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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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gesetzt Personen umher, N'elche die wucherische Ausbeutung zum Geschäft machen;
sie siud gerichtsbckauut, aber ihre Geschäfte scheinen hie und da mit ganz be¬
sondern Eifer betrieben zu lverden, oluvohl man diesen Geschäften den Wucher
sofort ansieht. Und doch könnte richterlicherseits zur Milderung der sozialen
Notlage sehr viel gethan werden, lediglich durch das Mäßigen der wucherischer
Tempi. Denn nicht selteu genügt eine kurze Frist fiir den Bedrängten, sich des
wucherischer Angriffes zu erwehren, während er in unheilvolle Bedrängnis
stürzen muß, wenn ihn die Schläge allzu rasch und häufig treffen. Gegen¬
wärtig, wo trotz Wuchergesctz über die Hälfte der Welt die Klauen des Wuchers
schwer auf sich liegen hat, ist dies von höchster Wichtigkeit.

Hier müßte das in der katholischen Versammlung so oft hervorgehobene
Erziehuugspriuzip von ganz besondrer Wirkung sein. Aber das "zu spät," das
nur dort so oft aussprechen mußten, dürfte hier mit doppeltem Gewicht sich
geltend machen. Die Juristen haben zudem ihr Hauptwerk, die neuen Justiz¬
gesetze, hinter sich. Die tiefe Unzufriedenheit mit denselben, die im Volke herrscht
und die sich bei längerer Kenntnis nicht mindert, sondern verschärft, ist die
schlagende Kritik dieser Gesetze. Hierzu tritt die Höhe der Gerichtskosten, die
nicht selteu noch vernichtet, was beim Verfahren noch nicht zu Grunde gerichtet
worden ist. Jedenfalls erweist sich an den auf diesem Punkte hervortretenden
Erscheinungen, wie gerechtfertigt unsre Besorgnis vor dem Zerriebenwerden ist.
Gerade die von den katholischen Sozialpolitikern hervorgehobene und immer
furchtbarer um sich greifenden Expropriation des kleinern Besitzes, bei der sich
Differenzgeschäft und Wucher die Hand reichen, sollte in den Rechtsinstitutioueu
und in der Rechtspflege einen starken Damm erhalten. Indeß dieser mangelt
gänzlich; die Konstitutionen gewähren ihn nicht, und die Personen begreifen
ihn nicht.

Und doch empfindet mau deu Gang der sozialen Bewegung, die immer mehr
anschwillt, weithin. Auch der diesmal in Mannheim versammelte volks¬
wirtschaftliche Kongreß bewies dies, freilich mir im negativen Sinne. Aber
dies ist hier genügend, um die Lage zu kennzeichnen. Denn der volksnurtschaft-
lichc Kongreß ist, wie man weiß, in Deutschland der Brennpunkt des Mauchester-
tums. Dieser Kongreß erwärmte sich zunächst insbesondre für deu Hausirhandel,
dessen Schädlichkeit wohl, soweit er den Handel mit Judustrieerzeuguissen n. s. w.
betrifft, von andrer Seite etwas übertrieben werden mag, der aber in manchen
seiner Verzweigungen (z. B. hinsichtlich des Handels mit "Wertpapieren") un¬
bedingt verboten werde" sollte. Ebenso äußerte sich der Kongreß über die
Steuerfrage in der gewohnten "prinzipiellen," aber wenig praktischen Weise.
Das aber, was der Referent über Ärbeiterversichernng (wie wir schon oben
betont, eine der wichtigste" sozialen Angelegenheiten) äußerte, klang merkwürdig an
an die über das Uuterstützuugslveseu in der katholischen Versammlung gehörten
Äußerungen. Auch hier wollte man nichts von staatlichen, bez. Distriktskaffcn


gesetzt Personen umher, N'elche die wucherische Ausbeutung zum Geschäft machen;
sie siud gerichtsbckauut, aber ihre Geschäfte scheinen hie und da mit ganz be¬
sondern Eifer betrieben zu lverden, oluvohl man diesen Geschäften den Wucher
sofort ansieht. Und doch könnte richterlicherseits zur Milderung der sozialen
Notlage sehr viel gethan werden, lediglich durch das Mäßigen der wucherischer
Tempi. Denn nicht selteu genügt eine kurze Frist fiir den Bedrängten, sich des
wucherischer Angriffes zu erwehren, während er in unheilvolle Bedrängnis
stürzen muß, wenn ihn die Schläge allzu rasch und häufig treffen. Gegen¬
wärtig, wo trotz Wuchergesctz über die Hälfte der Welt die Klauen des Wuchers
schwer auf sich liegen hat, ist dies von höchster Wichtigkeit.

Hier müßte das in der katholischen Versammlung so oft hervorgehobene
Erziehuugspriuzip von ganz besondrer Wirkung sein. Aber das „zu spät," das
nur dort so oft aussprechen mußten, dürfte hier mit doppeltem Gewicht sich
geltend machen. Die Juristen haben zudem ihr Hauptwerk, die neuen Justiz¬
gesetze, hinter sich. Die tiefe Unzufriedenheit mit denselben, die im Volke herrscht
und die sich bei längerer Kenntnis nicht mindert, sondern verschärft, ist die
schlagende Kritik dieser Gesetze. Hierzu tritt die Höhe der Gerichtskosten, die
nicht selteu noch vernichtet, was beim Verfahren noch nicht zu Grunde gerichtet
worden ist. Jedenfalls erweist sich an den auf diesem Punkte hervortretenden
Erscheinungen, wie gerechtfertigt unsre Besorgnis vor dem Zerriebenwerden ist.
Gerade die von den katholischen Sozialpolitikern hervorgehobene und immer
furchtbarer um sich greifenden Expropriation des kleinern Besitzes, bei der sich
Differenzgeschäft und Wucher die Hand reichen, sollte in den Rechtsinstitutioueu
und in der Rechtspflege einen starken Damm erhalten. Indeß dieser mangelt
gänzlich; die Konstitutionen gewähren ihn nicht, und die Personen begreifen
ihn nicht.

