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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Debatten über die soziale Frage.

wissen, sondern der einzelne Arbeitgeber selbst sollte organisirend auftreten und
wirksam sein.

Was hinsichtlich der Mängel dieser Anschauung schon oben gesagt ist, findet
hier noch mehr Anwendung. Die Elemente, welche sich im volkswirtschaftlichen
Kongreß vereinigen, haben zwanzig Jahre Zeit gehabt, wenigstens eine praktische
Wirksamkeit zu beginnen; bis jetzt aber haben sie dieselbe ungenutzt verstreichen
lassen. Vereinzelte Anfänge, verbessernd auf die soziale Lage der Arbeiter ein¬
zuwirken, sind einfach mißglückt -- wie z. B. der vom Geheimrat Engel selbst
ausgegangene, den der Fabrikbesitzer Borchers in Berlin gemacht hatte --;
es erweist sich also die private Thätigkeit, besonders wenn sie uuorganisirt ist
wie in manchesterlichen Kreisen, durchaus als unzureichend. Zudem will dieser
Kongreß eine "Verquickung" des Unterstntznngssystems vermeiden.

Hier ist also zwar ein Einfluß der sozialen Bewegung bemerklich insofern,
als man sich wenigstens veranlaßt sieht, einige bedeutungsvolle Fragen, die
dabei auftreten, zu diskutiren, aber ein Fortschritt in der Erkenntnis innerhalb
des Kreises des volkswirtschaftlichen Kongresses ist nicht zu sehen. Die Herren
reiten immer noch auf ihren alten Parndepferden, ohne zu bemerken, daß die¬
selben längst steif geworden sind. Übrigens ist der Abfall auf dieser Seite mich
so stark gewesen, daß der volkswirtschaftliche Kongreß eigentlich nur noch eine
antiquarische Bedeutung hat. Dies tritt recht drastisch hervor, wenn nun steht,
daß eine Delegirtenversammlnug des Verbandes deutscher Industriellen, die in
Nürnberg tagte, sich ans den Standpunkt der kaiserliche" Botschaft vom
17. November 1881 stellte, obgleich ihre Elemente wesentlich den Kreisen au¬
gehören, ans denen der volkswirtschaftliche Kongreß herausgewachsen ist. In
ihren speziellen Vorschlägen aber verlangen diese Delegirten im strikten Gegensatz
zu dem volkswirtschaftlichen Kongreß gerade, daß Unfallversicherung und Hilfs-
kassenweseu in Verbindung vrgnnisirt werden soll, und im Verfolg dieses Gegen¬
satzes fordern diese Delegirten auch den staatlichen Versicheruugszwaug; sie
erachten es auch für das beste, wenn durch eine Reichsanstalt das Uiifall-
vcrsicheruugsweseu in die Hand genommen würde; sie wollen aber auch die
Arbeiter zur Beitragsleistung herangezogen wissen.

Durch solche Verhandlungen wird, wie man sofort einsieht, die Klarheit
nicht gefördert; es kommen mir Gegensätze zum Vorschein. Diese Gegensätze
werden aber keineswegs gemindert durch die Verhandlungen, welche schließlich
der Verein für Sozialpolitik, der wie die katholische Versammlung ebenfalls
in Frankfurt tagte, zum Allsdruck brachte.

Diese Versammlung beschäftigte sich mit dem Verhältnis der großen und
kleinen Versicherililgsverbüllde und mit dem Versicherlingszlvaug. In dieser,
wie wir mehrfach betont haben, so überaus wichtigem Frage, die deu vou uus
schon berührten wundesten Punkt uuserer socialen Verhältnisse wenigstens streift,
steht dieser Verein ungefähr in der Mitte der Debatte, wodurch also wieder


Debatten über die soziale Frage.

wissen, sondern der einzelne Arbeitgeber selbst sollte organisirend auftreten und
wirksam sein.

Was hinsichtlich der Mängel dieser Anschauung schon oben gesagt ist, findet
hier noch mehr Anwendung. Die Elemente, welche sich im volkswirtschaftlichen
Kongreß vereinigen, haben zwanzig Jahre Zeit gehabt, wenigstens eine praktische
Wirksamkeit zu beginnen; bis jetzt aber haben sie dieselbe ungenutzt verstreichen
lassen. Vereinzelte Anfänge, verbessernd auf die soziale Lage der Arbeiter ein¬
zuwirken, sind einfach mißglückt — wie z. B. der vom Geheimrat Engel selbst
ausgegangene, den der Fabrikbesitzer Borchers in Berlin gemacht hatte —;
es erweist sich also die private Thätigkeit, besonders wenn sie uuorganisirt ist
wie in manchesterlichen Kreisen, durchaus als unzureichend. Zudem will dieser
Kongreß eine „Verquickung" des Unterstntznngssystems vermeiden.

