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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Debatten über die soziale Frage.
(Schluß.)

ir haben bisher eine Debatte über die soziale Bewegung über¬
blickt, die -- so skizzenhaft wir sie auch vorführten -- doch so¬
gleich erkennen ließ, daß in ihr der Drang nach Positivem zum
Durchbruch kam. Dennoch blieb sie weit zurück hinter dem, was
notwendig ist. Und in ihrer Gesamtbeziehung erschien sie schlie߬
lich dem dcntschgesiunten Beobachter als eine Gefahr für den Gang der sozialen
Bewegung selbst. Aus dem Ganzen heraus klang eine Warnung an den deut¬
scheu Geist, der, wenn er sich nicht zeitig aufrafft, gar leicht in Gefahr kommen
kann, im Fortgang jener Bewegung zwischen zwei Extremen zerrieben zu werden,
die sich aber insofern gleichen, als sie ihren: Wesen mich international sind --
dem semitischen und dem römischen.

Alle jene für die Lösung der sozialen Frage vorgeschlagenen Lösungsmittel
-- mit einer einzigen Ausnahme --, wie sie mich in dein katholischen Kreise
vorgeschlagen wurden, sind verspätet und bloß vorbereitender Natur. Fast alles,
was nützlich sein würde, die soziale Bewegung in ein besseres Bett zu führe",
war erziehlicher Art, verleugnete oft den erreichten Stand der sozialen Bewegung
und erschien darum einerseits als aussichtslos für allezeit, andrerseits als zu
weit nusschaueud, um noch wirksam sein zu können. Gewiß wird sich auch aus
der gegenwärtigen sozialen Bewegung heraus ein neuer religiöser Geist ent¬
wickeln; aber es dürfte doch kaum der historischen Erfahrung entsprechen, wenn
man voraussetzen wollte, daß dies lediglich einer Netablirnng des ultramontanen
Geistes entsprechen würde. Dagegen zeigte sich unverkennbar, daß hier ein Ver¬
such vorliege, deu ultramontanen Geist zum leitenden der sozialen Bewegung zu
macheu. Mit einem gewissen Anschein von Recht kann, wie schon bemerkt, we¬
nigstens in Deutschland der Ultramontanismus sagen: Wo wir sind, da hat der
Sozialismus keinen Boden. Aber doch nur mit einem Anschein von Recht.
Denn der Sozialismus wird lediglich politisch überdeckt durch deu Ultramonta-
nismus, der jenen zunächst noch beherrscht und ihn vielleicht zum Teil auch im
Sturme beherrschen wird, indem er ihm in der charakterisirten Weise Zugeständ¬
nisse macht.

Allerdings bezweifeln wir, daß der Ultramontanismus in wirklich stür¬
mischer Bewegung die Zügel so in der Hand behalten werde, wie er gegenwärtig
dies noch thut. Deal wir haben an der schon charakterisirten Äußerung Windt-
horsts gezeigt, daß die "hohen" Politiker auch bei den Ultramontanen dem Zuge
und Ideengange der Sozialpolitiker ohne rechtes Verständnis gegenüberstehen,


Debatten über die soziale Frage.
(Schluß.)

ir haben bisher eine Debatte über die soziale Bewegung über¬
blickt, die — so skizzenhaft wir sie auch vorführten — doch so¬
gleich erkennen ließ, daß in ihr der Drang nach Positivem zum
Durchbruch kam. Dennoch blieb sie weit zurück hinter dem, was
notwendig ist. Und in ihrer Gesamtbeziehung erschien sie schlie߬
lich dem dcntschgesiunten Beobachter als eine Gefahr für den Gang der sozialen
Bewegung selbst. Aus dem Ganzen heraus klang eine Warnung an den deut¬
scheu Geist, der, wenn er sich nicht zeitig aufrafft, gar leicht in Gefahr kommen
kann, im Fortgang jener Bewegung zwischen zwei Extremen zerrieben zu werden,
die sich aber insofern gleichen, als sie ihren: Wesen mich international sind —
dem semitischen und dem römischen.

