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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Debatten über die soziale Frage.

bekannte akademische Preisfrage: Wie es komme, daß ein Gefäß mit Wasser,
in dem ein Fisch schwimmt, nicht schwerer wiege als eines ahne Fisch, über der
sich Dutzende den Kopf zerbrachen, ohne daß es einem einzigen einfiel, durch
die Wage erst eine Probe ans die Thatsache zu machen.

Ans der Kasseler Versammlung wurde ohne weiteres behauptet, das Disfe-
renzspiel an der Börse sei, wie jede spekulative Unternehmung, im Handelsleben
notwendig, es sei mit dein Unternehmungsgeiste verknüpft und fördere die Wirt¬
schaftlichkeit. Man nahm also einfach an, das Differenzspiel sei dasselbe wie
Spekulation.

Abgesehen nnn davon, daß mau über den wirtschaftlichen Wert der Spe-
kulation, wenigstens der übertriebenen Spekulativ,,, sehr streiten kann, so haben
eben damit die Herren Juristen in Kassel einfach den Fisch "Differenzgeschäft"
in das Wassergefäß "Spekulation" gesetzt und behaupten nur, es sei kein Unter¬
schied in Volumen und Gewicht. Thatsächlich aber haben Handelsspekulation
und Differenzspiel begrifflich mit einander gar nichts zu thun. Das Difserenz-
geschäft ist gar nicht spekulativen Charakters; es ist lediglich ein Spiel "mit
Betrug."

Wenn man sich den Charakter der Handels- und selbst nur deu der bloßen
Finnnzspekulation vergegenwärtigt, zeigt sich sosort, daß die Spekulation zwar
ungewisse, aber doch Ziele von einiger Wahrscheinlichkeit vor Angen hat. Setzen
wir deu Fall, es befrachte ein Kaufmann ein Schiff ans Spekulation, so sendet
er dasselbe doch uicht ins blaue hinaus, sondern dahin, wo er weiß, daß die
verladenen Waaren verzinslich sind, und zwar genügend teuer verkäuflich, um
einen Gewinn erwarten zu lassen. Er "spekulirt" also ans gewisse Voraus¬
setzungen wahrscheinlicher Art, und aus dem thatsächlichen Zusammentreffen dieser
Voraussetzungen ergiebt sich dann der Spekulationsgewinn, aus dem Nichtzu-
treffeu der Verlust. Ebenso ist es bei der reinen Finanzspekulation. Der Spe¬
kulant kauft hier ein Effekt, von dem die Wahrscheinlichkeit vorhanden ist, daß
es im Werte steigt oder hohe Zinsen abwirft. Es ist hier in der That voll¬
kommen gleichgültig, ob er es kauft x"r <zornpwnt oder "auf Zeit." Dies ist
in reinen Spekulationsgeschäften lediglich eine Krcditsrage.")

Man hat z. B. vor der Eröffnung der Gotthardbahn eine gute Meinung
von der Prosperität derselben gewonnen. An sich ist dies ja Erfahrungssache;
aber die Wahrscheinlichkeit, daß diese Prosperität eintreten würde, war wohl
vorhanden. Man kauft also Aktien des Unternehmens. Dies ist sicher ein spe¬
kulativer Kauf, den ebensowohl wie sich genügende Prosperität und Dividende
ergeben können, ebenso kann sich jene ungenügend erweisen, die Dividende kann



*) Wenn dagegen der Kaufmann ein wertloses Schiff mit wertlosen Dingen befrachtet
und sie hinausschickt in See, nachdem er hoch versichert hat, so ist dies keine Spekulation,
sondern es ist Spiel um die Differenz zwischen dem Unwert der Sendung und den Chnneen
des Unterganges und dem effektiven Betrag der VersicherungSsnnune.
Grenzbolei, IV, 1882. no
Debatten über die soziale Frage.

bekannte akademische Preisfrage: Wie es komme, daß ein Gefäß mit Wasser,
in dem ein Fisch schwimmt, nicht schwerer wiege als eines ahne Fisch, über der
sich Dutzende den Kopf zerbrachen, ohne daß es einem einzigen einfiel, durch
die Wage erst eine Probe ans die Thatsache zu machen.

Ans der Kasseler Versammlung wurde ohne weiteres behauptet, das Disfe-
renzspiel an der Börse sei, wie jede spekulative Unternehmung, im Handelsleben
notwendig, es sei mit dein Unternehmungsgeiste verknüpft und fördere die Wirt¬
schaftlichkeit. Man nahm also einfach an, das Differenzspiel sei dasselbe wie
Spekulation.

Abgesehen nnn davon, daß mau über den wirtschaftlichen Wert der Spe-
kulation, wenigstens der übertriebenen Spekulativ,,, sehr streiten kann, so haben
eben damit die Herren Juristen in Kassel einfach den Fisch „Differenzgeschäft"
in das Wassergefäß „Spekulation" gesetzt und behaupten nur, es sei kein Unter¬
schied in Volumen und Gewicht. Thatsächlich aber haben Handelsspekulation
und Differenzspiel begrifflich mit einander gar nichts zu thun. Das Difserenz-
geschäft ist gar nicht spekulativen Charakters; es ist lediglich ein Spiel „mit
Betrug."

