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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Herr von Giers in Varzin.

zum deutschen Reichskanzler in erster Linie eine freundschaftliche Kundgebung,
eine Art Seitenstück zu der Danziger Kaiserbegeguuug beabsichtigte. Es wollte
seine guten Beziehungen zu Deutschland befestigen, wie es bei der Rückreise
seines Ministers durch einen Besuch desselben in Wien seine guten Beziehungen
zu Österreich-Ungarn zu befestigen vorhat, und es wollte dies der Welt wissen
lassen, sonst hätte es ans schriftlichen Wege dasselbe erreichen können. Selbst¬
verständlich werden die beiden Staatsmänner bei ihrer Zusammenkunft die eine
und die andre Tagesfrnge besprochen haben, schwerlich aber so fernliegende Dinge
wie die Stellung, welche Deutschland nud Österreich-Ungarn einmal einnehmen
könnten, wenn Rußland wieder gegen die Türken eiuen Kreuzzug unternehmen
sollte. Viel näher lagen die nihilistische Prvpngauda, die Zustände in Frank¬
reich, Ägyptens nächste Zukunft und Englands Verhältnis zu seinem Nachbar
überm Kanal. Doch werden wir wohlthun, uns vor Konjekturen und Speku¬
lationen zu hüten, wo wir keinerlei sichern Anhalt haben. Nur zwei Pnnkte
wollen wir noch kurz berühren. Irgendwelche offensive Politik hatte Rußland
vou deu verbündeten Kaiserreichen Mitteleuropas nicht zu befürchten: denn die¬
selben waren seit ihrer Vereinigung allezeit lediglich aus Währung des Friedens
bedacht. War also mit dem Giersschen Besuche eine größere Annäherung Ru߬
lands an Deutschland beabsichtigt, so konnte das nur Erfolg haben, wenn Ru߬
land deutlicher und bestimmter als bisher merken ließ, daß es auf Fortsetzung
einer Politik verzichtet habe, die man ihm in den letzten Jahren nicht ohne
Grund zuschrieb. Zweitens sollen die Beziehungen zwischen den Kabinetten von
Wien und Petersburg in diesem Sommer einigermaßen gespannt gewesen sei".
War dies in Wirklichkeit der Fall, so ist zu hoffen, daß der Besuch in Wien,
deu Herr von Giers für seine Rückreise aufgespart hat, dieses Verhältnis bessern
werde. Kaum erwähnt braucht dabei zu werden, daß das Entgegenkommen Ru߬
lands ans das Verhältnis Deutschlands zu Österreich-Ungarn keinen Einfluß
üben kann. Das Bündnis der beiden mittelenropnischen Kaiser -- von dem
wir jetzt sagen dürfen, daß es ein regelrecht und in aller Form abgeschlossenes
in Dokumenten niedergelegtes ist ist, auf gegenseitigem Bedürfnis beruhend,
durch beider Mächte Interessen festgekittet, die bleibende Grundlage der Verhält¬
nisse Mitteleuropas, von der die Strömung der Tagesereignisse nichts abzuspülen
vermag.




Herr von Giers in Varzin.