Alle jene für die Lösung der sozialen Frage vorgeschlagenen Lösungsmittel
— mit einer einzigen Ausnahme —, wie sie mich in dein katholischen Kreise
vorgeschlagen wurden, sind verspätet und bloß vorbereitender Natur. Fast alles,
was nützlich sein würde, die soziale Bewegung in ein besseres Bett zu führe»,
war erziehlicher Art, verleugnete oft den erreichten Stand der sozialen Bewegung
und erschien darum einerseits als aussichtslos für allezeit, andrerseits als zu
weit nusschaueud, um noch wirksam sein zu können. Gewiß wird sich auch aus
der gegenwärtigen sozialen Bewegung heraus ein neuer religiöser Geist ent¬
wickeln; aber es dürfte doch kaum der historischen Erfahrung entsprechen, wenn
man voraussetzen wollte, daß dies lediglich einer Netablirnng des ultramontanen
Geistes entsprechen würde. Dagegen zeigte sich unverkennbar, daß hier ein Ver¬
such vorliege, deu ultramontanen Geist zum leitenden der sozialen Bewegung zu
macheu. Mit einem gewissen Anschein von Recht kann, wie schon bemerkt, we¬
nigstens in Deutschland der Ultramontanismus sagen: Wo wir sind, da hat der
Sozialismus keinen Boden. Aber doch nur mit einem Anschein von Recht.
Denn der Sozialismus wird lediglich politisch überdeckt durch deu Ultramonta-
nismus, der jenen zunächst noch beherrscht und ihn vielleicht zum Teil auch im
Sturme beherrschen wird, indem er ihm in der charakterisirten Weise Zugeständ¬
nisse macht.

Allerdings bezweifeln wir, daß der Ultramontanismus in wirklich stür¬
mischer Bewegung die Zügel so in der Hand behalten werde, wie er gegenwärtig
dies noch thut. Deal wir haben an der schon charakterisirten Äußerung Windt-
horsts gezeigt, daß die „hohen" Politiker auch bei den Ultramontanen dem Zuge
und Ideengange der Sozialpolitiker ohne rechtes Verständnis gegenüberstehen,


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[0475] Debatten über die soziale Frage. (Schluß.) ir haben bisher eine Debatte über die soziale Bewegung über¬ blickt, die — so skizzenhaft wir sie auch vorführten — doch so¬ gleich erkennen ließ, daß in ihr der Drang nach Positivem zum Durchbruch kam. Dennoch blieb sie weit zurück hinter dem, was notwendig ist. Und in ihrer Gesamtbeziehung erschien sie schlie߬ lich dem dcntschgesiunten Beobachter als eine Gefahr für den Gang der sozialen Bewegung selbst. Aus dem Ganzen heraus klang eine Warnung an den deut¬ scheu Geist, der, wenn er sich nicht zeitig aufrafft, gar leicht in Gefahr kommen kann, im Fortgang jener Bewegung zwischen zwei Extremen zerrieben zu werden, die sich aber insofern gleichen, als sie ihren: Wesen mich international sind — dem semitischen und dem römischen. Alle jene für die Lösung der sozialen Frage vorgeschlagenen Lösungsmittel — mit einer einzigen Ausnahme —, wie sie mich in dein katholischen Kreise vorgeschlagen wurden, sind verspätet und bloß vorbereitender Natur. Fast alles, was nützlich sein würde, die soziale Bewegung in ein besseres Bett zu führe», war erziehlicher Art, verleugnete oft den erreichten Stand der sozialen Bewegung und erschien darum einerseits als aussichtslos für allezeit, andrerseits als zu weit nusschaueud, um noch wirksam sein zu können. Gewiß wird sich auch aus der gegenwärtigen sozialen Bewegung heraus ein neuer religiöser Geist ent¬ wickeln; aber es dürfte doch kaum der historischen Erfahrung entsprechen, wenn man voraussetzen wollte, daß dies lediglich einer Netablirnng des ultramontanen Geistes entsprechen würde. Dagegen zeigte sich unverkennbar, daß hier ein Ver¬ such vorliege, deu ultramontanen Geist zum leitenden der sozialen Bewegung zu macheu. Mit einem gewissen Anschein von Recht kann, wie schon bemerkt, we¬ nigstens in Deutschland der Ultramontanismus sagen: Wo wir sind, da hat der Sozialismus keinen Boden. Aber doch nur mit einem Anschein von Recht. Denn der Sozialismus wird lediglich politisch überdeckt durch deu Ultramonta- nismus, der jenen zunächst noch beherrscht und ihn vielleicht zum Teil auch im Sturme beherrschen wird, indem er ihm in der charakterisirten Weise Zugeständ¬ nisse macht. Allerdings bezweifeln wir, daß der Ultramontanismus in wirklich stür¬ mischer Bewegung die Zügel so in der Hand behalten werde, wie er gegenwärtig dies noch thut. Deal wir haben an der schon charakterisirten Äußerung Windt- horsts gezeigt, daß die „hohen" Politiker auch bei den Ultramontanen dem Zuge und Ideengange der Sozialpolitiker ohne rechtes Verständnis gegenüberstehen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/475>, abgerufen am 29.06.2024.