Wenn man sich den Charakter der Handels- und selbst nur deu der bloßen
Finnnzspekulation vergegenwärtigt, zeigt sich sosort, daß die Spekulation zwar
ungewisse, aber doch Ziele von einiger Wahrscheinlichkeit vor Angen hat. Setzen
wir deu Fall, es befrachte ein Kaufmann ein Schiff ans Spekulation, so sendet
er dasselbe doch uicht ins blaue hinaus, sondern dahin, wo er weiß, daß die
verladenen Waaren verzinslich sind, und zwar genügend teuer verkäuflich, um
einen Gewinn erwarten zu lassen. Er „spekulirt" also ans gewisse Voraus¬
setzungen wahrscheinlicher Art, und aus dem thatsächlichen Zusammentreffen dieser
Voraussetzungen ergiebt sich dann der Spekulationsgewinn, aus dem Nichtzu-
treffeu der Verlust. Ebenso ist es bei der reinen Finanzspekulation. Der Spe¬
kulant kauft hier ein Effekt, von dem die Wahrscheinlichkeit vorhanden ist, daß
es im Werte steigt oder hohe Zinsen abwirft. Es ist hier in der That voll¬
kommen gleichgültig, ob er es kauft x«r <zornpwnt oder „auf Zeit." Dies ist
in reinen Spekulationsgeschäften lediglich eine Krcditsrage.")

Man hat z. B. vor der Eröffnung der Gotthardbahn eine gute Meinung
von der Prosperität derselben gewonnen. An sich ist dies ja Erfahrungssache;
aber die Wahrscheinlichkeit, daß diese Prosperität eintreten würde, war wohl
vorhanden. Man kauft also Aktien des Unternehmens. Dies ist sicher ein spe¬
kulativer Kauf, den ebensowohl wie sich genügende Prosperität und Dividende
ergeben können, ebenso kann sich jene ungenügend erweisen, die Dividende kann



*) Wenn dagegen der Kaufmann ein wertloses Schiff mit wertlosen Dingen befrachtet
und sie hinausschickt in See, nachdem er hoch versichert hat, so ist dies keine Spekulation,
sondern es ist Spiel um die Differenz zwischen dem Unwert der Sendung und den Chnneen
des Unterganges und dem effektiven Betrag der VersicherungSsnnune.
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[0477] Debatten über die soziale Frage. bekannte akademische Preisfrage: Wie es komme, daß ein Gefäß mit Wasser, in dem ein Fisch schwimmt, nicht schwerer wiege als eines ahne Fisch, über der sich Dutzende den Kopf zerbrachen, ohne daß es einem einzigen einfiel, durch die Wage erst eine Probe ans die Thatsache zu machen. Ans der Kasseler Versammlung wurde ohne weiteres behauptet, das Disfe- renzspiel an der Börse sei, wie jede spekulative Unternehmung, im Handelsleben notwendig, es sei mit dein Unternehmungsgeiste verknüpft und fördere die Wirt¬ schaftlichkeit. Man nahm also einfach an, das Differenzspiel sei dasselbe wie Spekulation. Abgesehen nnn davon, daß mau über den wirtschaftlichen Wert der Spe- kulation, wenigstens der übertriebenen Spekulativ,,, sehr streiten kann, so haben eben damit die Herren Juristen in Kassel einfach den Fisch „Differenzgeschäft" in das Wassergefäß „Spekulation" gesetzt und behaupten nur, es sei kein Unter¬ schied in Volumen und Gewicht. Thatsächlich aber haben Handelsspekulation und Differenzspiel begrifflich mit einander gar nichts zu thun. Das Difserenz- geschäft ist gar nicht spekulativen Charakters; es ist lediglich ein Spiel „mit Betrug." Wenn man sich den Charakter der Handels- und selbst nur deu der bloßen Finnnzspekulation vergegenwärtigt, zeigt sich sosort, daß die Spekulation zwar ungewisse, aber doch Ziele von einiger Wahrscheinlichkeit vor Angen hat. Setzen wir deu Fall, es befrachte ein Kaufmann ein Schiff ans Spekulation, so sendet er dasselbe doch uicht ins blaue hinaus, sondern dahin, wo er weiß, daß die verladenen Waaren verzinslich sind, und zwar genügend teuer verkäuflich, um einen Gewinn erwarten zu lassen. Er „spekulirt" also ans gewisse Voraus¬ setzungen wahrscheinlicher Art, und aus dem thatsächlichen Zusammentreffen dieser Voraussetzungen ergiebt sich dann der Spekulationsgewinn, aus dem Nichtzu- treffeu der Verlust. Ebenso ist es bei der reinen Finanzspekulation. Der Spe¬ kulant kauft hier ein Effekt, von dem die Wahrscheinlichkeit vorhanden ist, daß es im Werte steigt oder hohe Zinsen abwirft. Es ist hier in der That voll¬ kommen gleichgültig, ob er es kauft x«r <zornpwnt oder „auf Zeit." Dies ist in reinen Spekulationsgeschäften lediglich eine Krcditsrage.") Man hat z. B. vor der Eröffnung der Gotthardbahn eine gute Meinung von der Prosperität derselben gewonnen. An sich ist dies ja Erfahrungssache; aber die Wahrscheinlichkeit, daß diese Prosperität eintreten würde, war wohl vorhanden. Man kauft also Aktien des Unternehmens. Dies ist sicher ein spe¬ kulativer Kauf, den ebensowohl wie sich genügende Prosperität und Dividende ergeben können, ebenso kann sich jene ungenügend erweisen, die Dividende kann *) Wenn dagegen der Kaufmann ein wertloses Schiff mit wertlosen Dingen befrachtet und sie hinausschickt in See, nachdem er hoch versichert hat, so ist dies keine Spekulation, sondern es ist Spiel um die Differenz zwischen dem Unwert der Sendung und den Chnneen des Unterganges und dem effektiven Betrag der VersicherungSsnnune. Grenzbolei, IV, 1882. no

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/477>, abgerufen am 28.09.2024.