zum deutschen Reichskanzler in erster Linie eine freundschaftliche Kundgebung,
eine Art Seitenstück zu der Danziger Kaiserbegeguuug beabsichtigte. Es wollte
seine guten Beziehungen zu Deutschland befestigen, wie es bei der Rückreise
seines Ministers durch einen Besuch desselben in Wien seine guten Beziehungen
zu Österreich-Ungarn zu befestigen vorhat, und es wollte dies der Welt wissen
lassen, sonst hätte es ans schriftlichen Wege dasselbe erreichen können. Selbst¬
verständlich werden die beiden Staatsmänner bei ihrer Zusammenkunft die eine
und die andre Tagesfrnge besprochen haben, schwerlich aber so fernliegende Dinge
wie die Stellung, welche Deutschland nud Österreich-Ungarn einmal einnehmen
könnten, wenn Rußland wieder gegen die Türken eiuen Kreuzzug unternehmen
sollte. Viel näher lagen die nihilistische Prvpngauda, die Zustände in Frank¬
reich, Ägyptens nächste Zukunft und Englands Verhältnis zu seinem Nachbar
überm Kanal. Doch werden wir wohlthun, uns vor Konjekturen und Speku¬
lationen zu hüten, wo wir keinerlei sichern Anhalt haben. Nur zwei Pnnkte
wollen wir noch kurz berühren. Irgendwelche offensive Politik hatte Rußland
vou deu verbündeten Kaiserreichen Mitteleuropas nicht zu befürchten: denn die¬
selben waren seit ihrer Vereinigung allezeit lediglich aus Währung des Friedens
bedacht. War also mit dem Giersschen Besuche eine größere Annäherung Ru߬
lands an Deutschland beabsichtigt, so konnte das nur Erfolg haben, wenn Ru߬
land deutlicher und bestimmter als bisher merken ließ, daß es auf Fortsetzung
einer Politik verzichtet habe, die man ihm in den letzten Jahren nicht ohne
Grund zuschrieb. Zweitens sollen die Beziehungen zwischen den Kabinetten von
Wien und Petersburg in diesem Sommer einigermaßen gespannt gewesen sei».
War dies in Wirklichkeit der Fall, so ist zu hoffen, daß der Besuch in Wien,
deu Herr von Giers für seine Rückreise aufgespart hat, dieses Verhältnis bessern
werde. Kaum erwähnt braucht dabei zu werden, daß das Entgegenkommen Ru߬
lands ans das Verhältnis Deutschlands zu Österreich-Ungarn keinen Einfluß
üben kann. Das Bündnis der beiden mittelenropnischen Kaiser — von dem
wir jetzt sagen dürfen, daß es ein regelrecht und in aller Form abgeschlossenes
in Dokumenten niedergelegtes ist ist, auf gegenseitigem Bedürfnis beruhend,
durch beider Mächte Interessen festgekittet, die bleibende Grundlage der Verhält¬
nisse Mitteleuropas, von der die Strömung der Tagesereignisse nichts abzuspülen
vermag.




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[0474] Herr von Giers in Varzin. zum deutschen Reichskanzler in erster Linie eine freundschaftliche Kundgebung, eine Art Seitenstück zu der Danziger Kaiserbegeguuug beabsichtigte. Es wollte seine guten Beziehungen zu Deutschland befestigen, wie es bei der Rückreise seines Ministers durch einen Besuch desselben in Wien seine guten Beziehungen zu Österreich-Ungarn zu befestigen vorhat, und es wollte dies der Welt wissen lassen, sonst hätte es ans schriftlichen Wege dasselbe erreichen können. Selbst¬ verständlich werden die beiden Staatsmänner bei ihrer Zusammenkunft die eine und die andre Tagesfrnge besprochen haben, schwerlich aber so fernliegende Dinge wie die Stellung, welche Deutschland nud Österreich-Ungarn einmal einnehmen könnten, wenn Rußland wieder gegen die Türken eiuen Kreuzzug unternehmen sollte. Viel näher lagen die nihilistische Prvpngauda, die Zustände in Frank¬ reich, Ägyptens nächste Zukunft und Englands Verhältnis zu seinem Nachbar überm Kanal. Doch werden wir wohlthun, uns vor Konjekturen und Speku¬ lationen zu hüten, wo wir keinerlei sichern Anhalt haben. Nur zwei Pnnkte wollen wir noch kurz berühren. Irgendwelche offensive Politik hatte Rußland vou deu verbündeten Kaiserreichen Mitteleuropas nicht zu befürchten: denn die¬ selben waren seit ihrer Vereinigung allezeit lediglich aus Währung des Friedens bedacht. War also mit dem Giersschen Besuche eine größere Annäherung Ru߬ lands an Deutschland beabsichtigt, so konnte das nur Erfolg haben, wenn Ru߬ land deutlicher und bestimmter als bisher merken ließ, daß es auf Fortsetzung einer Politik verzichtet habe, die man ihm in den letzten Jahren nicht ohne Grund zuschrieb. Zweitens sollen die Beziehungen zwischen den Kabinetten von Wien und Petersburg in diesem Sommer einigermaßen gespannt gewesen sei». War dies in Wirklichkeit der Fall, so ist zu hoffen, daß der Besuch in Wien, deu Herr von Giers für seine Rückreise aufgespart hat, dieses Verhältnis bessern werde. Kaum erwähnt braucht dabei zu werden, daß das Entgegenkommen Ru߬ lands ans das Verhältnis Deutschlands zu Österreich-Ungarn keinen Einfluß üben kann. Das Bündnis der beiden mittelenropnischen Kaiser — von dem wir jetzt sagen dürfen, daß es ein regelrecht und in aller Form abgeschlossenes in Dokumenten niedergelegtes ist ist, auf gegenseitigem Bedürfnis beruhend, durch beider Mächte Interessen festgekittet, die bleibende Grundlage der Verhält¬ nisse Mitteleuropas, von der die Strömung der Tagesereignisse nichts abzuspülen vermag.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/474>, abgerufen am 29.06.2024.