Joachim Heinrich
Ccimpes, „Grundsätze, Regeln und Gränzen der Verdeutschung," ist erweitert und
mit einem Wörterverzeichnisse versehen als „Wörterbuch zur Erklärung und Ver¬
deutschung der unsrer Sprache aufgedrungenen fremden Ausdrücke" erschienen 1801
zu Vrauuschweig. Den zweiten Preis hatte August Kinderliug erhalten, dessen
Abhcuidluug „Über die Reinigkeit der Deutschen Sprache u. s. w." bereits 1795
zu Berlin herausgegeben wurde. Ich will auf diese verdienstlichen Vemühuugen


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[0492] Die Fremdwörterseuche. Lessing wörtlich fort — eine beträchtliche Anzahl von Worten vergessen haben. Denn alle Augenblicke läßt er seinen Leser über ein französisches Wort stolpern, der sich kaum besinnen kann, ob er einen jetzigen Schriftsteller oder einen aus dein galanten Zeitalter Christian Welses liest. Licenz, Visiren, Education, Disciplin, Moderation, Eleganz, Aemulation, Jalousie, Corruption, Dexterität — und noch hundert solche Worte, die alle nicht das geringste mehr sagen, als die deutschen, erwecken auch dem einen Ekel, der nichts weniger als ein Purist ist. Linge sagt Herr Wieland sogar" — für Leinen oder Wüsche nämlich. Wie viele von denen, die heute Lessing immer im Munde führen, schreiben ein Deutsch, das dem großen Manne denselben Ekel erwecken müßte. Mochten sie doch Lessing weniger im Munde führen und mehr im Herzen tragen! Endlich Klopstock, der gewaltige Dichter, der sich um unsre Sprache un¬ sterbliche Verdienste errungen hat. Klopstock eifert in seiner 1774 veröffentlichten „Deutschen Gelehrtenrepublik" gegen das Fremde und die fremden Wörter und ist der Meinung, daß derjenige, der stets „ausländische Worte ohne Bedürfniß in die Sprache mischt, deu Hund tragen" solle, als ein Zeichen schmählichen Hohnes — ein Seitenstück zu den faulen Eiern des alten, trefflichen Schottelins. Ich komme nun auf die Wirksamkeit der Berliner Akademie der Wissen¬ schaften zurück. In ihrer Stiftungsurkunde wurde der Akademie die Aufgabe gestellt, das, „was zur Erhaltung der teutschen Sprache in ihrer anständigen Reinigkeit, anch zur Ehre und Zierde der teutschen Nation gereichet, absonder¬ lich mit zu besorgen." Aber Friedrich der Große, der bald nach seinem Re¬ gierungsantritt im Jahre 1744 der Akademie neue Satzungen gab, empfahl ihr zwar mit Nachdruck die Pflege der deutsche» Sprache, doch wurde gleichzeitig die französische Sprache für ihre eignen Abhandlungen eingeführt, und damit die deutsche Sprache wieder herabgesetzt und ausgeschlossen. Erst etwa fünfzig Jahre später, 1792, erinnerte sich der verdienstvolle Minister Graf von Herz¬ berg, welcher Kurator der Akademie war, der dieser Anstalt schon in die Wiege gelegten hochwichtigen Aufgabe. Er vereinigte die deutschen Mitglieder der Akademie „zur Ausführung des großen Planes, den der unsterbliche Leibnitz schon bei Errichtung der Akademie zu Aufnug des Jahrhunderts bezweckte, uüm- lich auf die Vervollkommnung der deutscheu Sprache hinzuarbeiten." Es wurde ein eigner Ausschuß bestellt, und die Akademie schrieb darnach fünf Preisfragen aus, die sich auf die Reinigung der deutscheu Sprache vou deu eingedrungenen Fremdwörtern beziehen. Die hierdurch veranlaßte Abhandlung Joachim Heinrich Ccimpes, „Grundsätze, Regeln und Gränzen der Verdeutschung," ist erweitert und mit einem Wörterverzeichnisse versehen als „Wörterbuch zur Erklärung und Ver¬ deutschung der unsrer Sprache aufgedrungenen fremden Ausdrücke" erschienen 1801 zu Vrauuschweig. Den zweiten Preis hatte August Kinderliug erhalten, dessen Abhcuidluug „Über die Reinigkeit der Deutschen Sprache u. s. w." bereits 1795 zu Berlin herausgegeben wurde. Ich will auf diese verdienstlichen Vemühuugen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/492>, abgerufen am 26.06.2024.