Hier ist also zwar ein Einfluß der sozialen Bewegung bemerklich insofern,
als man sich wenigstens veranlaßt sieht, einige bedeutungsvolle Fragen, die
dabei auftreten, zu diskutiren, aber ein Fortschritt in der Erkenntnis innerhalb
des Kreises des volkswirtschaftlichen Kongresses ist nicht zu sehen. Die Herren
reiten immer noch auf ihren alten Parndepferden, ohne zu bemerken, daß die¬
selben längst steif geworden sind. Übrigens ist der Abfall auf dieser Seite mich
so stark gewesen, daß der volkswirtschaftliche Kongreß eigentlich nur noch eine
antiquarische Bedeutung hat. Dies tritt recht drastisch hervor, wenn nun steht,
daß eine Delegirtenversammlnug des Verbandes deutscher Industriellen, die in
Nürnberg tagte, sich ans den Standpunkt der kaiserliche» Botschaft vom
17. November 1881 stellte, obgleich ihre Elemente wesentlich den Kreisen au¬
gehören, ans denen der volkswirtschaftliche Kongreß herausgewachsen ist. In
ihren speziellen Vorschlägen aber verlangen diese Delegirten im strikten Gegensatz
zu dem volkswirtschaftlichen Kongreß gerade, daß Unfallversicherung und Hilfs-
kassenweseu in Verbindung vrgnnisirt werden soll, und im Verfolg dieses Gegen¬
satzes fordern diese Delegirten auch den staatlichen Versicheruugszwaug; sie
erachten es auch für das beste, wenn durch eine Reichsanstalt das Uiifall-
vcrsicheruugsweseu in die Hand genommen würde; sie wollen aber auch die
Arbeiter zur Beitragsleistung herangezogen wissen.

Durch solche Verhandlungen wird, wie man sofort einsieht, die Klarheit
nicht gefördert; es kommen mir Gegensätze zum Vorschein. Diese Gegensätze
werden aber keineswegs gemindert durch die Verhandlungen, welche schließlich
der Verein für Sozialpolitik, der wie die katholische Versammlung ebenfalls
in Frankfurt tagte, zum Allsdruck brachte.

Diese Versammlung beschäftigte sich mit dem Verhältnis der großen und
kleinen Versicherililgsverbüllde und mit dem Versicherlingszlvaug. In dieser,
wie wir mehrfach betont haben, so überaus wichtigem Frage, die deu vou uus
schon berührten wundesten Punkt uuserer socialen Verhältnisse wenigstens streift,
steht dieser Verein ungefähr in der Mitte der Debatte, wodurch also wieder


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[0482] Debatten über die soziale Frage. wissen, sondern der einzelne Arbeitgeber selbst sollte organisirend auftreten und wirksam sein. Was hinsichtlich der Mängel dieser Anschauung schon oben gesagt ist, findet hier noch mehr Anwendung. Die Elemente, welche sich im volkswirtschaftlichen Kongreß vereinigen, haben zwanzig Jahre Zeit gehabt, wenigstens eine praktische Wirksamkeit zu beginnen; bis jetzt aber haben sie dieselbe ungenutzt verstreichen lassen. Vereinzelte Anfänge, verbessernd auf die soziale Lage der Arbeiter ein¬ zuwirken, sind einfach mißglückt — wie z. B. der vom Geheimrat Engel selbst ausgegangene, den der Fabrikbesitzer Borchers in Berlin gemacht hatte —; es erweist sich also die private Thätigkeit, besonders wenn sie uuorganisirt ist wie in manchesterlichen Kreisen, durchaus als unzureichend. Zudem will dieser Kongreß eine „Verquickung" des Unterstntznngssystems vermeiden. Hier ist also zwar ein Einfluß der sozialen Bewegung bemerklich insofern, als man sich wenigstens veranlaßt sieht, einige bedeutungsvolle Fragen, die dabei auftreten, zu diskutiren, aber ein Fortschritt in der Erkenntnis innerhalb des Kreises des volkswirtschaftlichen Kongresses ist nicht zu sehen. Die Herren reiten immer noch auf ihren alten Parndepferden, ohne zu bemerken, daß die¬ selben längst steif geworden sind. Übrigens ist der Abfall auf dieser Seite mich so stark gewesen, daß der volkswirtschaftliche Kongreß eigentlich nur noch eine antiquarische Bedeutung hat. Dies tritt recht drastisch hervor, wenn nun steht, daß eine Delegirtenversammlnug des Verbandes deutscher Industriellen, die in Nürnberg tagte, sich ans den Standpunkt der kaiserliche» Botschaft vom 17. November 1881 stellte, obgleich ihre Elemente wesentlich den Kreisen au¬ gehören, ans denen der volkswirtschaftliche Kongreß herausgewachsen ist. In ihren speziellen Vorschlägen aber verlangen diese Delegirten im strikten Gegensatz zu dem volkswirtschaftlichen Kongreß gerade, daß Unfallversicherung und Hilfs- kassenweseu in Verbindung vrgnnisirt werden soll, und im Verfolg dieses Gegen¬ satzes fordern diese Delegirten auch den staatlichen Versicheruugszwaug; sie erachten es auch für das beste, wenn durch eine Reichsanstalt das Uiifall- vcrsicheruugsweseu in die Hand genommen würde; sie wollen aber auch die Arbeiter zur Beitragsleistung herangezogen wissen. Durch solche Verhandlungen wird, wie man sofort einsieht, die Klarheit nicht gefördert; es kommen mir Gegensätze zum Vorschein. Diese Gegensätze werden aber keineswegs gemindert durch die Verhandlungen, welche schließlich der Verein für Sozialpolitik, der wie die katholische Versammlung ebenfalls in Frankfurt tagte, zum Allsdruck brachte. Diese Versammlung beschäftigte sich mit dem Verhältnis der großen und kleinen Versicherililgsverbüllde und mit dem Versicherlingszlvaug. In dieser, wie wir mehrfach betont haben, so überaus wichtigem Frage, die deu vou uus schon berührten wundesten Punkt uuserer socialen Verhältnisse wenigstens streift, steht dieser Verein ungefähr in der Mitte der Debatte, wodurch also wieder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/482>, abgerufen am 29.06.2024.