Und doch empfindet mau deu Gang der sozialen Bewegung, die immer mehr
anschwillt, weithin. Auch der diesmal in Mannheim versammelte volks¬
wirtschaftliche Kongreß bewies dies, freilich mir im negativen Sinne. Aber
dies ist hier genügend, um die Lage zu kennzeichnen. Denn der volksnurtschaft-
lichc Kongreß ist, wie man weiß, in Deutschland der Brennpunkt des Mauchester-
tums. Dieser Kongreß erwärmte sich zunächst insbesondre für deu Hausirhandel,
dessen Schädlichkeit wohl, soweit er den Handel mit Judustrieerzeuguissen n. s. w.
betrifft, von andrer Seite etwas übertrieben werden mag, der aber in manchen
seiner Verzweigungen (z. B. hinsichtlich des Handels mit „Wertpapieren") un¬
bedingt verboten werde« sollte. Ebenso äußerte sich der Kongreß über die
Steuerfrage in der gewohnten „prinzipiellen," aber wenig praktischen Weise.
Das aber, was der Referent über Ärbeiterversichernng (wie wir schon oben
betont, eine der wichtigste» sozialen Angelegenheiten) äußerte, klang merkwürdig an
an die über das Uuterstützuugslveseu in der katholischen Versammlung gehörten
Äußerungen. Auch hier wollte man nichts von staatlichen, bez. Distriktskaffcn


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[0481] gesetzt Personen umher, N'elche die wucherische Ausbeutung zum Geschäft machen; sie siud gerichtsbckauut, aber ihre Geschäfte scheinen hie und da mit ganz be¬ sondern Eifer betrieben zu lverden, oluvohl man diesen Geschäften den Wucher sofort ansieht. Und doch könnte richterlicherseits zur Milderung der sozialen Notlage sehr viel gethan werden, lediglich durch das Mäßigen der wucherischer Tempi. Denn nicht selteu genügt eine kurze Frist fiir den Bedrängten, sich des wucherischer Angriffes zu erwehren, während er in unheilvolle Bedrängnis stürzen muß, wenn ihn die Schläge allzu rasch und häufig treffen. Gegen¬ wärtig, wo trotz Wuchergesctz über die Hälfte der Welt die Klauen des Wuchers schwer auf sich liegen hat, ist dies von höchster Wichtigkeit. Hier müßte das in der katholischen Versammlung so oft hervorgehobene Erziehuugspriuzip von ganz besondrer Wirkung sein. Aber das „zu spät," das nur dort so oft aussprechen mußten, dürfte hier mit doppeltem Gewicht sich geltend machen. Die Juristen haben zudem ihr Hauptwerk, die neuen Justiz¬ gesetze, hinter sich. Die tiefe Unzufriedenheit mit denselben, die im Volke herrscht und die sich bei längerer Kenntnis nicht mindert, sondern verschärft, ist die schlagende Kritik dieser Gesetze. Hierzu tritt die Höhe der Gerichtskosten, die nicht selteu noch vernichtet, was beim Verfahren noch nicht zu Grunde gerichtet worden ist. Jedenfalls erweist sich an den auf diesem Punkte hervortretenden Erscheinungen, wie gerechtfertigt unsre Besorgnis vor dem Zerriebenwerden ist. Gerade die von den katholischen Sozialpolitikern hervorgehobene und immer furchtbarer um sich greifenden Expropriation des kleinern Besitzes, bei der sich Differenzgeschäft und Wucher die Hand reichen, sollte in den Rechtsinstitutioueu und in der Rechtspflege einen starken Damm erhalten. Indeß dieser mangelt gänzlich; die Konstitutionen gewähren ihn nicht, und die Personen begreifen ihn nicht. Und doch empfindet mau deu Gang der sozialen Bewegung, die immer mehr anschwillt, weithin. Auch der diesmal in Mannheim versammelte volks¬ wirtschaftliche Kongreß bewies dies, freilich mir im negativen Sinne. Aber dies ist hier genügend, um die Lage zu kennzeichnen. Denn der volksnurtschaft- lichc Kongreß ist, wie man weiß, in Deutschland der Brennpunkt des Mauchester- tums. Dieser Kongreß erwärmte sich zunächst insbesondre für deu Hausirhandel, dessen Schädlichkeit wohl, soweit er den Handel mit Judustrieerzeuguissen n. s. w. betrifft, von andrer Seite etwas übertrieben werden mag, der aber in manchen seiner Verzweigungen (z. B. hinsichtlich des Handels mit „Wertpapieren") un¬ bedingt verboten werde« sollte. Ebenso äußerte sich der Kongreß über die Steuerfrage in der gewohnten „prinzipiellen," aber wenig praktischen Weise. Das aber, was der Referent über Ärbeiterversichernng (wie wir schon oben betont, eine der wichtigste» sozialen Angelegenheiten) äußerte, klang merkwürdig an an die über das Uuterstützuugslveseu in der katholischen Versammlung gehörten Äußerungen. Auch hier wollte man nichts von staatlichen, bez. Distriktskaffcn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/481>, abgerufen am 29.06.2024.